„Die Mehrkosten sind überschaubar“Experte spricht über gutes Krankenhausessen in NRW

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Zutaten für ein veganes Gericht liegen auf einem Brett.

In den LWL-Kliniken legt man Wert auf frische Küche.

Jan Voß ist Kaufmännischer Direktor der LWL-Kliniken und auch für die Verpflegung der Patienten zuständig. Er sagt, dass Krankenhausessen durchaus gesund und lecker sein kann.

Herr Voß, Sie sind als kaufmännischer Direktor der LWL-Klinken Münster und Lengerich des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) auch zuständig für die Verpflegung der Patienten und Mitarbeiter. Warum hat Krankenhausessen so einen schlechten Ruf?

Jan Voß: Bis Mitte der 90er Jahre war das Essen – auch bei uns – vor allem ein Kostenfaktor, an dem man sparte, so gut es ging. Das bedeutete: Es gab viele Convenience-Produkte. Das führte zu sehr vielen Beschwerden. Außerdem besteht das Problem, dass die Kosten für die Verpflegung immer im Basisbereich, den „nichtmedizinischen Leistungen“ berechnet werden. Das Essen konkurriert also mit den Kosten zum Beispiel für Energie oder Reinigung. Dabei gehört das Essen für Patienten in meinen Augen dringend in den medizinischen Leistungsbereich. Dann wäre die Wertschätzung auch eine andere.

Haben Sie als Patient auch selbst mal unter schlechtem Essen leiden müssen?

Allerdings. Ich hatte 2014 einen schweren Motorradunfall im Siegerland. Ich lag auf der Intensivstation und da gab es ein einziges Highlight am Tag: Das Mittagessen. Was soll ich sagen? Es war grauenvoll.

Wie schmeckt es heute bei Ihnen in den LWL-Kliniken?

Ausgezeichnet, würde ich sagen. Bei uns in Münster fand seit 2003 ein Umdenken statt. Wir haben uns entschieden, mehr frisch zu kochen, mehr Biolebensmittel zu verwenden. Der monetäre Anteil an Bioprodukten liegt aktuell bei gut 30 Prozent. Wir bereiten beispielsweise ausschließlich Bioschweinefleisch zu, das Bioland-Rindfleisch kommt aus der Weidehaltung, Kartoffeln und Gewürze gibt es ausschließlich in Bio-Qualität. Das Ergebnis: Es gibt keine Beschwerden mehr über das Essen und auch die Mitarbeiter sind total zufrieden.

Jan Voß ist Kaufmännischer Direktor der LWL-Kliniken.

Jan Voß ist Kaufmännischer Direktor der LWL-Kliniken.

Und wie leisten Sie sich das?

Zunächst muss man sagen, dass die Mehrkosten für die Lebensmittel ja doch überschaubar sind. Bei uns liegt der Wareneinsatz bei 7,30 Euro pro Tag und Patient. Damit liegen wir zwar deutlich über vielen anderen Krankenhäusern, die nicht mehr als 5 Euro pro Tag und Patient rechnen. Vom Gesamtetat macht es dann aber doch nur 1,8 Prozent aus. Man kann es sich meiner Meinung nach also schon leisten, die Sparbrille mal andersherum aufzusetzen. Wenn sich alle einig sind, dass eine Klinik frische und leckere Kost anbieten sollte, das Budget aber begrenzt ist, dann muss ich eben an anderen Stellen sparen. Und das geht erstaunlich gut. Zum Beispiel gibt es bei uns heute eben sehr viel seltener Fleisch. Von 18 Gerichten in der Woche sind zwei Drittel pflanzenbasiert. Außerdem bieten wir extrem teure Sachen wie zum Beispiel Kalbfleisch gar nicht mehr an. Ein großer Hebel ist auch die Reduzierung der Speiseabfälle.

Wie haben Sie das hinbekommen?

Da kommen ganz viele kleine Maßnahmen zusammen. Erstmal haben wir die Portionen verkleinert. Jeder darf sich natürlich nachnehmen. Dann kommen die Salatsoßen am Buffet nicht mehr in eine Edelmetallschüssel, sondern in eine Portionierflasche. Außerdem haben wir die Kommunikation verbessert. Wenn die Mitarbeiterin in der Spülküche zum Beispiel bemerkt, dass auffallend viele Kartoffeln wieder zurückgehen, dann fragt sie sofort beim Küchenchef nach. Was ist da los? Schmecken die nicht? Sind das zu viele? Dann kann der für die nächsten Gerichte sofort nachjustieren. Auch beim Mindesthaltbarkeitsdatum sind wir mit Erlaubnis des Veterinäramtes kreativer geworden. Ein Joghurt, auf dessen Becher steht, dass er zwei Tage abgelaufen ist, kann problemlos geöffnet, überprüft und für die Zubereitung eines Nachtisches in Schüsseln gefüllt werden.

Wie viel Abfälle haben Sie auf diese Art eingespart?

Wir werfen jedes Jahr etwa 15 Tonnen weniger Lebensmittel weg. Bei der Umstellung kommen uns auch das Wissen und das Engagement unserer Mitarbeiterinnen in der Küche zugute. Das sind häufig Frauen mit Migrationshintergrund, einige von ihnen kommen aus Ländern, in denen Lebensmittel knapp sind. Da würde man niemals etwas ohne Not wegwerfen. Ihre Klinik steht im Münsterland, da gehört das tägliche Fleischessen doch eigentlich zur Kultur. Gibt es Patientenprotest?

Nein, gar nicht. Das liegt auch daran, dass wir das gar nicht so offensiv bewerben. Als es vor einigen Jahren in der Region mal einen Veggie-Day in öffentlichen Einrichtungen geben sollte, gab es einen öffentlichen Sturm der Entrüstung. Vertreter einer Partei standen mit Gratis-Bratwürstchen vor den Gebäuden. Wir haben dann einfach ohne groß was zu sagen, den Mittwoch fleischfrei gestaltet. Heute gibt es an mehreren Tagen kein Fleisch. Oder einfach weniger. Zum Beispiel hat unser stellvertretender Küchenleiter lange an fleischreduzierten Königsberger Klopsen herumexperimentiert. Heute sind unsere „Klimaklopse“ mit Rindfleisch und Sojaschrot im Standardprogramm. Und auch die Frikadellen mit ähnlichen Zutaten sind sehr beliebt. Selbst bei überzeugten Fleischessern.

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