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Grünen-Gründerin Eva Quistorp„Wir standen gegen das Mackertum“

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ARCHIV - Gründungsparteitag der Grünen in Karlsruhe (Archivfoto vom 13.01.1980).

Gründungsparteitag der Grünen in Karlsruhe am 13. Januar 1980 (Archivfoto)

Die Mitbegründerin der Grünen, Eva Quistorp, spricht zu ihrem 80. Geburtstag über ihren Kampf für Frauenrechte, Konflikte in der Partei und deren Fehler in der Friedens- und Migrationspolitik.

Frau Quistorp, Sie sind in einer evangelischen Pfarrerfamilie in der westfälischen Provinz aufgewachsen, haben in Berlin während der Studentenbewegung Germanistik, Politikwissenschaft und evangelische Theologie studiert und sind Gymnasiallehrerin geworden. Was hat Sie damals dazu gebracht, statt einen bürgerlichen Lebensweg einzuschlagen die Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung mitzuinitiieren und später die Grünen mitzugründen?

Eva Quistorp: Ich gehörte zur Nachkriegsgeneration, die einen Bruch mit der Vergangenheit wollte und die Chance dazu hatte. Heute glaube ich allerdings, dass ich doch stärker von meinem Elternhaus geprägt wurde, als ich damals dachte. Ich bin in Detmold geboren. Meine Eltern gehörten zum Flügel der Bekennenden Kirche von Bonhoeffer und Niemöller, die für Juden gebetet haben und nicht nur für den Erhalt der evangelischen Kirche gegen die Nazis protestierten. Mein Vater war auch an den Protesten gegen die Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren beteiligt. Dadurch kam auch ich in Kontakt zu Gustav Heinemann und Erhard Eppler.

Eva Quistorp, Mitgründerin der Grünen, bei der Berlin-Premiere des Films Petra Kelly im Jahr 2024.

Eva Quistorp, Mitgründerin der Grünen, bei der Berlin-Premiere des Films Petra Kelly im Jahr 2024.

Und der Weg zur Umweltbewegung?

Der kam aus dem Pfarrhaus mit Garten. Da habe ich den Jahresverlauf der Natur erlebt. Das war mit Arbeit wie Unkrautjäten, aber auch mit Freuden verbunden. Die Nähe zu Bäumen und Blumen, die Apfelbaumplantage meines Onkels und eine Kuh zu hüten, das war eine gute Ergänzung zum Bildungsbürgertum meiner Familie. Das hat mich wohl zur Umweltkämpferin gemacht. Bei den 68ern und denen, die später aus den K-Gruppen zu den Grünen kamen, spielte die Umwelt überhaupt keine Rolle.

Ich wollte Herrschaftsstrukturen und Machtapparate vermeiden.
Eva Quistorp

Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass aus den teilweise chaotischen Anfängen Jahrzehnte später eine staatstragende Partei würde, die das Land nachhaltig verändert und geprägt hat?

Ich hätte nicht gedacht, dass sie so mächtig würde im Sinne eines auch kulturellen Einflusses. Petra Kelly hatte damals den Slogan der Anti-Parteien-Partei ausgegeben. Aber gleichzeitig waren sie und andere durchaus an Macht interessiert, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Das war nicht mein Denken, wie bei vielen in den Basisbewegungen in ganz Europa. Dort haben mir manche übel genommen, als ich mich dann doch für die Grüne Partei als Reformprojekt einsetzte, um zu verhindern, dass sich der Widerstand immer mehr radikalisierte. Von der Idee der Graswurzelbewegung habe ich dennoch nicht gelassen.

Warum haben Sie als Mitgründerin nie ein führendes Amt in der Partei oder einen Ministerposten in einer Regierung übernommen? Wollten Sie das nicht, oder wollte man Sie nicht?

Petra Kelly wollte mehr Frauen in die Spitze. Meine Haltung dagegen war: gemeinsam sind wir stark. Ich wollte Herrschaftsstrukturen und Machtapparate vermeiden. Als Geschäftsführerin der gerade entstehenden Friedensbewegung habe ich dann die großen Demonstrationen in Bonn und eine Menschenkette in Baden-Württemberg organisiert. Ohne diese beiden Bewegungen wären die Grünen 1983 nicht in den Bundestag gekommen. Ich war das Bindeglied. Parteikarriere habe ich dadurch jedoch nicht gemacht.

Wir sind vom Grünen-Männerapparat schlecht behandelt worden und ziemlich vergessen.
Eva Quistorp

Haben Sie den Eindruck, dass ihre Rolle bei der Gründung der Grünen nicht genug gewürdigt wird?

