Gastbeitrag zu Rassismus„Manche fassen mir einfach ins Haar“

Lesezeit 7 Minuten
Naomi Berhane

Naomi Berhane studiert an der Macromedia in Köln.

  • Naomi Berhane, 22, studiert Journalistik an der Hochschule Macromedia in Köln. Die „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA wühlt sie auf. Auch, weil sie sich selbst betroffen fühlt.
  • Ein Gastbeitrag über Alltagsrassismus und die Verantwortung, ihm entgegenzutreten.

Köln – Meine ersten Erfahrungen mit Rassismus habe ich im Kindergartenalter gesammelt. Ich war vier Jahre alt und natürlich war mir damals noch nicht bewusst, dass es sich um Rassismus handelte. Meine Eltern stammen aus Eritrea, aber aus diversen Gründen bin ich in einer weißen Familie aufgewachsen. An den Kindergarten-Vorfall erinnere ich mich selbst nicht mehr, meine Familie hat ihn mir erzählt. Demnach kam ich aus dem Kindergarten nach Hause und wurde, wie so oft, gefragt, wie es war. Dieses Mal weinte ich los. Ein Kind hatte gesagt, meine Haut „sieht aus wie Kacka“, weil sie braun ist. Heute, mit 22 Jahren, kann ich das einordnen und weiß, dass das Kind keine rassistischen Absichten hatte. Damals traf es mich ins Mark. Denn das Einzige, was ich damit assoziierte, war: „Kacka ist eklig, also bin ich auch eklig.“

Im Alter von fünf Jahren wünschte ich mir nichts sehnlicher als eine „Baby Born“-Puppe. An meinem Geburtstag war es soweit, voller Freude begutachtete ich meinen neuen Schatz. Also: fast voller Freude. Denn meine Familie hatte mir eine „Baby Born of Color“ gekauft. Für sie war das damals selbstverständlich, doch ich hatte im ersten Moment ein Problem damit. Ja, Sie haben richtig gelesen: ICH hatte ein Problem damit. Ich weiß noch, wie ich sagte: „Die sieht aber anders aus als die von meinen Freunden, die haben helle Puppen, das möchte ich auch.“ Mir war nicht bewusst, dass diese Aussage bedeutete, dass ich offenbar dachte, dass ich selbst anders aussehe.

„Warum ist deine Puppe braun?“

Liebevoll wurde mir nahegelegt, dass die Puppe perfekt zu mir passe, und natürlich schloss ich sie in mein Herz und schmiss alle Zweifel über Bord. Bis zum ersten Mal meine Freunde und ich gemeinsam mit unseren Puppen spielten. „Deine Puppe sieht komisch aus“, sagt eine. Einer fragte: „Warum ist deine Puppe braun?“. Ich war verletzt, getroffen auch deshalb, weil ich ja zunächst genau die gleichen Gedanken hatte. Doch ich war selbstbewusst genug, dagegenzuhalten: „Die sieht nicht komisch aus, die sieht aus wie ich und ich bin nicht komisch.“ Das begriffen alle und das Thema kam nicht wieder auf. Und natürlich waren meine Freunde damals nicht rassistisch, sie waren einfach nur ihre hellheutigen Puppen gewohnt, weil sie es nicht anders kannten. Ich durchbrach diese Gewohnheit zum ersten Mal, denn ich war in unserem Freundeskreis das einzige  „Kind of Color“.

Rassismus ist nicht angeboren

Das Beispiel mit der Puppe zeigt auch, dass Menschen nicht von Natur aus rassistisch sind, es wird ihnen nicht in die Wiege gelegt. Man kann seinen Kindern beibringen, was richtig und was falsch ist. Doch das geht nur, wenn man selbst weiß, wie man nicht rassistisch ist. Die meisten denken, Rassismus beginne erst, wenn man beleidigt oder aufgrund von Hautfarbe diskriminiert. Doch  Rassismus geht noch viel tiefer. Ich möchte auf den unterschwelligen und sogenannten positiven Rassismus hinaus. Sie fragen nun vielleicht: „Was? Wie kann denn Rassismus positiv sein?“. Er ist es nicht, gemeint ist etwas anderes. Lassen Sie es mich anhand eines Beispiels erklären.

Sobald man als Person of Color älter wird, begegnet einem Rassismus auf eine andere Art. Ein Satz wie „du siehst aus wie Kacka“, wird zu „wow, deine Haut ist von alleine so schön braun, ich wünschte das wäre bei mir auch so“. Oder aus „deine Haare sind komisch, die sind ja gar nicht glatt“ wird plötzlich „wow deine Haare sind wunderschön, die hätte ich auch gerne, darf ich mal anfassen?“. Solche Sätze sind in sich nicht rassistisch. Aber: Ehe ich auf die Frage reagieren kann, landet eine ungewaschene Hand in meinen frisch gewaschenen Haaren. Stellen Sie sich vor, das würde Ihnen so gehen: Eine fremde Person fasst Ihnen einfach ins Haar, probiert aus, wie Ihre Locken reagieren, wenn man sie nach unten zieht und wieder hochschnellen lässt. Zwirbelt die Haare zwischen Daumen und Zeigefinger, um zu spüren, wie sich diese ungewöhnlichen Haare wohl anfühlen. Na, fühlen Sie sich etwas unwohl? Herzlich Willkommen in meiner Welt.

