Kommentar zu PfingstenKirchen sprechen zu Krieg und Frieden nicht mit einer Stimme

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Patriarch Kyrill lässt eine weiße Taube fliegen (Archivbild)

Köln – Pfingsten? Was war da noch mal los? Mit dem Inhalt des Festes, das an diesem Sonntag die Osterzeit beschließt, können selbst Christinnen und Christen auf Anhieb nicht mehr viel anfangen.

Illustrationen der Geschehnisse in Jerusalem am 50. Tag nach Ostern vor knapp 2000 Jahren zeigen die Apostel, über deren Köpfen rote Flämmchen züngeln. Ihre Predigt, so berichtet es die Bibel, hätten alle Bewohner der polyglotten Stadt Jerusalem auf einmal in ihrer eigenen Sprache hören können.

Das sogenannte Sprachenwunder am Pfingsttag macht die Sache mit der „Ausgießung des Heiligen Geistes“ interessant. Die Bibel behauptet hier erstens eine Geistesgegenwart, einen Spirit, der Menschen verbindet und sie einander verstehen lässt. Zweitens beansprucht die Botschaft von Jesu Tod und Auferstehung Universalität. Sie steht über den Grenzen von Herkunft, kultureller oder nationaler Zugehörigkeit.

Kirchen weit entfernt von Einmütigkeit

100 Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wird Pfingsten 2022 damit zu einer Herausforderung und einer Provokation für die christlichen Kirchen. Die sind nämlich weit davon entfernt, mit einer Stimme zu sprechen, die Worte Jesu über Krieg und Frieden einmütig zu deuten und dazu eine für alle verständliche Position einzunehmen.

Im Gegenteil: Die tiefe Zerrissenheit insbesondere zwischen den verschiedenen orthodoxen Kirchen ist ein Anti-Pfingsten. Christlicher Geist diffundiert und erlischt, wenn eine Kirchenführung sich so geistvergessen an politische Macht bindet wie der Moskauer Patriarch Kyrill an Wladimir Putin.

Die von der Ostkirche beschworene traditionelle „Symphonie“ zwischen Kirche und Staat erweist sich in der religiösen Aufladung einer nationalistischen Ideologie als ein einziger misstönender Zynismus. Dass sich die Orthodoxe der Kirche der Ukraine ihrerseits entschieden hinter den Abwehrkampf gegen Putins Aggression stellt, ist einerseits verständlich, aber andererseits doch auch ein Spiegelbild der Situation in Moskau.

Souffleuse für staatliche Herrschaft

Die Kirche verrät ihre Botschaft und ihren Auftrag, wenn sie sich zur Erfüllungsgehilfin und zur weltanschaulichen Souffleuse staatlicher Herrschaft macht, ohne diese auf die Werte und Maßstäbe zu verpflichten, die sich aus dem Evangelium ergeben: Menschenwürde, Freiheitsrechte, Schutz des Lebens, Wahrung des Friedens.

Diese „Verpflichtung“ kann im Rahmen einer – erstrebenswerten – Trennung von Religion und Staat naturgemäß nur der moralische Appell sein und eine Stimmführerschaft für diejenigen, die ihre Stimme sonst nicht erheben können oder die sonst kein Gehör finden. Auch das macht die Parteinahme des Moskauer Patriarchen für Putins Krieg so verstörend: dass die Schreie und das Klagen der Opfer darin keinen Platz haben.

Viktor Orbán, der Mephistopheles der EU

Umso ärgerlicher, dass Viktor Orbán als Mephistopheles der EU (Ich bin der Geist, der stets verneint) die Sanktionen der Europäer gegen Patriarch Kyrill verhindert hat. Ein Kriegstreiber sollte nicht besser davonkommen, nur weil er statt dunklem Business-Anzug oder ordensbehängter Uniform ein Bischofsgewand und Heiligenmedaillons um den Hals trägt.

Kriegsverherrlichung und Ungerührtheit über die Opfer einer brutalen, grausamen, mörderischen Kriegsmaschinerie – das immerhin wird man von den Stellungnahmen aus anderen christlichen Kirchen nicht behaupten können. Ob es Papst Franziskus ist, der deutsche katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck oder der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer – sie alle sprechen über den Krieg mit Blick auf die Opfer, die er auf beiden Seiten fordert, Soldaten und Zivilisten.

EKD-Friedensbeauftragter gegen Waffenlieferungen

Allerdings sind das Herangehen der Kirchenvertreter und ihre Akzente sehr unterschiedlich. Kramer zum Beispiel hält deutsche Waffenlieferungen an Kiew für falsch, warnt vor einem Rückfall in die Logik von Aufrüstung und Abschreckung. Overbeck hingegen betont das Recht auf Selbstverteidigung, das die Ukraine gegenwärtig nur mit Hilfe schwerer Waffen wahrnehmen könne.

Damit liegt er in einem friedensethischen Mainstream, für den es gute Gründe gibt. Der Gewaltverzicht, den Jesus gepredigt und in tödlicher Konsequenz selbst vorgelebt hat, taugt gegenwärtig nicht als Handlungsempfehlung an das ukrainische Volk – schon gar nicht in besserwisserischem, moralisierendem Habitus aus sicherem Abstand vom Kriegsgeschehen. Diese Art eines stellvertretenden Pazifismus wäre in Wahrheit auch gar nicht friedfertig, sondern nur prinzipienheischend.

Die Bedeutung der Bergpredigt

Und trotzdem ist die Bergpredigt den Kirchen anvertraut – nicht bloß für die Rezitation im Gottesdienst oder fürs Passionsspiel in Oberammergau. Die urchristliche Absage an die Gewalt ist ein Magnetfeld für die Kompassnadel politischen Handelns zu allen Zeiten. Kriegslogik ist immer Eskalationslogik: mehr Truppen, die besseren Waffen, die stärkere Munition – und immer das eine Ziel: die Niederwerfung des Feinds.

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Die jüngste Zuspitzung der deutschen Debatte auf die Frage „Wer gewinnt, wer verliert den Krieg?“ folgt einzig und allein diesem Schema. Es ist erklärbar, aber auch plump. Womöglich ist das Bemühen des Bundeskanzlers, den allzu simplen Sieg-Niederlage-Dualismus zumindest rhetorisch zu unterlaufen oder auch gedanklich zu überschreiten, unbeabsichtigt ein Ausdruck der Geistesgegenwart, um die es an Pfingsten geht.

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