Petra Kelly und Waltraud Schoppe, die beide zum ersten Vorstand gehörten und wie ich aus der Frauenbewegung kamen und gegen das Mackertum standen, werden nicht in der Bedeutung wahrgenommen, die wir hatten. Wir sind alle vom Grünen-Männerapparat schlecht behandelt worden und ziemlich vergessen.

Obwohl Sie die Friedensbewegung mit geführt haben, haben Sie früh vor einem Völkermord im zerfallenden Jugoslawien gewarnt und die Nato zum Eingreifen in Bosnien gedrängt - gegen Widerstände in Ihrer Partei. Und Sie haben auch schon früh vor Putin und seinen Kriegsplänen gewarnt. War der Pazifismus naiv? Hat er gegen die falschen Feinde mobilisiert und den wirklichen Kriegstreibern bis heute das Feld bereitet?

Auch ich war in den 1980er Jahren von einem Idealismus getragen. Wie bei allen sozialen Bewegungen gab es einen Überschuss an gutem Willen. Der reicht aber nicht. Die Friedensbewegung war aber nicht durch und durch pazifistisch. Zum Teil war sie eine Anti-Atomwaffenbewegung. Das ist weiterhin dringend. Ich habe es auch als eine Art Wiedergutmachung der Deutschen gesehen, dass sie noch einmal in ihre Familiengeschichten schauen und den Militarismus und Chauvinismus abbauen. Es gab allerdings auch einen starken Einfluss aus der kommunistischen Ecke und aus der DDR.

Alice Schwarzer hat mir schon immer Verrat an der feministischen Bewegung vorgeworfen.
Eva Quistorp

Aber tragen Sie nicht Mitverantwortung dafür, dass bei vielen Deutschen heute eine „Ohne mich“-Haltung herrscht?

Ich habe früh Demonstrationen gegen Putin und seine Kriegstreiberei organisiert. Auch um gegen falsche Vorstellungen anzugehen, man könne mit sozialer Verteidigung seinen Imperialismus und Faschismus aufhalten. Und mit Nett-Sein und Lieferkettengesetzen alles Böse von Deutschland fernhalten. Aber manchmal zerreißt es mich selbst, weil ich lieber meine verbliebene Energie in die gute alte Friedensarbeit stecken würde, als mit Argumenten dagegen anzuarbeiten.

Haben Sie noch Berührungspunkte zu Alice Schwarzer, die mit Sahra Wagenknecht und anderen die Ukraine im Grunde zur Kapitulation aufruft.

Was uns eint, ist der Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen durch Islamisten. Sie hat mir aber schon immer Verrat an der feministischen Bewegung vorgeworfen, weil ich die Frauen- mit der Friedensfrage verbunden habe. Dadurch hätte ich sie dahinter zurückgestellt.

Als Urgrüne habe ich 2015 Horst Seehofer zugestimmt, dass wir eine Obergrenze brauchen.
Eva Quistorp

Die Grünen haben sich immer für Migranten und deren Rechte eingesetzt. Tragen sie Mitverantwortung dafür, dass durch mangelnde Integration muslimische Einwanderer sich nun offen gegen Juden, gegen die westliche Kultur, gegen Frauenrechte und Homosexuelle wenden?

Auch wir Grünen haben nicht genau hingeschaut, wer wirklich Schutz braucht und Recht auf Asyl hat und wer nicht. Ich habe früh davor gewarnt, dass wir die Gesellschaft nicht überfordern dürfen. Als Urgrüne habe ich 2015 öffentlich Horst Seehofer zugestimmt, dass wir eine Obergrenze brauchen. Die grenzenlose Globalisierung geht mit einer unbegrenzten Migration einher. Es kann aber nirgendwo Grenzenlosigkeit geben. Es gibt nur grenzenlose Liebe. Die kann man aber nur selbst leben. Man kann sie nicht anderen oktroyieren und zum politischen Programm machen.

Das war aber 2015 die allgemeine Stimmung.

Kurz vor ihrer Kehrtwende hat Merkel damals im Fernsehen noch einem palästinensischen Mädchen gesagt: „Wir können nicht alle aufnehmen.“ Das war eine richtige, vernünftige Haltung. Daraufhin wurde sie in den Medien als kaltherzig denunziert. Insofern tragen auch die Medien eine Mitverantwortung dafür, was dann passiert ist. Ich habe oft Shitstorms erlebt, aber durchgehalten. So erhält man jedoch nicht seine politische Karriere.

Das Gespräch führte Ludwig Greven