Neue Mails zeigen, dass die Grünen-Politikerin viel früher über die Identität des Attentäters und dessen gescheiterte Abschiebung informiert war.
Neue Mails zu Anschlag von SolingenWusste Flüchtlingsministerin Paul doch früher Bescheid?

Josefine Paul (Grüne), Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Flucht und Integration in Nordrhein-Westfalen, sitzt im Plenum des Landtags vor Beginn einer Aktuellen Stunde zu Jugendkriminalität.
Copyright: Rolf Vennenbernd/dpa
Die zuständige Abteilungsleiterin erkannte die brisante Nachricht sofort. Eine Minute später leitete sie die Mail an NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) weiter. Die Information war deshalb wichtig, weil sich daraus ergab, dass auf die Ministerin unangenehme Fragen zukommen würden. Die wohl wichtigste: Hätte der Anschlag verhindert werden könne, wenn die Ausländerbehörden den Täter abgeschoben hätten? Und: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass der Syrer sich noch im Land befand?
Der Anschlag von Solingen liegt jetzt gut 15 Monate zurück. Aber der interne Mailverkehr des NRW-Flüchtlingsministeriums am Abend nach dem Attentat wurde dem Parlamentarischen Untersuchungssausschuss (PUA) in erst den vergangenen Tagen zugeleitet – zusammen mit 3200 Dateien. „Wie kann es sein, dass uns Mails aus dem Leitungsbereich sowie von der Ministerin selbst erst so spät erreichen?“, fragt die die SPD-Abgeordnete Lisa Kapteinat. Sollte versucht werden, die Akten zu verheimlichen? Wurde die Öffentlichkeit getäuscht?
Mail an die Abteilungsleiterin
Flüchtlingsministerin Paul hat bisher in allen Verlautbarungen erklärt, sie habe erst im Laufe des Sonntags „belastbar“ erfahren, dass es sich bei dem Attentäter um einen Syrer handelte, der eigentlich abgeschoben werden sollte. Die Mail des Gruppenleiters wirft nun ein neues Licht auf den Sachverhalt. Sollte Paul am Abend nach dem Anschlag ihre Mails nicht mehr gelesen haben? Das scheint wenig wahrscheinlich zu sein.Auch deshalb, weil die Ministerin sich am Sonntag um 7.26 Uhr bei ihrer Abteilungsleiterin meldet und sich auf die Mail vom Vortag bezieht: „Liebe Frau …, ein Tatverdächtiger konnte ja nun festgenommen werden. Dazu wurde ja auch bereits berichtet“, schreibt die Grüne in der Mail. Und weiter: „Mit Blick auf die Diskussionen und Fragen, die in den nächsten Tagen zu erwarten sind, würde ich sie um eine kurze Beschreibung bitten, warum derzeit keine Rückführungen nach Syrien stattfinden und was dazu passieren müsste. Wir haben über all diese Dinge schon gesprochen, aber die Debatte wird ja vermutlich weitere Dimension annehmen.“
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Eine Prognose, die zutreffen wird. Aber Paul taucht stundenlang ab. Die Ministerin trat als Gastrednerin bei einer Gedenkveranstaltung zu SS-Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich auf. Weder für NRW-Innenminister Herbert Reul, noch für die Grünen-Vizekabinettschefin Mona Neubaur oder gar für den Ministerpräsidenten Hendrik Wüst ist die Ministerin bis zum frühen Nachmittag erreichbar. Die SPD-Politikerin Kaptainat kann den Grund dafür nicht nachvollziehen. „Die Mails zeigen eindeutig, dass Ministerin Paul offenbar viel früher von ihrer Verantwortung gewusst haben muss, als sie Parlament und Öffentlichkeit bisher glauben machen wollte. Vor diesem Hintergrund kann ich ihre bisherige Kommunikation nur als Versuch der bewussten Irreführung interpretieren“, sagt die SPD-Obfrau im PUA-Solingen.
Anstatt sich um die Aufklärung des Sachverhalts zu kümmern und der Frage nachzugehen, was in ihrem Zuständigkeitsbereich schief gegangen sein könnte, habe Paul „von Anfang an versucht, nur Fehler bei anderen und im System zu suchen“, heißt es bei der SPD. Ihre eigene Verteidigung sei der Ministerin „scheinbar wichtiger gewesen als Transparenz“. Die Bezirksregierung Detmold sei selbst tätig geworden, während die Ministerin „sich um ihr persönliches politisches Schicksal“ gekümmert habe.
Erkannte sie die brisante Lage nicht?
Einen Tag nach dem Anschlag entdeckten die Terrorfahnder am Nachmittag das Portemonnaie mit dem Ausweis des Gesuchten. Bereits kurz vor 18 Uhr erhielt die zuständige Abteilung im Flüchtlingsministerium die Ausländerakte zu Isa al Hasan. Um 22.47 Uhr stellte sich der Attentäter bei der Polizei. Minuten später wurde die Nachricht an Paul Ministerin weitergeleitet. Nichts geschah. Paul meldete sich nicht zurück. Erkannte sie die brisante Lage nicht?
Glaubt man den vorliegenden Akten, meldet sich die Ministerin erst am Sonntag um 14.22 Uhr, also knapp zwei Tage nach dem Anschlag, in Düsseldorf. Sie versichert dem Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminiski (CDU): „Wir bereiten alle Infos auf, die wir haben und senden die Euch schriftlich zusätzlich zu.“ Wenig später findet eine digitale Kabinettssitzung der schwarz-grünen Landesregierung statt. Danach simst Paul an Innenminister Reul: „Wir arbeiten an weiterer Sachverhaltsaufklärung. Aber das Problem bleibt. Alle Details dazu liegen mir aber auch noch nicht vor.“ Den Akten zu folge verfügte die zuständige Fachabteilung ihres Hauses verfügte aber bereits seit 24 Stunden über die Ausländerakte des Täters Issa al Hasan.
Während die SPD den Rücktritt der Ministerin fordert, halten CDU und Grüne die Vorwürfe gegen Paul für „Effekthascherei“. Die Opposition würde die E-Mails aus dem Haus „bewusst irreführend interpretieren“, sagte der CDU-Politiker Fabian Schrumpf. Der Unterschied zwischen ungesicherten Hinweisen und gesicherten Informationen soll „verwischt“ werden, um ein falsches Bild in der Öffentlichkeit zu zeichnen. Die Grünen-Politikerin Laura Postma erklärte, die Erzählungen über die „abgetauchte Ministerin“ seien „ein Märchen“.
Eine Sprecherin des Flüchtlingsministeriums (MKJFGFI) bekräftigte auf Anfrage unserer Zeitung die Darstellung, „gesicherte Hinweise“ zur Identität des Attentäters hätten am Samstag nicht nicht vorgelegen. „Erst am Sonntag bestätigte das Landeskriminalamt gegenüber dem MKJFGFI, dass es sich um den Tatverdächtigen des Solinger Attentats handelt. Bis dahin unterstützte das MKJFGFI die Sicherheitsbehörden mit Recherchen, ohne gesicherte Erkenntnisse zur Identität“, so die Sprecherin.
Bislang fehlen dem PUA offenbar immer noch interne Mails, die die Kommunikation der Ministerin mit ihren Mitarbeitern transparent machen könnten. Die Vernehmung von Josefine Paul durch den PUA wird mit Spannung erwartet. Bislang hatte die schwarz-grüne Mehrheit im Ausschuss eine zeitnahe Vernehmung verhindert.

