Interview mit der AußenministerinWie mulmig ist Ihnen beim Blick auf die Welt, Frau Baerbock?

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Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Gespräch mit Kristina Dunz und Daniela Vates.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Gespräch mit Kristina Dunz und Daniela Vates.

Außen­ministerin Annalena Baerbock (Grüne) spricht im Interview über die aktuellen Bedrohungen in Deutschland und der Welt. Dabei erklärt sie, was Demokratie mit Waschmittel zu tun hat, wie sich Deutschlands Wehrhaftigkeit stärken lässt und was es für Frieden im Nahen Osten braucht.

Frau Baerbock, Krieg in der Ukraine, Krise in Nahost, Donald Trump mit Aussicht auf eine zweite Amtszeit als US-Präsident, Aufstieg der Rechts­populisten in Deutschland und in Europa. Wie mulmig wird Ihnen, wenn Sie gerade an die Welt denken?

Baerbock: Es gab definitiv schon mal einfachere Zeiten. Und ich verstehe, dass manche das Gefühl haben, sich nur noch zu Hause einigeln zu wollen. Aber ich glaube, das wäre die schlechteste Variante. Wir wissen aus der eigenen Geschichte: Gerade, wenn Freiheit und Demokratie der Wind ins Gesicht bläst, sollte man sich dem standhaft entgegenstellen.

In Deutschland haben in den vergangenen Wochen Hundert­tausende gegen Rechts­extremismus demonstriert. Wie gefährdet ist die deutsche Demokratie?

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Nicht ohne Grund haben unsere Großväter und Großmütter die wehrhafte Demokratie im Grund­gesetz verankert. Um unsere freiheitlich demokratische Grund­ordnung zu schützen. Um die Würde eines jeden Menschen zu schützen. Das ist die Seele unseres Landes. Dass in jedem Winkel der Republik Alt und Jung auf die Straße gehen, um diese gegen Rechts­extremisten zu schützen, zeigt die Stärke unserer liberalen Demokratie und Gesellschaft. Dafür bin ich dankbar. Das gibt Zuversicht.

Die Straße ist das eine, die Wahlkabine das andere.

Das stimmt. Daher ist Wählen­gehen so wichtig. Wir brauchen, wenn wir frei sein wollen, die Demokratie wie die Luft zum Atmen. Und dazu gehört nun mal, regelmäßig sein Kreuz zu machen. Sicher geben wir derzeit als Regierung nicht die beste Figur ab. Aber es gibt ja auch noch andere demokratische Parteien, wenn sicher auch nicht die eine perfekte. So ist es doch eigentlich immer im Leben. Ich sag’s mal flapsig: Jeder braucht Waschmittel. Das eine ist teuer, beim nächsten weiß man nicht, was wirklich drin ist, das Dritte ist öko, riecht aber nicht wie in der Werbung, und das Zehnte kriegt die Flecken nicht raus. Trotzdem entscheidet man sich für ein verdammtes Waschmittel. Weil’s sonst stinkt.

Für die Regierung hieße das: weniger streiten?

Auf jeden Fall anders. Streit in der Sache gehört zu einer Demokratie, zu jeder wichtigen Entscheidung dazu. Nur wie man über diese Themen streitet, das darf nicht abschreckend sein. In letzter Zeit hat die Ampel zuweilen so gewirkt, als wäre Streit Sinn an sich. Das sollten wir abstellen. Gerade in einer verunsichernden Welt müssen politische Verantwortungs­trägerinnen und ‑träger Sicherheit und Vertrauen geben, dass wir gemeinsam zu guten Lösungen kommen und das Land in stürmischen Zeiten zusammen­halten.

Wie?

Indem auch wir selbst den Kompromiss wieder stärker wertschätzen und wegkommen vom Gedanken, dass nur einer gewinnen und verlieren kann. In einer Dreier­konstellation geht das ohnehin nicht. Und auch nicht in so stürmischen Zeiten, bei so komplexen Themen wie der zeitgleichen Modernisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaft. Da gibt es einfach keine fertige, perfekte Lösung. Es geht nur mit Kompromissen. Und wir sollten unser wunder­schönes Land nicht immer schlecht­reden.

Klar läuft nicht alles rund – auch ich verzweifle als Mutter manchmal, dass Schulen das Geld fehlt, weiß, wie es ist, wenn auf dem Land nur zweimal am Tag ein Bus kommt, wenn man mancherorts monatelang auf einen Facharzt­termin wartet. Aber zugleich sind wir eines der wohlhabendsten Länder der Welt. Jeder ist hier sozial abgesichert. Und was für ein Glück, dass wir im Herzen Europas in Frieden und Freiheit leben. Das sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen – und nicht immer nur das Haar in der Suppe suchen.

Was passiert, wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahl Ende des Jahres gewinnt und dann wie angedroht die USA aus der Nato austreten lässt?

