Trotz voller GasspeicherKohlekraftwerke im Rheinischen Revier könnten wieder hochgefahren werden

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12.09.2023, Nordrhein-Westfalen, Köln: Wasserdampf kommt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Neurath. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wasserdampf kommt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Neurath. Es steht bis Ende März 2024 in Bereitschaft.

Die drei Kraftwerksblöcke in Niederaußem und Neurath sind ab sofort in Bereitschaft. Schon vergangenes Jahr gingen sie wieder ans Netz.

Die Gasspeicher sind voll, die Bundesnetzagentur sieht Deutschland vor dem zweiten Winter seit dem russischen Überfall auf die Ukraine bei der Energieversorgung besser vorbereitet – dennoch hat der Bund angeordnet, fünf Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1,9 Gigawatt für den Notfall wie im Vorjahr in den Stand-by-Modus zu nehmen, falls das Gas knapp werden sollte. Darunter sind auch drei Kraftwerksblöcke mit je 300 Megawatt im Rheinischen Braunkohlerevier.

Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Warum hat die Bundesregierung die Reserve-Bereitschaft von Kohlekraftwerken zum 1. Oktober erneut aktiviert?

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Es geht um die sichere Energieversorgung im Winter. Die Kraftwerke können wieder ans Netz gebracht werden, um im Notfall den Einsatz von Gas für die Stromerzeugung einzusparen und dadurch möglichen Engpässen beim Gas in der kommenden Heizperiode vorzubeugen. Die Teilnahme der Kohlekraftwerke am Strommarkt ist nur möglich, wenn zuvor entweder die Alarmstufe oder die Notfallstufe Gas ausgerufen wurde, und ist bis zum 31. März 2024 befristet. Danach sollen sie endgültig stillgelegt werden.

Wie viele Warnstufen sieht der sogenannte Notfallplan Gas vor?

Drei. In der Frühwarnstufe tritt ein Krisenteam im Bundeswirtschaftsministerium zusammen, das aus Behörden und den Energieversorgern besteht. Gasversorger und Betreiber von Gasleitungen werden verpflichtet, die Lage für die Bundesregierung regelmäßig einzuschätzen. In der Alarmstufe müssen die Akteure am Markt sich bemühen, in eigener Verantwortung für eine Entspannung der Lage zu sorgen. Dazu kann auch der Rückgriff auf Gasspeicher gehören.

Bei einer dauerhaften Verschlechterung der Versorgungslage kann die Bundesregierung per Verordnung die Notfallstufe ausrufen und auf der Basis des Energiesicherungsgesetzes in den Markt eingreifen, indem sie Verordnungen zum Einsatz, zur Verteilung, zum Transport und zur Einsparung von Energie erlässt. Sollten die Gasmärkte nicht mehr funktionieren, kann die Bundesnetzagentur zum „Bundeslastverteiler“ eingesetzt werden und die Verantwortung für die Gasverteilung übernehmen.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kraftwerke zugeschaltet werden müssen?

Das hängt unter anderem davon ab, wie streng der Winter wird. Die Bundesnetzagentur hält die Gasversorgung im Winter für sicherer als im Jahr 2022. Die deutschen Speicher seien zu 95 Prozent gefüllt, zudem habe die Industrie viele Einsparungen erzielt. „Wir sind schon optimistisch und besser vorbereitet als im Vorjahr“, sagte Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, Ende September dem Redaktionsnetzwerk Deutschland („Kölner Stadt-Anzeiger“). Die Industrie verbrauche „konstant deutlich weniger Gas“ und Deutschland sei „auch beim Einspeichern und beim Diversifizieren der Beschaffung besser.“

Sollte es dennoch zur einer Gasmangellage kommen, welche Kraftwerke werden dann hochgefahren?

Im Rheinischen Revier sind es die beiden modernsten Kraftwerksblöcke E und F in Niederaußem mit jeweils 300 Megawatt und der Block C in Neurath mit ebenfalls 300 Megawatt. Am Kraftwerksstandort Jänschwalde in Brandenburg stehen zwei Blöcke mit jeweils 500 Megawatt in Reserve, insgesamt also 1,9 Gigawatt.

Wie berechnet das Bundeswirtschaftsministerium die Wahrscheinlichkeit, ob es im Winter zu Gasmangellage kommen kann?

Untersucht werden die Auswirkungen, welche Folgen das Bereitstellen zusätzlicher Kapazitäten für die Stromerzeugung auf die Energiewirtschaft und den Klimaschutz im kommenden Winter haben können. Das geschieht mittels einer Modellierung des europäischen Strommarktes. Im Mittelpunkt dieser energiewirtschaftlichen Analyse stehen die Auswirkungen auf den Erdgasbedarf in Kraftwerken und öffentlichen Heizwerken in Deutschland und Europa auf die CO₂-Emissionen und die Strompreise.

Auf welcher Rechtsgrundlage basiert das mögliche Hochfahren der Kraftwerke?

Bundestag und Bundesrat haben am 8. Juli 2022 das neue Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Verringerung des Einsatzes von Gas bei der Stromerzeugung verabschiedet. Die Verordnung zum Abruf der Versorgungsreserve regelt die Details zur Stromerzeugung für den Winter 2023/24. Die vorherige Verordnung war zum 30. Juni 2023 ausgelaufen. Seither waren die Blöcke im Stand-by-Modus und durften keinen Strom erzeugen. Jetzt sind sie wieder verfügbar.

Mussten die Kraftwerksblöcke im Rheinischen Revier im vergangenen Winter eingesetzt werden?

Ja. „Sie waren aber nicht ununterbrochen am Netz“, sagt ein Sprecher der RWE Power AG auf Anfrage. „Für dieses Reserveprogramm mussten wir ungefähr 800 Stellen besetzen und haben dabei überwiegend auf Personal gesetzt, das eigentlich schon in einem Alter war, um in die Anpassung zu gehen. Die ist bei diesen Mitarbeitenden um zwei Jahre verschoben worden.“

Wird es im Winter 2024/25 kein erneutes Hochfahren der Blöcke geben?

Laut Gesetz gibt es diese Möglichkeit bisher nicht.

Was bedeutet die Reservebereitschaft der Kohlekraftwerke für die im Klimaschutzgesetz verankerten Klimaschutzziele der Bundesregierung?

Sie bleiben unangetastet. Bis 2030 soll der CO₂-Ausstoß in Deutschland um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 gemindert, im Jahr 2045 die Klimaneutralität erreicht sein. Bis zum Sommer 2024 will die Bundesregierung Vorschläge machen, wie der erhöhte CO₂-Ausstoß durch das zeitweise Hochfahren von Kohlekraftwerken im Winter wieder ausgeglichen werden kann.

Im Oktober 2022 haben die Bundesregierung, das Land NRW und der RWE-Konzern den vorgezogenen Kohleausstieg im Jahr 2030 beschlossen, falls die Energieversorgungssicherheit nicht gefährdet sein sollte. Wer überprüft das und wann?

Im Jahr 2026 wird das Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen der Überprüfung des Kohleausstiegs entscheiden, ob in welchem Umfang neben einem 600-Megawatt-Block zum 1. April 2030 drei weitere moderne Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 3600 Megawatt bis Ende 2033 in eine Reserve überführt werden, um eine Versicherung für eine zuverlässige Stromversorgung auch nach dem Kohleausstieg zu haben. Die dafür erforderliche Kohle müsste dann aus dem Tagebau Garzweiler gefördert werden. Für die ostdeutschen Kohlereviere ist noch kein vorgezogener Kohleausstieg vereinbart worden. Dort soll es bisher beim Jahr 2038 bleiben.

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