Kriegsverbrechen in ButschaSatellitenfotos widerlegen Behauptungen des Kremls

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Luftaufnahme von Butscha

Luftaufnahme von Butscha

Als die ukrainischen Streitkräfte die zurückeroberte Stadt Butscha betraten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Hunderte Leichen waren in den Straßen verstreut, viele nicht einmal abgedeckt. Einige lagen erschossen neben ihrem Fahrrad, andere im Straßengraben. Etwa 350 Leichen wurden bisher gefunden, berichtete die „Ukrajinska Prawda“ unter Berufung auf örtliche Bestattungsunternehmen, und es werden jeden Tag mehr.

Die Ukraine macht russische Soldaten für die Gräueltaten verantwortlich und spricht von Kriegsverbrechen. Russland weist das kategorisch zurück und spricht von einer „Inszenierung des Kiewer Regimes für westliche Medien“. Längst ist eine gigantische Propagandamaschinerie gestartet, um auf allen Kanälen Zweifel an einer Verantwortung Russlands zu streuen und die Ukraine für die Taten verantwortlich zu machen. Auch Politiker der AfD springen darauf auf und verbreiten die Fake News aus dem Kreml.

Russisches Narrativ wird unzählige Male verbreitet

Russland versucht unter Hochdruck die Deutungshoheit in den Sozialen Medien darüber zu erlangen, was in Butscha passiert ist. Das Narrativ des Kremls lautet: Russische Truppen hätten am 30. März die Stadt verlassen und zu diesem Zeitpunkt seien alle Bewohner am Leben gewesen. Die Bilder aus Butscha seien inszeniert, es gebe gar keine Toten. Bei den Körpern seien nach vier Tagen keine Leichenstarre und keine typischen Leichenflecken zu sehen, versucht das russische Verteidigungsministerium bei Facebook Zweifel an der Echtheit zu streuen.

Bei Telegram wird dieses Narrativ unzählige Male verbreitet, auch in deutschen Gruppen, und das mit einer auffällig ähnlichen Wortwahl zum russischen Verteidigungsministerium: „Alle Leichen der Menschen, deren Bilder vom Kiewer Regime veröffentlicht wurden, sind nach mindestens vier Tagen des russischen Abzugs immer noch nicht erstarrt, weisen keine charakteristischen Leichenflecken und trockene Wunden auf“, heißt es zum Beispiel in der Gruppe „Neues aus Russland“ mit mehr als 100.000 Mitgliedern. Dahinter steckt die Russland-Aktivistin Alina Lipp, die nach eigenen Angaben als „offizielle Kriegskorrespondentin“ für den russischen staatlichen Medienkonzern Rossiya Segodnya (Russland heute) tätig ist, berichtet „T-Online“. In einem anderen Beitrag der Telegram-Gruppe heißt es, die Ukraine habe die Menschen in Butscha selbst getötet, weil sie „Saboteure“ gewesen sein sollen.

Telegram-Propaganda verbreitet sich rasend schnell im Netz

In unzähligen Telegram-Gruppen findet sich diese Erzählung wieder. Auch beim kremlnahe Propaganda-Telegramkanal „Intel Slava“ mit etwa 340.000 Mitgliedern wird immer wieder behauptet, die Toten seien Saboteure gewesen und deshalb von der ukrainischen Armee getötet worden. Angeblich habe sogar ein ukrainischer Abgeordneter zugegeben, dass der britische Geheimdienst MI6 das Massaker in Butscha geplant habe.

Die Telegram-Beiträge verbreiten sich rasend schnell im Netz und finden sich nicht nur in Gruppen des Messengers wieder. Auch in AfD-Kreisen werden diese Behauptungen aus Russland geteilt. „Wenn Leichen nach angeblich 4 Tage (!) noch nicht extrem stinken, stinkt etwas anderes ganz extrem“, so Johannes Normann auf Twitter, der bei der Bundestagswahl 2017 erfolglos für die AfD in Bayern kandidierte. Der AfD-Europaparlamentarier Maximilian Krah säte bei Twitter ebenfalls Zweifel, dass die Bilder aus Butscha echt seien. Bis zum 2. April hätten Fotos noch keine Verbrechen gezeigt und die Fotos vom 3. April würden Tote mit unbeschädigter Kleidung zeigen.

Satellitenbilder entlarven Russland

Doch Satellitenbilder widerlegen nun alle Behauptungen der russischen Propaganda. Die „New York Times“ hat mehrere Satellitenfotos des Privatunternehmens Maxar, das eigene Satelliten in Besitz hat, ausgewertet und mit den Videos aus Butscha abgeglichen. Die Aufnahmen zeigen, dass von den 20 Leichen auf einem der Videos mindestens elf bereits am 11. März auf der Straße lagen. Zu diesem Zeitpunkt war die Stadt von russischen Streitkräften besetzt, wie Moskau selbst bestätigte. Laut der Satellitenbilder sind die elf Menschen zwischen dem 9. und 11. März getötet worden. Die Toten lagen also mehr als drei Wochen in Butscha, ehe die ukrainische Armee die Stadt zurückeroberte und die Leichen entdeckte. Ein anderes Video zeigt drei weitere Leichen, eine von ihnen neben einem Fahrrad. Die drei Personen sollen laut den Satellitenbildern am 20. oder 21. März ums Leben gekommen sein. Die russische Armee hielt auch zu diesem Zeitpunkt die Stadt nach eigenen Angaben besetzt.

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Das russische Außenministerium hatte nach den Vorwürfen gegen die Armee angebliche Beweise veröffentlicht, wonach das Video aus Butscha nicht echt sei. So soll es Ungereimtheiten geben und die Personen in dem Video gar nicht tot sein. Eine unabhängige Überprüfung der Aufnahmen hatte jedoch schnell ergeben, dass diese Vorwürfe haltlos sind. Obwohl nun auch Satellitenaufnahmen belegen, dass die Menschen während der russischen Besatzung gestorben sind, streitet Russland die Vorwürfe eines Massakers weiter ab. Der russische UN-Botschafter forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates, in der er neue Beweise vorlegen wolle, dass die Ukraine für die Taten verantwortlich sei. Großbritannien, das derzeit die Präsidentschaft des Rates inne hat, lehnte dies ab und verwies auf die bereits angesetzten Sitzung am Dienstag.

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