Bonner Politologe„Grüne spielen jetzt Schlüsselrolle bei den Koalitionen“

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Grüne Kommunalwahl Symbolbild dpa

Die Grünen konnten in NRW bei der Kommunalwahl Erfolge feiern.

  • Die Grünen sind in vielen Kommunen die Gewinner der Wahl.
  • Der Bonner Politologe Frank Decker sieht eine Zäsur in der deutschen Politik. Längst nicht mehr nur junge Wähler erachten Klima- und Umweltschutz als wichtig.
  • Decker ist zusammen mit Volker Kronenburg wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik. Lesen Sie seine Analyse.

Herr Professor Decker, was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis aus der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen? Frank Decker: In einem Vielparteien-System, das auf kommunaler Ebene ohne Fünf-Prozent-Hürde ja besonders buntscheckig ist, wird jetzt die zentrale Bedeutung der Koalitionsbildung sichtbar. Die Grünen haben sich in der deutschen Parteienlandschaft auf eine Position vorgearbeitet, auf der an ihnen kein Weg mehr vorbeiführt. Sie sind nun auch kommunalpolitisch in die Scharnier-Rolle hineingewachsen: An ihnen entscheidet sich vielerorts die Mehrheitsbildung in den Parlamenten. Das ist eine Zäsur in der deutschen Politik.

Nach Gewinnen und Verlusten betrachtet, könnte man vermuten, es handele sich um einen internen Austausch zwischen SPD und Grünen. Aber so einfach dürfte die Sache nicht sein.

Mit ihrer Agenda und ihren Inhalten sind die Grünen nach wie vor dem linken Lager zuzurechnen. In der Sozialpolitik, aber auch in der Umweltpolitik haben sie mit der SPD größere Schnittmengen als mit der Union. Das Kräfteverhältnis der politischen Lager bleibt in Nordrhein-Westfalen ausgeglichen: In den großen Städten und im Ruhrgebiet liegen die linken Parteien weiter vorn, auf dem Land dominieren die rechten Parteien, zu denen man die schwächelnde FDP und natürlich die AfD zählen muss. Das sagt aber nichts über die Koalitionen. Da spielen die Grünen jetzt die Schlüsselrolle.

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Wie erklären Sie sich das?

Im Gegensatz zu früher können die Grünen inzwischen gute Umfragewerte auch verlässlich in Wahlergebnisse umsetzen. Das wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Wahljahr 2021 hinein fortsetzen. Ins Auge springt das Abschneiden bei den jungen Wählern, bei denen die Grünen klar Spitzenreiter sind. Die Jungen verstehen den Klima- und Umweltschutz als Generationenfrage. Das spielt der Partei in die Hände. Man sollte darüber aber nicht den überdurchschnittlichen Zuwachs in der Altersgruppe 60 plus vergessen, die zahlenmäßig weitaus mehr Gewicht hat. Auch für sie ist der Klima- und Umweltschutz offenkundig kein Thema mehr, das heute Konjunktur hat, aber schon morgen wieder von der Agenda verschwindet. Selbst in der Corona-Krise ist es bei den wahlentscheidenden Themen ganz oben geblieben. Ich sehe deshalb eine gute Chance, dass die Grünen sich auch 2021 bundesweit als zweite Kraft vor der SPD behaupten.

Was heißt das für die SPD?

Die SPD muss strategisch im Auge behalten, dass sie in der Klimapolitik, aber auch beim für die Städte so wichtigen Thema Verkehr für die Grünen anschlussfähig bleibt und diese im linken Lager halten kann. Gelingt das nicht, spricht für die Grünen wenig dagegen, auch mit der Union zu koalieren. In Nordrhein-Westfalen gibt es für sie ohnehin starke Anreize, durch durch ein Zusammengehen mit der CDU sozialdemokratische Oberbürgermeister abzulösen oder ihnen eine Ratsmehrheit ohne SPD-Beteiligung entgegenzusetzen.

Es wirkt aber doch nicht profilbildend, wenn die Roten unentwegt grün blinken.

Darin liegt aus SPD-Sicht eine gewisse Tragik. Gerade in der aktuellen Situation müsste es eine Konjunktur für sozialdemokratische Politik geben – angesichts einer nach wie vor krassen Bildungsungerechtigkeit, eines zunehmenden Wohlstandsgefälles und der Kluft zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regionen. Es war die SPD, die sich für die Entschuldung notleidender Kommunen eingesetzt hat. Das mag ihr im Ruhrgebiet noch da und dort genützt haben, hat aber insgesamt nicht auf ihr Wahlkonto eingezahlt.

Frank Decker

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Und woran liegt das?

An der anhaltenden Führungsschwäche im Bund, gepaart mit der Schwäche der Landespartei, die trotz einer eher durchwachsenen Bilanz der schwarz-gelben Regierung nicht vom Oppositionseffekt profitiert. Die frühe Ausrufung ihres Kanzlerkandidaten Olaf Scholz hat der SPD bisher nicht genutzt, sie tritt auf der Stelle und dringt so mit ihren Themen nicht durch.

Die CDU hat ihr Ergebnis von 2014 knapp behauptet. Ist das auch eine Testwahl für 2021

Natürlich wirken sich politische Stimmungen im Bund und im Land auch auf Kommunalwahlen aus. Der CDU dürfte der Rückenwind aus Berlin dabei eher geholfen haben als die Landespolitik. Das erfolgreiche Management der Coronakrise durch die Bundesregierung wird vor allem ihr zugeschrieben. Daraus spricht auch das hohe Vertrauen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel weiter genießt. Diese steht aber 2021 nicht mehr zu Wahl. Auch die Themenagenda wird im nächste Jahr eine andere sein als heute.

Armin Laschet möchte CDU-Vorsitzender und Merkels Nachfolger im Kanzleramt werden. Wie beurteilen Sie unter diesem Gesichtspunkt den Ausgang der Kommunalwahl in „seinem“ Bundesland?

Auch da muss man realistisch sein. Armin Laschet hat seine Chancen auf den CDU-Vorsitz gewahrt, wenn nicht sogar verbessert. Die Kanzlerkandidatur steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt. Da werden sich die Unionsparteien für den aussichtsreichsten Bewerber entscheiden. Nach derzeitigem Stand würde der nicht Laschet heißen. Wenn sein Rückstand auf CSU-Chef Markus Söder so groß bleibt, wird es schwer für ihn. Aber auch da kann sich bis nächstes Jahr noch viel bewegen, insbesondere im Fall einer überzeugenden Wahl Laschets zum CDU-Vorsitzenden.

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