Es läuft nicht bei Friedrich Merz: Er steckt im Umfragetief, der neue Streit hilft nicht. Und seine Partei sucht nach einer Strategie gegen die AfD.
RegierungserklärungKoalitionschaos, miese Umfragen und die AfD im Nacken – Merz unter Druck

Friedrich Merz am Donnerstag (16. Oktober) im Bundestag. Der Kanzler steht unter großem Druck.
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Friedrich Merz ist schon ein paar Minuten früher im Plenarsaal. Auf der Regierungsbank im Bundestag plaudert der Kanzler mit seinem Digitalminister Carsten Wildberger (CDU) und seiner Sozialministerin Bärbel Bas (SPD). Dann kommt die SPD-Fraktionsvize Siemtje Möller auf ihn zu. Die beiden sprechen kurz, Merz an einen Tisch gelehnt, mit verschränkten Armen. Irgendwann gesellt sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) dazu. Die drei haben ein Problem.
Möller gehörte zu den SPD-Unterhändlern, die mit der Union einen „Kompromiss“ zu Pistorius’ Wehrdienst-Entwurf ausgearbeitet hatten, der plötzlich keiner mehr ist. Das Koalitionschaos um ein mögliches Losverfahren für Wehrpflichtige ist das neueste Problem für den Kanzler. Eines, das er wenig später bei einer Regierungserklärung zum anstehenden EU-Gipfel um die Ohren gehauen bekommt. Aber es gilt nicht nur für dieses Thema: Der Regierungschef steht insgesamt unter großem Druck.
Seine Regierungserklärung zum Europäischen Rat ist normalerweise ein leichteres Terrain als die Innenpolitik. Merz spricht kurz über Geiselfreilassungen in Gaza und die Hoffnung auf längerfristigen Frieden in Nahost, dann über die Wettbewerbsfähigkeit und die Verteidigungsfähigkeit Europas. Dabei wiederholt er viel Bekanntes und arbeitet sich geschäftsmäßig durch sein Redemanuskript. Dazu gehört sein Standardsatz: „Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.“ Doch zum eigentlichen Thema bei der Verteidigung, dem schwarz-roten Wehrdienst-Debakel, schweigt er.
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In den ersten Monaten seiner Kanzlerschaft konnte Merz vor allem mit der Außenpolitik punkten. Und das in einer Zeit enormer internationaler Herausforderungen: mit der Bedrohung durch Russland, dem Krieg in der Ukraine und in Gaza, dem Wegdriften der USA unter Donald Trump. Merz konzentrierte sich anfangs zurecht sehr darauf, und ihm gelang einiges.
Und nun folgten die vorerst erfreulichen Nachrichten aus dem Nahen Osten – auch wenn Deutschland und Europa daran eher in der hinteren Reihe mitwirkten. Das Problem ist aber, dass Merz‘ Außenpolitik, anders als bei Amtsvorgängern, nicht einzahlt auf seine Beliebtheit im Land.
Miese Umfragewerte für Merz
Der CDU-Chef hat mit ungewöhnlich schlechten Umfragewerten zu kämpfen, obwohl er erst seit fünf Monaten im Amt ist. In einer neuen Umfrage zeigten sich zuletzt mehr als 70 Prozent der Bürger unzufrieden mit der Arbeit des Kanzlers – ein Wert, den sein Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) erst nach 30 Monaten als Regierungschef erreichte. Merz beteuert, dass er nicht viel auf Umfragen gibt, doch solche Werte können auch ihn nicht kalt lassen.
Die AfD nutzt das Umfragetief systematisch aus. „Sie lassen die Menschen in diesem Land im Stich“, wettert AfD-Fraktionschefin Alice Weidel bei der Aussprache zu Merz‘ Regierungserklärung. Die Regierung verteile Steuergeld in aller Welt und streiche zu Hause bei Senioren, Kranken und Pflegebedürftigen. Eine Gruppe gegen die andere auszuspielen, gehört zum Standardrepertoire von Rechtspopulisten.
Gerangel in der Koalition statt „Herbst der Reformen“
Tatsächlich hat nicht nur Merz, sondern die gesamte Koalition ein Problem mit der Außenwirkung. Merz hat einen „Herbst der Reformen“ versprochen. Stattdessen steht nun neues Gerangel der Koalitionäre im Fokus, nicht nur beim Wehrdienst, sondern auch bei der Rente. Beide Gesetzentwürfe wurden vom Kabinett beschlossen, bei beidem schien sich die Koalition einig, doch passend zum Start der Beratungen im Bundestag werden die Pläne von innen torpediert.
Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge legt bei der Debatte den Finger in die Wunde. „Sie reisen jetzt nach Brüssel als ein Kanzler, der die Lage nicht im Griff hat“, schleudert sie Merz entgegen. Der Regierungschef habe bei der Kanzlerwahl nicht auf Anhieb die Mehrheit der Koalition hinter sich gehabt, ebenso wenig bei der Richterwahl im Sommer und nun auch bei der Rente und beim Wehrdienst nicht. „Ein Kanzler ohne Mehrheit, der kann keine Regierung führen“, kritisiert Dröge.
Selbst vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier hat sich Schwarz-Rot beim Thema Wehrdienst Schelte eingehandelt. Steinmeier zweifelt das Losverfahren öffentlich an und wertet den Streit über die Wehrpflicht als „kommunikative Fehlleistung“.
Die AfD im Nacken der Union
Ein Problem für Merz ist auch, dass ihm die AfD ständig im Nacken sitzt. Weidel zeichnet im Bundestag einmal mehr das Bild von einem Deutschland am Abgrund, spricht von einem „Herbst des Niedergangs“ und einem nahenden wirtschaftlichen „Zusammenbruch“. Mit ihrer Schwarzmalerei aus dem Komfort der Opposition heraus fährt die Partei bislang gut.
In mehreren Umfragen zog die AfD mit der Union gleich oder an ihr vorbei. In Sachsen-Anhalt, wo 2026 gewählt wird, liegt die AfD in Umfragen weit vor der CDU. Bei den Christdemokraten gibt es keine einheitliche Antwort darauf, wie die Partei mit der Konkurrenz von rechts umgehen soll.
An diesem Wochenende will sich Merz mit den Spitzenleuten der CDU einen ganzen Tag lang zurückziehen, um genau darüber zu beraten. Das zeigt, wie sehr es pressiert.