Ein Mann, der öffentliche Institutionen und internationale Allianzen verächtlich macht, der glaubt, dass jede Wahl gefälscht ist, die er nicht gewinnt, würde uns natürlich vor große Heraus­forderungen stellen. Wir erweisen aber der amerikanischen Demokratie einen Bären­dienst, wenn wir den Wahlausgang in den USA jetzt schon herbei­reden. Zugleich stärken wir mit unseren europäischen Partnern unsere eigene europäische Verteidigungs­fähigkeit. Und das kommt auch allen Nato-Alliierten zugute.

Muss Deutschland sich vor dem Hintergrund eines möglichen Rückzugs der USA darauf einstellen, mehr als 2 Prozent des Brutto­inland­produkts für Verteidigung auszugeben?

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein Angriff auf die europäische Friedens­ordnung. Wir müssen uns als Europäer souveräner aufstellen, ganz unabhängig von den Entwicklungen in den USA und deswegen erhöhen wir unsere eigenen Verteidigungs­fähigkeiten. Zugleich brauchen wir eine wirkliche Europäische Sicherheits- und Verteidigungs­union, in der zum Beispiel die einzelnen nationalen Rüstungs­projekte europäisch besser verzahnt werden und zukünftig besser gemeinsam beschafft und produziert wird.

Gehört dazu ein nuklearer Abwehrschirm für Europa? Ihr Vorgänger Joschka Fischer hat Atomwaffen für die EU gefordert.

Putins Brutalität hat nicht nur den Angriffskrieg nach Europa zurück­gebracht, sondern auch alle abrüstungs­politischen Initiativen mit Russland zerstört. Deswegen ist die nukleare Teilhabe in der Nato unverzichtbarer Teil unserer Sicherheit. Wie wichtig das transatlantische Verteidigungs­bündnis gerade auch für Osteuropa ist, sehen wir dieser Tage und deswegen verstärken auch wir mit der Bundeswehr die Ostflanke der Nato.

Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass Russland ein Nato-Land überfällt?

Wer aus ukrainischen Schulen und Heimen Kinder verschleppt, sie in Russland zur Zwangs­adoption freigibt und ihren Namen verändert, damit die Mütter sie auch niemals wieder­finden können, wer systematisch in der besetzten Ostukraine Menschen foltert, wer davon spricht, dass die Ukraine vergewaltigt werden muss, bringt zum Ausdruck: Bei dem kann man nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen. Gerade deswegen müssen wir alles dafür tun, dass die freie Ukraine und nicht Russland diesen Krieg gewinnt und sich der Krieg nicht weiter ausweitet.

Dazu gehört auch, dass die Nato-Abschreckung glaubwürdig bleibt. Und deswegen ist es so essenziell, dass wir die Ukraine nicht im Stich lassen und Waffen­lieferungen zur Selbst­verteidigung an die Ukraine fortführen. Auch ich wünschte, dass der Krieg endlich vorbei ist. Aber ein Stopp unserer militärischen Unterstützung würde Putins imperialen Landhunger nur vergrößern. Uns also selbst gefährden. Für den Frieden, den wir uns alle so wünschen, muss Putin seine Truppen endlich zurückziehen.

Muss Deutschland kriegstüchtig werden, wie es Verteidigungs­minister Boris Pistorius sagt?

Klar müssen wir wehrhafter werden. Ich hätte mir vor ein paar Jahren selbst nicht vorstellen können, das sagen zu müssen. Aber mit Russlands chauvinistischem Imperialismus ist der Krieg nach Europa zurück­gekehrt, und wir müssen in der Lage sein, uns selbst zu verteidigen. Dazu gehört die Unterstützung der Ukraine. Wird sie aufgegeben, würde das den Krieg nicht beenden, sondern den Frieden in Europa noch weiter zerstören. Es wäre eine Unterwerfung angesichts des russischen Angriffs­kriegs, Russland könnte sich ermutigt fühlen.

Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, unterhalten sich vor Beginn der Sitzung im Bundestag.

Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, unterhalten sich vor Beginn der Sitzung im Bundestag.

Pistorius forciert außerdem die Debatte über eine Wieder­einführung der Wehrpflicht oder eine allgemeine Dienstpflicht. Wäre das sinnvoll?

Wehrhaftigkeit bedeutet nicht nur, dass wir Waffensysteme haben, die funktionieren. Es bedeutet auch, dass wir im Zweifel unseren Frieden selbst stärker verteidigen können. Die letzten Jahrzehnte hatten wir das große Glück, dass dieser nicht direkt gefährdet war und unsere Bundeswehr nur in internationalen Missionen zum Einsatz kam. Mit diesem europäischen Frieden hat Putin brutal gebrochen. Zeitenwende heißt daher auch, dass es absolut richtig ist, dass der Verteidigungs­minister intensiv darüber nachdenkt, wie wir die dafür nötige Zahl von Soldatinnen und Soldaten garantieren können. Aber wie immer: Es helfen keine Schnellschüsse.

