Eine neue Antisemitismusstudie für NRW kommt zu erschreckenden Ergebnissen. Jugendliche werden offenbar durch Inhalte auf sozialen Plattformen wie TikTok gegen Juden aufhetzt.
Studie zu Antisemitismus in NRWFast jeder Vierte glaubt an die „jüdische Weltverschwörung“
Fast jeder vierte Bürger in NRW hat antisemitische Vorurteile. Das ist das Ergebnis einer Studie, die Innenminister Herbert Reul (CDU) und die Antisemitismusbeauftragte des Landes, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in Düsseldorf vorgestellt haben. Die Ergebnisse seien „besorgniserregend“, sagte die FDP-Politikerin. „Bis zu 24 Prozent der Befragten haben in unterschiedlicher Form antisemitische Einstellungen.“ Fast die Hälfte aller Befragten wollten „einen Schlussstrich unter die NS-Geschichte“ ziehen. Einer Relativierung oder sogar Leugnung des Holocaust stimmten 19 Prozent der Befragten zu.
Für die Studie haben Wissenschaftler der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Universität Passau in Zusammenarbeit mit dem Allensbach-Institut 1300 ausgewählte Personen ab 16 Jahren im Zeitraum vom 8. März bis 13. April dieses Jahres befragt. Es handelt sich um die erste große Umfrage zu antisemitischen Vorurteilen in NRW seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.
Innenminister Reul: Plattformen wie TikTok „sind Sendemasten von Hass und Hetze“
Der Studie zufolge ist gerade bei Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren ein israelfeindliches Weltbild besonders ausgeprägt. „Wir müssen uns bei der Präventionsarbeit auf die sozialen Medien fokussieren“, erklärte Reul. Beliebte Internetplattformen wie TikTok seien „Sendemasten von Hass und Hetze“. Fast die Hälfte der befragten Teenager hegt antisemitische Ressentiments.
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Die Befragung zeigt, dass antisemitische Einstellungen in den städtischen Räumen weiter verbreitet sind als auf dem Land. Menschen mit Migrationshintergrund neigen danach nicht mehr als andere zu antisemitischen Ressentiments. Erhöhte Werte sind allerdings bei Muslimen festzustellen, die häufig die Moschee besuchen.
Wissenschaftler der Uni Düsseldorf: „Hoher Bildungsstand hat keinen vorurteilsmindernden Effekt“
„Unsere Studie zeigt, dass antisemitische Einstellungen in NRW eine beunruhigende Normalität erreicht haben“, sagte Heiko Beyer von der Uni Düsseldorf. Der Anteil der hochgebildeten und „politischen linken Befragten“ werde sogar wahrscheinlich unterschätzt, weil diese bei Befragungen dazu neigen würden, ihre Einstellungen nicht offen zuzugeben. Überraschend sei, dass Bildung „nur einen schwachen vorurteilsmindernden Effekt“ habe. Eine hohe Bildung schütze also nicht zwangsläufig vor antisemitischen Einstellungen, so der Forscher aus Düsseldorf.
Durch den Krieg im Nahen Osten und das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen sei der Israel-bezogene Antisemitismus in NRW deutlich sichtbarer geworden. Der Aussage „Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben“, stimmten rund zehn Prozent der Befragten zu. 38 Prozent setzen die israelische Politik tendenziell mit der nationalsozialistischen gleich. 47 Prozent forderten, einen „Schlussstrich unter die Vergangenheit“ zu setzen. Ein Viertel glaubt, dass der Zentralrat der Juden Unfrieden in Deutschland schürt und abgeschafft werden müsste. Zehn Prozent waren der Meinung, dass die „Juden zu viel Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland haben“. 24 Prozent der Befragten glauben daran, dass es eine „jüdische Weltverschwörung“ gibt.
Laut NRW-Verfassungsschutzbericht ist die Anzahl der antisemitischen Straftaten im Jahr 2023 um 65 Prozent angestiegen. Innenminister Reul erklärte, Polizei und Verfassungsschutz würden weiter jüdisches Leben in NRW beschützen, auch mit konsequenter Strafverfolgung. „Jeder muss täglich im Kleinen, im Gespräch mit Freunden, mit Nachbarn und Kollegen, den Mund aufmachen und Flagge zeigen. Das ist Pflicht eines jeden“, verlangte Reul.
Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, das Land werde sich in den nächsten Monaten mit einer Strategie zur Bekämfung des Antisemitismus die sozialen Medien beschäftigen. Dazu soll eine Machbarkeitsstudie erstellt werden. Dabei werden auch die Plattform Tiktok in den Blick genommen. Der Co-Leiter der Studie, Lars Rensmann von der Universität Passau, forderte regulierende Eingriffe bei den Sozialen Medien. Diese seien „zur neuen Propagandaform des 21. Jahrhunderts“ geworden, die bis ins Kinderzimmer hineinreiche, so der Professor. Betreiber von Online-Plattformen müssten für Antisemitismus und Desinformation haftbar gemacht werden können, sagte Rensmann.
Elisabeth Müller-Witt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag NRW, verlangte weitere Investitionen des Landes in die politische Bildungsarbeit. „In dieser historischen Situation ist es besonders dramatisch, dass die schwarz-grüne Koalition hier den Rotstift ansetzt, nachdem bereits im vergangenen Jahr die Landeszentrale geschröpft wurde“, sagte die Politikerin aus Ratingen.