Laschet rudert zurückStreit über die Corona-Notbremse bei 100er-Inzidenz

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Armin Laschet 160321

Armin Laschet sieht die Corona-Notbremse kritisch.

Düsseldorf – Die Mahnung, die der Sprecher des Bundesregierung in Sachen Corona-Notbremse an die Bundesländer richtet, kann deutlicher nicht ausfallen. „Wir müssen den Beschluss vom 3. März umsetzen, nicht nur in seinen erfreulichen Passagen, sondern eben auch in seinen schwierigen“, sagt Steffen Seibert am Montag in Berlin.

Bund und Länder hatten beschlossen, dass die Lockdown-Regeln wieder in Kraft treten, wenn die Inzidenz in einem Bundesland oder einer Region an drei aufeinanderfolgenden Tagen auf über 100 steigt, es also mehr Infektionen als 100 pro 100.000 Einwohnern und sieben Tagen gibt. „Dieser Beschluss ist umzusetzen“, sagt Seibert. „Wenn man Beschlüsse fasst, geht man immer davon aus, dass sie dann auch Realität werden. Die Umsetzung liegt bei den Ländern.“

Ohne Wenn und Aber, möchte man hinzufügen. Doch genau das scheint in den Ländern nicht anzukommen. Am Wochenende hatte das NRW-Gesundheitsministerium zwar betont, man stelle die sogenannte Notbremse nicht infrage und werde sich an den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 3. März halten.

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NRW-Landeschef Armin Laschet (CDU) weicht diesen Beschluss am Montag in Berlin aber auf. „Das ist kein Automatismus“, sagt Laschet in Berlin bei seinen Äußerungen als CDU-Bundeschef zu den Wahlausgängen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Man müsse genau sehen, woran liege es in diesem Fall, dass die Inzidenz aus dem Ruder laufe. Die Antwort darauf könne in einem Kreis anders aussehen als in einem anderen. Das hänge von der jeweiligen Situation vor Ort ab.

Corona-Testinfrastruktur ist noch im Aufbau

Was das jedoch konkret für Regionen bedeutet, die wie Köln die 100er Marke bereits überschritten haben, ist unklar. Bei den regionalen Regelungen, die NRW im Rahmen der Coronaschutzverordnung erlassen hat, gelten offensichtlich andere Kriterien.

Entscheidend für die Rückkehr zum Lockdown sei nicht allein die Inzidenzzahl, sondern deren Zustandekommen. Schnelle sie vor allem in die Höhe, weil viel mehr getestet wird und sei das Infektionsgeschehen ansonsten stabil, müsse das berücksichtigt werden und „in die Bewertung des Infektionsgeschehens miteinfließen“, so das Gesundheitsministerium. Das Problem: Es gibt keine solide Datenbasis für eine solche Bewertung.

Land Nordrhein-Westfalen will bundesweite Klärung für Corona-Notbremse

Wie auch? Schließlich ist NRW von einer funktionierenden Testinfrastruktur noch weit entfernt. So muss das Schulministerium am Montag einräumen, dass es an den weiterführenden Schulen des Landes bis zum Beginn der Osterferien am 29. März nur einen einzigen Corona-Selbsttest pro Kopf geben wird.

„Die Strukturen sollen sehr schnell entstehen“, versprach Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am vergangenen Donnerstag. Die Öffnungsstrategie hänge auch vom Testen und der massenhaften Verfügbarkeit von PCR-, Selbst- und Schnelltests ab. Da sehe er kein Problem. „Alle Fachärzte, Ärzte und Apotheken können das mit geschultem Personal.“

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Es gibt aber doch eins. Zumindest aus Sicht der Kommunen, die an der 100er- Inzidenz kratzen oder sie wie Köln, Duisburg und Hagen längst überschritten haben. Wie die meisten Städte und Kreise mit besonders stark gestiegenen Corona-Fallzahlen wollen sie zunächst die Entwicklung abwarten, ob der Wert in den nächsten Tagen stabil und signifikant über der Marke bleibt. Sollte das der Fall sein, sei zudem eine Abstimmung über etwaige Maßnahmen mit dem Land notwendig. Das jedoch will darüber aber auch nicht im Alleingang entscheiden, sondern sieht bundesweiten Klärungsbedarf.

Städte und Kreise in NRW warten erst mal ab

Was also tun? Köln erwägt für den Fall weiterhin hoher Infektionszahlen beispielsweise eine Anpassung der Test- und Impfstrategie, heißt es am Montag. Auch die Stadt Herne, mit einem Wert von 171,9 Spitzenreiter bei den Neuinfektionen in NRW, teilt nach Beratungen des Krisenstabs mit, es werde zunächst keine weiteren lokalen Einschränkungen des öffentlichen Lebens geben. Die Stadt führt die gestiegenen Fallzahlen im Wesentlichen auf Ausbrüche in der Behindertenhilfe zurück und nennt das Infektionsgeschehen „abgrenzbar“. Allerdings beobachte man das Infektionsgeschehen genau und behalte sich vor, bei einem weiteren Anstieg Maßnahmen zu ergreifen.

Landesweit ist die wichtige Kennziffer der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen in NRW nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) auf 81,2 gestiegen. In 14 kreisfreien Städten und Kreisen lag sie am Montag über der Marke von 100.

Der Kreis Kleve mit einer Inzidenz von 109,5 teilt mit, keine verschärften Maßnahmen zu planen, ebenso der Kreis Minden-Lübbecke mit einer Inzidenz von 100,2. Die Leiterin des dortigen Krisenstabs, Cornelia Schöder, berichtet, die steigenden Zahlen seien nach bisherigem Stand nicht auf Lockerungen im Einzelhandel zurückzuführen. Ansteckungen fänden vor allem im privaten und beruflichen Bereich statt und würden dann in Kindergärten wie Schulen weiterverbreitet. Vor allem durch mutierte Virusvarianten sei dann meist gleich eine ganze Familie und ihr Umfeld betroffen. Kurzfristige Verschärfungen seien jedoch nicht geplant.

Der Märkische Kreis mit aktuell einer Wochen-Inzidenz von 152,4 teilt mit, man habe sich entschieden „die landesweiten vorsichtigen und überlegten Öffnungsschritte mitzugehen“.

Der Versuch aus dem Kreis Düren (Inzidenz von 125,8) und dem Oberbergischen Kreis (104,8), eine Rückkehr zum Präsenzunterricht an den dortigen weiterführenden Schulen zunächst zu verschieben, scheitert hingegen am Veto des Schulministeriums. (mit dpa)

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