Was meinen Sie?

Mein geschätzter Kollege Boris Pistorius hat zu Recht betont, dass man nicht einfach alten Wein in neue Schläuche füllen kann. Die Wehrpflicht galt nur für Männer, das wäre heute nicht mehr möglich. Die Aussetzung der Wehrpflicht hat auch bei den sozialen Trägern große Lücken gerissen, weil der Zivildienst gleich mit abgeschafft wurde. Diese Lücke klafft in der Pflege, in Kitas, in vielen anderen sozialen Bereichen. Diese spannende gesellschaftliche Debatte beinhaltet ja viele Möglichkeiten. Zum Beispiel, wie wir Freiwilligen­dienste und Bundeswehr über Anreize attraktiver machen. Das geht von Finanzen bis zur Anrechnung beim Warten auf Studien­plätze. Aber junge Menschen sollten nicht den Eindruck haben, dass sie bei allen Themen die Lücken ausbaden müssen. Die Stärkung unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts ist ja ein Thema für alle Generationen.

Das heißt, auch Ältere sollten sich für einen Freiwilligen­dienst in die Pflicht nehmen lassen?

Es muss ja gar nicht automatisch eine Pflicht sein. Unzählige Menschen wollen sich auf die eine oder andere Art für unser Land einbringen. Und ja, das machen ja mittlerweile auch viele im Alter. Als Lesepaten in Schulen zum Beispiel. Darüber nachzudenken, wie wir das gesellschaftliche Engagement hier noch vergrößern, glaube ich, lohnt sich. Erst recht in diesen Zeiten, in denen die Stärkung des Miteinanders eine unserer wichtigsten Aufgaben ist.

Schauen wir auf Gaza. Es gibt Berichte über einen erneuten Versuch, Geiseln und Gefangene auszutauschen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Konflikt sich bald lösen lässt?

Den Konflikt zu lösen, ist eine Mammut­aufgabe. Aber das akute Leid zu lindern, das können wir, und daran arbeiten wir rund um die Uhr. Auch wenn es an manchen Tagen zum Verzweifeln ist. Wir tun mit den USA, mit Großbritannien, mit den arabischen Partnern alles, damit es endlich wieder zu einer humanitären Waffen­pause kommt. Damit die über 120 Geiseln endlich freikommen und zugleich die humanitäre Katastrophe in Gaza gelindert wird. Das Drehbuch des Terrors darf nicht weiter aufgehen. Daher ist die humanitäre Waffen­pause das Alleraller­wichtigste. Und zugleich geben wir nicht auf, an einer dauerhaften Friedens­perspektive zu arbeiten. Denn Israel wird nur in Sicherheit leben, wenn Palästinenser in ihrem eigenen Staat in Sicherheit leben. Und zugleich kann es diesen eigenen Staat aber nur geben, wenn Israelis endlich auch in Sicherheit leben können.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu lehnt eine solche Zweistaaten­lösung explizit ab. Wie kann es da zu einer Lösung kommen?

Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson, weil jüdisches Leben durch Nazi-Deutschland millionenfach ausgelöscht wurde. Es ist daher die Verantwortung Deutschlands, unverrückbar an der Seite Israels zu stehen und für seine Sicherheit einzustehen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nachhaltige Sicherheit für Israel am Ende nur entsteht, wenn auch die Palästinenser in einem eigenen Staat in Sicherheit und Würde leben. Dazu müssen Israel und Palästinenser zugleich anerkennen, dass die Sicherheit des anderen die Lebens­garantie für einen selbst ist. Das kann aus meiner Sicht nur in der Zweistaaten­lösung funktionieren. Das Gute an Demokratien ist ja, dass über solch große Fragen die Menschen in Wahlen zur Aufstellung der Regierung auch selbst entscheiden können.

Eine Zweistaaten­lösung gibt es nicht von heute auf morgen. Was braucht es auf dem Weg dahin?

Nötig sind drei Elemente: Sicherheits­garantien, Verwaltungs­struktur, Wieder­aufbau. Gerade wir Deutschen, die wir unsere eigene Demokratie nach dem Krieg der internationalen Gemeinschaft verdanken, können dazu aus unserer Erfahrung beitragen. Für mich ist klar: Es braucht internationale Sicherheits­garantien, damit aus Gaza kein hasserfüllter Terror mehr ausgeht. Und die Menschen in Israel sicher sind. Es braucht den Aufbau einer echten palästinensischen Verwaltung. Die Reform der Palästinenser­behörde spielt dabei eine wichtige Rolle. Damit würde dann auch UNRWA nicht mehr gebraucht, das derzeit ja Dinge wie Bildungs- und Gesundheits­versorgung in Gaza mit übernimmt.