Die Dauer-Beweislast ist verletzend

Oft höre ich auch: „Deine Haare sind so toll, du musst einfach nur aufstehen und sie sehen perfekt aus, weil du Locken hast!“ Meine Standardantwort darauf: „Nein, meine Haare sehen so aus, weil ich sie frisch gewaschen und mit diversen Pflegeprodukten bearbeitet habe.“ Die Standard-Antwort: „Ach Quatsch, das glaube ich nicht.“ Ich gehe fast nie nie mit ungemachten Haaren aus dem Haus, versuche jeden Tag, meine Haare zu bändigen und im Zaum zu halten. Wie meine Locken aussehen, wenn ich eine Nacht darauf geschlafen habe, oder wie viel Zeit ich unter der Dusche verbringe, nur um meinen ach so schönen Lockenkopf zu bändigen, müssen Sie mir einfach glauben. Denn das zeige ich normalerweise nicht. Auch nicht, wie meine Locken aussehen, wenn ich sie mehrere Tage nicht gewaschen haben. Da könnte man meinen, dass ich ein Vogelnest auf dem Kopf habe. Einer Freundin demonstrierte ich das mal, weil sie mir das einfach nicht abnahm. Erst als sie es selber sah, glaubte sie mir. Aber warum muss ich erst beweisen, dass wahr ist, was ich sage? In vielen Köpfen ist zu bestimmten Themen ein festes Bild verankert, eine eigene Vorstellung, wie es ist. Und an der wird festgehalten, bis – wohlgemerkt – der andere das Gegenteil beweist. Diese Dauer-Beweislast mag nicht böse gemeint sein, aber sie verletzt.

Meine heftigste Rassismus-Erfahrung ist noch nicht lange her. 11. November 2019, Karnevalsstart in Köln. Hinter mir lag der lustigste Uni-Tag meines Lebens. Danach ging ich mit Freunden in ein Fastfood-Restaurant. Wir aßen, hatten unseren Spaß. Mitten hinein fiel ein Satz vom Nebentisch: „Die sitzt hier, schlägt sich den Magen voll und da, wo sie herkommt, verhungern die Leute.“ Mit „die“ war ich gemeint und mit „da wo sie herkommt“ Afrika. Ich ignorierte es, denn mir war klar, dass Alkohol im Spiel war. Ich wollte mir meine Laune nicht verderben lassen. Als kurze Zeit später der gleiche Satz fiel, wurden meine Freunde ebenfalls hellhörig. Höflich fragte ich nach, was diese Aussage soll.

Die Situation eskalierte. Die Gruppe wiederholte den Satz, diesmal in Richtung eines Mitarbeiters, ebenfalls Person of Color, und schleuderten weitere Beleidigungen und Anschuldigungen in meine Richtung. Mir verging der Appetit. Ich war so überfordert mit der Situation, dass ich nicht wusste, was ich sagen soll. Meine Freunde schon. Schnell waren sie den anderen argumentativ überlegen. Dieser Moment der Liebe, der Moment, in dem sie hinter mir standen, mich verteidigten, notfalls bereit, zum Äußersten zu gehen, hat sich noch tiefer in mein Herz eingeprägt als der Hass, der mir von den anderen entgegengeschlagen war. Wenn ich daran denke, steigen mir bis heute Tränen in die Augen: In dem Moment, in dem ich zu schwach war, meine Stimme zu erheben, wurde sie für mich erhoben. Ich weiß nicht, wie viele Menschen es waren, mindestens zehn, die mich plötzlich umringten und aufbauten mit Umarmungen und Worten, wie „lass dich davon nicht unterkriegen“, „du bist besser als die, vergiss das nicht“ und „ich mag keine Rassisten“. Ich fühlte mich sicher. Fast im selben Moment, in dem ich den Glauben an die Menschheit verloren hatte, wurde er mir wiedergeschenkt.

Ich weiß, dass ich wahninniges Glück habe, in Deutschland geboren zu sein. Ich komme aus einer Familie, die mir gute Bildung ermöglichen kann. Ich weiß, dass viele solche Zukunftsperspektiven nicht haben. Aber ich weiß auch, dass es nicht meine Schuld ist, dass Menschen in Dritte-Welt-Ländern verhungern, wie es mir vorgeworfen wurde. Und klar: Ich befolge den Rat meiner Verteidiger und nehme mir solche Kommentare nicht zu Herzen. Ich definiere mich nicht über Aussagen anderer Menschen. Aber ich muss zugeben: In schwachen Momenten denke ich manchmal, dass diese verletzenden Worte wahr sind.

Rassismus kommt nicht immer durch Hass, er kommt auch durch Gewohnheit und durch zu wenig Bildung, durch zu wenig Wissen darüber, was Rassismus überhaupt ist. Nehmen Sie die aktuelle Situation in dieser Welt zum Anlass, sich zu informieren. Um Ihren Kindern zu zeigen, was richtig und was falsch ist. Um zu zeigen, dass es keinen Unterschied macht, welche Hautfarbe eine Person hat oder woher sie stammt. Aber vor allem schauen Sie auf sich selbst, schauen Sie, was Sie anders machen können. Jeder Einzelne von uns kann diese Welt zu einem besseren Ort machen.

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