Nach dem KohleausstiegDer Kampf um die Flächen im Rheinischen Revier ist entbrannt

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PRODUKTION - 01.07.2023, Nordrhein-Westfalen, Jülich: Blick auf den Braunkohletagebau Inden bei Jülich mit landwirtschaftlichen Nutzflächen im Vordergrund. (zu dpa: Bauern im Rheinischen Revier fürchten Konkurrenz um Flächen) Foto: Thomas Banneyer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Blick auf den Braunkohletagebau Inden bei Jülich mit landwirtschaftlichen Nutzflächen im Vordergrund.

Der vereinbarte grüne Korridor für den Artenschutz konkurriert mit der Wirtschaft und Landwirtschaft – und könnte auf der Strecke bleiben.

Der Kampf um die besten Flächen nach dem Ende der Braunkohleförderung im Rheinischen Revier ist längst entbrannt. Und er wird mit harten Bandagen ausgetragen. Nach den Sommerferien will die Landesregierung eine neue Leitentscheidung für den auf das Jahr 2030 vorgezogenen Kohleausstieg vorlegen. Da gilt es, Pflöcke einzuschlagen.

Die Anrainer-Kommunen fordern die schnelle Ausweisung neuer Industrie- und Gewerbegebiete, weil die alten Kraftwerksareale nicht gleich für neue Ansiedlungen zur Verfügung stehen werden. Nach ein paar Anlaufschwierigkeiten können sie sich inzwischen der vollen Unterstützung durch die Landes- und die Bundesregierung sicher sein. Schließlich hängen rund 90.000 Jobs in der Region an den energieintensiven Industrien.

„Wir schützen das Klima nicht, indem wir der Wirtschaft hier den Stecker ziehen“, mahnte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bei der Unterzeichnung des Reviervertrags 2.0 Ende Mai am Flughafen in Mönchengladbach.

Bauern drohen mit Protesten

Längst sind auch die Bauern auf dem Plan. Sie wollen in der Region zwischen Köln, Mönchengladbach und Düsseldorf, die traditionell stark vom Anbau von Zuckerrüben, Getreide, Mais und dem Gemüsebau geprägt ist, genug Platz für die Landwirtschaft zur Verfügung haben und fürchten, dass der Konflikt um die Flächenansprüche der Umweltverbände, der Kommunen für Industrie- und Gewerbeentwicklung, des Landes NRW für Straßen- und Siedlungsbau sowie der Landwirtschaft zu einem Problem werde.

„Der Berufsstand ist sehr sensibilisiert“, sagt Bernhard Contzen, Präsident des Rheinischen-Landwirtschaftsverbands (RLV). Er schließt auch Demonstrationen nicht aus, um auf die Flächenkonkurrenz aufmerksam zu machen. Das Rheinische Revier verfüge über „beste Böden“ mit einer meterdicken Lössschicht. „Der Lössboden kann jede Kultur hochbringen. Die Landwirte pochen auf die volle Rückgabe aller rekultivierten Flächen an die Landwirtschaft in dem Gebiet.“

Am Rand der Tagebaulöcher wird das Land rekultiviert, sobald die Braunkohle abgebaut ist. Die durch Abraum und neuen Löss entstandenen Flächen wollen die Landwirte nutzen. 2022 wurden 51 Hektar landwirtschaftliche Fläche und 22 Hektar forstliche Fläche rekultiviert.

Naturschützer haben die schlechtesten Karten

Die Naturschützer haben in dieser Auseinandersetzung wohl die schlechtesten Karten. Sie können sich nicht einmal sicher sein, ob sie beim grünen Koalitionspartner in der Landesregierung überhaupt noch Gehör finden. Zu groß ist der Druck auf dem Kessel, in nur knapp sieben Jahren den drohenden Strukturbruch in der Region zu verhindern.

Mit Fördermitteln von 200.000 Euro hat der Naturschutzbund (Nabu) NRW ein Konzept für einen Biotopverbund im Rheinischen Revier erarbeiten lassen, der auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt unterstützt wird. Im Kern geht es darum, einen durchgehenden grünen Korridor durch das Revier zu schaffen, der gemeinsam über die Grenzen der Bezirksregierungen Köln und Düsseldorf hinweggeplant wird und am Ende rund 38 Prozent der Flächen umfassen soll.

