„Wir kommen gar nicht mehr richtig vor“Wie es für Betroffene von Impfschäden weitergeht

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Ein Mann bekommt im Impfzentrum eine Booster-Impfung gegen Covid.

Wenn nach der Corona-Impfung unspezifische Symptome auftreten, fühlen Betroffene sich oft im Stich gelassen.

Menschen, die nach der Corona-Impfung krank wurden, fühlen sich von Politik und Forschung im Stich gelassen. Wie die Gesundheitsminister reagieren.

Wenn Ina Berninger sich in Optimismus üben will, dann sagt sie: „Ich habe mittlerweile mehr gute als schlechte Tage.“ Ihr Darm sei wieder in Ordnung, die Entzündungen gingen zurück. „Etwas scheint sich zu beruhigen.“ Die Sozialwissenschaftlerin, die an der Uni Köln arbeitet, leidet an Post-Vac. Die Uni-Klinik Marburg diagnostizierte bei ihr im Februar 2023 unerwünschte Nebenwirkungen der Covid-19-Impfstoffe. Kurz nachdem sie sich im März 2022 das dritte Mal gegen das Virus impfen gelassen hatte, habe ihr Körper verrückt gespielt. „Ich hatte tagelang durchgehend starke Schmerzen. Der ganze Körper hat gebrannt, als würde er unter Strom stehen. Es war, als würde mir jemand mit Nadeln ins Gehirn stechen. Das hat mir Angst gemacht.“

Auch heute noch leidet die 44-Jährige an Neuropathie, Schmerzen am ganzen Körper. Seit März dieses Jahres ist Berninger in einer Selbsthilfegruppe in Köln eingebunden. Dort tauschen sich Menschen aus, die nach einer Covid-Impfung unspezifische Symptome entwickelt haben. Die meisten von ihnen sind arbeitsunfähig.

Minister Lauterbach startet Initiative für Long-Covid

Wissenschaftler und Ärzte sind sich einig, dass es zu unerwünschten Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe kommen kann. Bislang ist unklar, wie häufig diese Nebenwirkungen auftreten. Auch was die Dringlichkeit der Erforschung angeht, driften die Meinungen auseinander. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verhält sich beispielsweise zurückhaltend, wenn es um Hilfe für Menschen mit Post-Vac-Symptomen geht. Im Juli startete der Minister eine „Initiative für bessere Versorgungsangebote und Informationen für Long-/Post-Covid-Erkrankte“. Unterstützt werden sollen hier laut Bundesgesundheitsministerium diejenigen, „die besonders an den Langzeitfolgen einer Infektion mit dem Coronavirus leiden“. 100 Millionen Euro hat Lauterbach zuletzt dafür gefordert.

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„Und wir?“, fragt sich Berninger. „Kommen in diesem Ansinnen gar nicht mehr richtig vor.“ Berninger und andere Betroffene stören sich vor allem daran, dass Lauterbach die Krankheitsbilder Long-Covid und Post-Vac zusammenwerfe. „In der Therapie mag das vielleicht Sinn ergeben. Aber bei Post-Vac geht es ja auch um die Frage der Arzneimittelsicherheit. Das muss man doch extra erforschen“, sagt Berninger.

Post-Vac stellt bislang keine medizinische Bezeichnung dar

Das Bundesgesundheitsministerium ist anderer Meinung und schreibt auf Anfrage dieser Zeitung: Man gehe davon aus, „dass von diesem Förderschwerpunkt auch Menschen mit länger andauernden Beschwerden (Long-COVID-ähnlichen Symptomen) im zeitlichen Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung profitieren werden“. 

Grundsätzlich könnten laut Auskunft des Bundeswissenschaftsministeriums zur neuen Förderbekanntmachung aus dem September aber „neben Anträgen zur Erforschung des Post-COVID-Syndroms prinzipiell auch Anträge, welche das sogenannte Post-Vac-Syndrom adressieren, eingereicht werden“. Insgesamt hadert man bei den Bundesministerien grundsätzlich mit der Bezeichnung. „Der Begriff Post-Vac-Syndrom stellt bislang keine medizinisch definierte Bezeichnung einer Erkrankung dar“, so das Bundesgesundheitsministerium.