Und natürlich einen Wieder­aufbau des zerstörten Gazas. Also eine Art Marshallplan für den wirtschaftlichen Aufbau. All diese Puzzleteile, zu denen noch zig andere gehören, wie die Frage des Rückbaus der Siedlungen, die Anerkennung des palästinensischen Staates im Rahmen des Friedens­prozesses, und andere. Wir müssen sie jetzt zusammen­bringen. Das Gute ist, auch dafür haben wir gleich­gesinnte Partner. Was allerdings weiter fehlt, sind Verbindungs­stücke. Solange die Geiseln nicht frei sind und das tägliche unmenschliche Leiden der Kinder und Zivilbevölkerung nicht schwindet, ist der gordische Knoten schwer zu zerschlagen und kann niemand über den Tag danach reden. Deswegen ist eine neue Feuerpause so zentral.

Welchen Platz hat in diesem Prozess das UN-Palästinenser­hilfswerk UNRWA, dem zu große Nähe zur Terror­organisation Hamas vorgeworfen wird, überhaupt noch. Einige Mitarbeiter wurden wegen Verwicklung in die Massaker vom 7. Oktober entlassen.

UNRWA ist kein Selbstzweck, sondern wurde vor Jahrzehnten von den Vereinten Nationen als humanitäres Hilfswerk geschaffen. Die UNRWA-Strukturen in Gaza werden auch von anderen Akteuren der Uno wie zum Beispiel Unicef oder dem Welternährungs­programm genutzt. Sie sind in diesen akuten Kriegstagen auf die Schnelle nicht wirklich ersetzbar, auch weil die anderen Organisationen dort derzeit ohne Sicherheits­zusagen der israelischen Armee nicht mehr wirklich helfen können. Die Menschen brauchen aber Wasser, Lebens­mittel und vor allem Medikamente. Schwer verletzte Kinder müssen derzeit wegen fehlender medizinischer Versorgung ohne Narkose operiert werden. Als zweitgrößter humanitärer Geber in Gaza haben wir daher der Uno gemeinsam mit unseren Partnern deutlich gemacht, dass sie nach diesen unglaublichen Vorfällen bei UNRWA klare Konsequenzen ziehen müssen, damit diese humanitäre Hilfe weitergehen kann, damit wir unsere Zahlungen fortsetzen können.

Was sagen Sie zu der Ankündigung des israelischen Verteidigungs­ministers Gallant, jetzt nach Rafah vorzustoßen?

Das habe ich mit Schrecken gehört. Ich mache seit einiger Zeit mit unseren amerikanischen Partnern gegenüber der israelischen Regierung deutlich, dass sich die Menschen in Gaza nicht in Luft auflösen können. Jetzt in Rafah, an dem letzten und überfülltesten Ort, vorzugehen, wie vom israelischen Verteidigungs­minister angekündigt, wäre einfach nicht zu rechtfertigen. Ein Großteil der Opfer sind Frauen und Kinder. Stellen wir uns einfach vor: Es wären unsere Kinder.

Im Bundestag ließ sich beobachten, dass sie die Reden der Holocaust­­überlebenden Eva Szepesi und des Reporters Marcel Reif sehr erschüttert haben. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen?

Bitte, bitte lass diese eigentlich so einfache Botschaft – „Sei ein Mensch“ – jeden hören. Denn das Drama der Unmenschlichkeit ist doch, dass allzu oft der vermeintlich andere nicht mehr als Mensch gesehen wird. Es gibt immer wieder Weggabelungen, an denen sich Menschen und Gesellschaften entscheiden. Bei Eva Szepesi hat sich das gezeigt, als ihre Freunde nicht mehr mit ihr spielen durften, bloß weil sie Jüdin war. Weil in Deutschland damals eben viel zu wenig sagten: Nein, sie ist ein Mensch, ein elfjähriges Kind. Weil die Mehrheit nicht bereit war, sich vorzustellen: Was würde ich tun, wäre es mein Kind. Daher hat mich der Appell von Eva Szepesi so berührt, weil es auch heute die wichtigste Frage ist, um zu Frieden zu kommen. Welche Kraft muss eine Mutter haben, ihre Elfjährige wegzuschicken, weil sie nur so das Leben ihrer Tochter retten kann. Ich habe mich gefragt, was würde ich als Mutter tun. Und das frage ich auch bei meinen Gesprächen im Nahen Osten: Stellen Sie sich vor, es wäre Ihr Kind. Denn wenn wir bereit sind, das Leid des anderen, das eigene Kind im Kind des anderen zu sehen, dann treffen wir andere Entscheidungen. Dann können wir gar nicht anders, als Mensch zu sein.

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