Auch dieser Verbund ist Bestandteil des Reviervertrags, doch Heide Naderer, Vorsitzende des NABU NRW und Mitglied des Aufsichtsrates der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR), fürchtet, dass dieses Projekt am Ende auf der Strecke bleiben könnte. „Wir wollen eine sinnvolle Verknüpfung von bestehenden und teilweise neuen Grünkorridoren und uns auf bestimmte Arten verständigen, die wir fördern und schützen möchten.“

Grünkorridor ist bisher nur ein Flickenteppich

Das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (Lanuv) hat 30 Prozent dieser Flächen bereits in die Planungen aufgenommen, doch dieser grüne Korridor ist nur ein Flickenteppich und weist noch erhebliche Lücken auf. Im Konzept des Nabu geht es um insgesamt 350 Flächen.

In der Anrainerkonferenz der Revierkommunen ist das Konzept erstmals am 16. Juni vorgestellt worden, doch der Nabu fürchtet, dass das alles viel zu spät kommt. Im Herbst soll es dem Aufsichtsrat der Zukunftsagentur Rheinische Revier präsentiert werden, danach müssten die Details erarbeitet werden.

„Im Grunde geht es darum, unsere Flächenpläne mit denen der geplanten Gewerbegebiete und der Landwirtschaft abzugleichen, die Konfliktpunkte zu identifizieren“, sagt Heide Naderer. „Das müsste ein gesteuerter Prozess sein, dessen Ergebnis in die Regionalplanungen der Bezirksregierungen Köln und Düsseldorf verbindlich aufgenommen wird.“

Interessenkonflikt zieht sich bis in die Ministerien

Sehr wahrscheinlich ist das nicht. Beim Biotopverbund gibt es erhebliche Interessenkonflikte auch zwischen den grün geführten Landesministerien für Wirtschaft mit Mona Neubaur und Umwelt mit Oliver Krischer an der Spitze. Bei jeder Fläche, die der Naturschutz für sich beansprucht, sieht er sich der gemeinsamen Lobby des DGB, der IG Bergbau Chemie und Energie und den Industrie- und Handelskammern gegenüber.

Ein wenig Rückenwind bekommen die Naturschützer von der EU aus Brüssel. Als Folge der Hochwasserkatastrophen vergangener Jahre wie vor zwei Jahren in der Eifel und an der Ahr hat das EU-Parlament in der vergangenen Woche das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) verabschiedet, das die Mitgliedsstaaten zur Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme verpflichtet und dafür verbindliche Pläne aufzustellen.

Wir müssten und wollen mit der Landwirtschaft gemeinsam in eine Richtung arbeiten
Heide Naderer, Vorsitzende des Naturschutzbundes NRW

Heide Naderer sieht darin einen Weg, auf dem man im Rheinischen Revier als einer Art Modellregion voranschreiten könne.

„Wir wollen überhaupt nichts verhindern. Wir sind für den Erhalt bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze“, sagt Naderer mit Blick auf die Ansprüche, die der Rheinische Landwirtschaftsverband formuliert hat. Im Aufsichtsrat der ZRR sei die Landwirtschaft nicht vertreten. „Die Ernährungssicherheit spielt hier schließlich wichtige eine Rolle, zumal es sich im Rheinischen Revier um besonders wertvolle Böden handelt. Wir müssten und wollen mit der Landwirtschaft gemeinsam in eine Richtung arbeiten.“

Der Rheinische Landwirtschaftsverband baue eine Gegnerschaft zu den Naturschützern auf, anstatt sich gegen die Ausweisung immer neuer Gewerbeflächen und die fortschreitende Versiegelung zu wenden. „Wir haben das Thema Landwirtschaft mit unserem 10-Punkte-Papier vom Frühjahr selbst verstärkt in die allgemeine Diskussion gebracht und bekommen jetzt den Gegenwind zu spüren. Das ist schon befremdlich.“

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