Genau hierin sehen Menschen wie Ina Berninger ein Problem. „Wenn das Post-Vac-Syndrom und ein möglicher Zusammenhang mit der Impfung nicht erforscht wird, dann sinken unsere ohnehin niedrigen Chancen, Entschädigungen zu erhalten gen Null“, sagt sie.

Eine Hausärztin aus Bonn, die aus Angst vor Mobbing ihren Namen nicht veröffentlichen will, impfte nach eigener Aussage etwa ein Jahr lang mit großer Überzeugung und Begeisterung für die neue mRNA-Technik. Die Patienten, die mit unspezifischen Beschwerden in ihrer Praxis auftauchten, begannen sich in der Folge allerdings zu häufen. Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Leberschäden, Konzentrationsschwierigkeiten, Nervenschmerzen, rheumatische Beschwerden.

„Es hat ein bisschen gedauert, bis ich einen Zusammenhang vermutete“, sagt sie. Ob eine Kausalität besteht, weiß sie nicht, hält es aber für ihre Pflicht als Ärztin auf ihre Beobachtung aufmerksam zu machen, für die Pflicht der Wissenschaft, der Beobachtung auf den Grund zu gehen. Sie beginnt, die Fälle, die in ihrer Praxis vorkommen, beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zu melden. Hoffnung, dass ihre Mühe etwas bewirkt, hat sie wenig. „Das Erfassungssystem von Arzneinebenwirkungen ist in Deutschland schlecht. Die Ärzte sind überlastet und dann sollen sie sich pro Fall noch eine halbe Stunde durch einen Fragebogen quälen. Das machen nicht viele“, sagt sie. Das Paul-Ehrlich-Institut spricht in einer Bulletin zur Arzneimittelsicherheit selbst davon, dass es mit „Underreporting “zu kämpfen habe. „Nur etwa fünf bis zehn Prozent der schweren Unerwünschten Arzneimittelwirkungen werden Schätzungen zufolge gemeldet.“

Das Gesundheitsministerium weist darauf hin, dass seit April Betroffene von Impfschäden, die im Zusammenhang mit einer Corona-Schutzimpfung eingetreten sind, Anspruch auf Entschädigung in Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes haben. Die Einschränkung: „Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass Impfschäden insbesondere von Impfnebenwirkungen bzw. Verdachtsfallmeldungen einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung zu unterscheiden sind.“ Die Frage von Ärztinnen und Ärzten wie der aus Bonn ist: Wie kann diese Entscheidung getroffen werden, wenn wissenschaftliche Forschung des möglichen Krankheitsbildes nicht vorangetrieben werden?

Laumann fordert eine bessere Unterstützung von Menschen mit Impfschäden

Hoffnung setzen Ina Berninger und andere Betroffene in das Gesundheitsministerium NRW. „Wir fühlen uns hier immerhin ernst genommen. Man spricht mit uns, hört uns zu“, sagt Berninger. Auf Anfrage dieser Zeitung schreibt eine Sprecherin, man arbeite sehr eng mit den Landschaftsverbänden zusammen, „um den Betroffenen alle Hilfemöglichkeiten, die das Infektionsschutzgesetz insoweit vorsieht, gewähren zu können“.

Auch Minister Karl-Josef Laumann (CDU) beteuert, sich für Betroffene von Impfschäden einsetzen zu wollen. Er sagte gegenüber dieser Zeitung: „Bei der Versorgung und Unterstützung von Impfgeschädigten müssen wir besser werden. Wir stehen hier vor der Herausforderung, dass Kenntnisse über die Ursachen der Erkrankungen fehlen, die dadurch nur symptomatisch behandelt werden können. Derzeit gibt es keine standardisierten Diagnostik-, Behandlungs- und Therapieverfahren. Trotzdem darf man die Betroffenen nicht allein lassen. Wir müssen hier gemeinsam mit allen Beteiligten Wege zur Verbesserung der Versorgung finden.“

Um in Zukunft mehr Wissen über das Zustandekommen des möglichen Krankheitsbildes zu sammeln, will man im NRW-Gesundheitsministerium die Forschung bezüglich Post-Vac vorantreiben. „Derzeit prüft das MAGS intensiv, welche Möglichkeiten, welche Bedarfe und welche geeigneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler es für Studien zur Erhebung und Erforschung von Impfschäden nach Schutzimpfungen gegen COVID-19 gibt.“

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