KindesmissbrauchInnenminister Reul wird zum Missbrauchsfall Lügde im Untersuchungsausschuss befragt

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Hinter einem Zaun und Polizeiabsperrband ist ein Lampion und ein Windspiel auf dem Campingplatz Eichwald zu sehen. Der Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags zum sexuellen Kindesmissbrauch in Lügde setzt am Freitag seine Zeugenvernehmungen fort.

NRW-Innenminister Herbert Reul sagt im Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags zum sexuellen Kindesmissbrauch in Lügde aus.

Pannen, Versäumnisse, Ungereimtheiten - im Missbrauchsfall Lügde sind immer noch viele Fragen offen. Jetzt sagt NRW-Innenminister Reul im Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags aus. Werden die Ermittlungen wieder aufgenommen?

Es dürfte eine unangenehme Befragung für den NRW-Innenminister werden. Am Freitag wird Herbert Reul im Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch zu Ermittlungspannen im Lügde-Komplex befragt. Es steht der Verdacht im Raum, dass das Martyrium eines Mädchens um Monate verlängert wurde, weil die Polizei einer heißen Spur nicht nachging. Das wirft auf die Arbeit der „Besonderen Aufbauorganisation Eichwald“, die bislang hochgelobt wurde, einen Schatten.

Die Erkenntnisse, die zuletzt bei den Vernehmungen im Untersuchungsausschuss ans Licht gekommen sind, machen fassungslos. Es zeichnet sich ab, dass die Ermittler sich zu sehr auf die Beweisführung gegen die drei Haupttäter konzentriert haben. Hinweise auf weitere Verästelungen des Missbrauchs-Netzwerks wurden offenbar nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt.

Geschehnisse rund um den Fall des Mädchens Almut stehen im Mittelpunkt

Bei der Vernehmung von Reul wird das Schicksal des Mädchens Almut (Name geändert) im Mittelpunkt stehen. Das Kind wurde 2019 – damals neun Jahre alt – als eines der Opfer identifiziert, die in dem Campingwagen von Haupttäter Andreas V. missbraucht wurden. Die Mutter hatte das Mädchen regelmäßig auf dem Campingplatz übernachten lassen. Obwohl Almut sich seit 2017 spürbar veränderte, schöpfte sie angeblich keinen Verdacht. Das Mädchen bekam Angstträume, wies Rötungen im Genitalbereich auf. Doch die Mutter geht nicht zum Kinderarzt, „behandelt“ die Stellen mit einer Pilzsalbe.

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Im Rahmen der Ermittlungen wird auch das Umfeld der Mutter überprüft. Dabei gerät neben dem Ehemann, Gerd J., auch dessen Freund Frederik K. ins Visier. Seine Stieftochter ist mit Missbrauchs-Opfer Almut befreundet. Wie sich später herausstellt, wurden beide Mädchen von den Männern missbraucht. Unerklärlicherweise wurden sie nicht unmittelbar festgenommen.

Dabei hatte Almuts Mutter bei ihrer Vernehmung angegeben, Frederik K. und Haupttäter Andreas V.  würden sich „kennen und gut verstehen.“ Auch das Jugendamt äußert den Verdacht, es könne weitere Mittäter geben. Doch die Polizei schreitet nicht ein. „Wir haben uns darüber gewundert und waren irritiert“, erinnerte sich Jochen A., der ehemalige Leiter des Jugendamts in Northeim (Niedersachsen), bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss.

Anstatt den Hinweisen auf den Grund zu gehen, vertraut die Polizei ausgerechnet den Aussagen von Almuts Mutter – die ihre Tochter dem Haupttäter Andreas V. überlassen hatte. Dann meldet sich der Anwalt des Vergewaltigers bei den Ermittlern. Er berichtet am 31. Mai 2019, sein Mandant habe ihm berichtet, dass Almut ihm von einem fortgesetzten Missbrauch durch den Vater berichtet habe. Ein Ermittlungsverfahren wird eingestellt. Es bestehe kein „hinreichender Tatverdacht“, entscheidet die Staatsanwaltschaft.

Am 15. Oktober wird Andreas V., mittlerweile zu 13 Jahren Haft verurteilt, erneut vernommen. Der Gefangene wiederholt seinen Bericht über die beiden Bekannten, die Almut und ihre Freundin missbraucht hatten. Der Fall landet erneut bei der Staatsanwaltschaft in Detmold, die nun ein Verfahren gegen Frederik K. eröffnet. Dann tut sich erneut vier Monate gar nichts. Eine Haudurchsuchung bei Frederik K. findet erst am 4. März statt. Als dabei belastendes Material sichergestellt wird, ergeht der Haftbefehl. Und erst am 6. Mai 2020 wird Almut aus der Familie genommen. Fast ein Jahr, nachdem es erste konkrete Hinweise auf weitere Vergewaltigungen gegeben hatte.

PUA-Obmann Andreas Bialas: Ermittlungen müssen wieder aufgenommen werden

Andreas Bialas ist der Obmann der SPD-Fraktion im U-Ausschuss zum Lügde-Komplex. Ihn entsetzt das Versagen der Ermittlungsbehörden. „Ich befürchte, dass der Komplex immer noch nicht vollständig ausermittelt ist“, sagte der Politiker aus Wuppertal dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Ich verlange, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Es darf nicht sein, dass Täter unbehelligt bleiben, die durchs Netz gegangen sind, weil die Polizei sich nur auf die Haupttäter fokussiert hat.

Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, spricht bei einem Kongress im Innenministerium.

Herbert Reul in der Kritik: Die SPD wirft dem Innenminister vor, sein Haus habe die Dienstaufsicht über die zuständigen Polizeibehörden nicht ernst genommen.

Tatsächlich gibt es im Lügde-Komplex Merkwürdigkeiten, die Fragen aufwerfen. So lebte auf dem Campingplatz ein Großvater, der einem Familienclan entstammt, aus dem allein 16 von insgesamt 42 Opfern stammen, die bislang bekannt sind. „Da würde ich nochmal genau hingucken“, fordert Bialas. Es bestehe der schlimme Verdacht, dass im Umfeld von Lügde weiterhin ein kriminelles Pädophilen-Netz aktiv sein könne. Es wäre ein „unverzeihliches Versagen“, wenn Entschädigungen für die Opfer in die Kasse von bislang unbehelligten Tätern fließen würden.

Die SPD wirft Innenminister Reul vor, sein Haus habe die Dienstaufsicht über die zuständigen Polizeibehörden nicht ernst genommen. Es habe keinen regelmäßigen Informationsaustausch zu möglichen weiteren Tätern gegeben. „Das Versagen liegt vor allem bei der Polizei“, so Bialas. Auch die Justiz habe viel zu langsam reagiert.

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