„Der Winter wird sehr hart“Ukrainische Politikerin berichtet von Ehemann an der Front

Lesezeit 6 Minuten
Ukrainische Soldaten 1710

Ukrainische Rekruten nehmen an einer Ausbildung auf einem Militärstützpunkt teil. (Symbolbild)

Die ukrainische Abgeordnete und Vize-Parteichefin der liberalen Stimme, Inna Sowsun, erklärt im RND-Interview ihren Ärger und Unverständnis über Deutschlands Waffenlieferungen und den Ringtausch, berichtet von ihrem kämpfenden Mann in der Südukraine und die Vorbereitungen der Menschen auf „einen den härtesten Winter in der ukrainischen Geschichte“.

Frau Sowsun, über Monate gab es starke Kritik, dass Deutschland zu wenig Waffen an die Ukraine liefert. War und ist diese Kritik berechtigt?

Inna Sowsun: Wir leben unter ständigem Beschuss. Viele Menschen, die wir lieben, kämpfen im Krieg, auch mein Mann. Wir stehen daher unter sehr hohem Druck, die Situation ist sehr stressig und emotional – und natürlich wollen wir den Krieg so schnell wie möglich beenden. Wir bitten um mehr Waffen aus einem einzigen Grund: Weil jeder Tag Verzögerung tödliche Folgen hat und wir im Moment sehr viele Menschen im Krieg verlieren. Deshalb bitten wir Deutschland und andere Länder, uns Panzer zu liefern, damit wir unser Volk schützen und Leben retten können. Wir befinden uns in einer unerträglichen Situation und glauben, dass Deutschland mehr tun könnte. Auch seine verfügbaren Waffen zur Verfügung stellen.

Welchen Unterschied macht das deutsche Luftverteidigungssystem IRIS-T, das jetzt in der Südukraine zum Einsatz kommt?

IRIS-T ist klasse. Es ist eine der modernsten Waffen und daher ist die Lieferung von IRIS-T wirklich großartig. Für jemanden wie mich, der wegen Luftalarms dreieinhalb Stunden in einer U-Bahn-Station saß, bin ich sehr dankbar. Das große Problem ist aber, dass es sich bisher nur um ein einziges System handelt, das lediglich eine Stadt schützen kann. Wir sind daher sehr dankbar für die anderen IRIS-T-Systeme, die noch geliefert werden sollen.

Ihr Mann kämpft gerade im Süden der Ukraine. Können Sie denn hin und wieder mit ihm sprechen?

Nein, das ist leider nicht möglich. Ich kann ihm nur ein- oder zweimal am Tag eine Nachricht schicken und fragen, ob es ihm gut geht. Das war es dann aber auch schon.

Sie tauschen sich vermutlich auch darüber aus, was die Soldaten an der Front besonders dringend benötigen. Was sagt Ihnen Ihr Mann dazu?

Er weiß, dass ich für einige Tage in Deutschland bin, und er hat gesagt: Bringe mir einen Panzer aus Deutschland mit. Das brauchen er und seine Kameraden im Moment am dringendsten.

Bei der Lieferung von Kampf- und Schützenpanzer wie den Leopard 2 möchte aber kein westliches Land als Erstes liefern.

Das ist einfach nur unverständlich. Ich habe verschiedene Begründungen gehört, aber sie sind aus meiner Sicht Unsinn. Irgendwer muss nun mal der erste sein, der Kampfpanzer liefert. Auch die Überlegung, wann es sich um eine Offensiv- oder eine Defensivwaffe handelt, ist doch nur eine Ausrede. Wir haben bereits Panzerhaubitzen erhalten, die aus viel größeren Entfernungen russische Ziele treffen können. Deshalb hoffe ich, dass Deutschland seinen Entschluss schnell ändert. Wir brauchen diese Panzer. Unsere Soldatinnen und Soldaten können die Städte ja nicht in zivilen Pickup-Fahrzeugen befreien. Damit würden sie sich in große Gefahr begeben.

Derzeit gibt Deutschland im Ringtauschverfahren neue Panzer an NATO-Länder, damit diese ihre alten Sowjet-Panzer an die Ukraine abgeben – ist das eine sinnvolle Idee?

Das ist eine furchtbare Idee, denn man gibt moderne Panzer an jene Länder, die gar nicht kämpfen. Dagegen bekommen wir nur alte Panzer, obwohl wir seit Monaten gegen den Hauptfeind der NATO kämpfen. Wir sind diejenigen, die euch gerade vor diesem Feind schützen, und das mit sehr alten Panzern. Für mich persönlich ist besonders erschütternd, dass diese alten Panzer unseren Soldatinnen und Soldaten gar nicht ausreichend Schutz bieten.

Die sowjetischen Panzer sind einfach nicht sicher. Die Panzer Leopard 1 und 2 sind viel besser als die sowjetischen Panzer, die wir von den Russen erbeuten konnten. Diese erbeuteten Panzer helfen aber nur bedingt. Denn die Russen haben Tausende sowjetische Panzer und wir haben nur eine kleine Menge. So können wir den Krieg nicht gewinnen. Wir können gegen Russland nur gewinnen, wenn wir bessere, moderne Panzer erhalten, auch wenn es sich um eine kleine Anzahl handelt.

In den letzten Tagen gab es viele Nachrichten über zerstörte Infrastruktur, Heizungen und Stromleitungen. Was bedeutet das für den Winter in der Ukraine?

Der Winter wird sehr hart. Die Angriffe am vergangenen Montag haben uns sehr schwer zugesetzt. Die Russen haben etwa 30 Prozent der Energieinfrastruktur beschädigt. Einige Städte hatten keinen Strom, andere schalteten ihn nur für einige Stunden ein, weil es nicht genug Strom gab. Im Moment ist die Stromversorgung größtenteils wieder hergestellt, aber Russland wird die Angriffe auf unsere Infrastruktur fortsetzen.

Wenn wir beim nächsten Mal nicht in der Lage sind, die Stromversorgung wieder herzustellen, oder wenn die Russen das Heizwerk einer Stadt treffen, könnten wir in große Schwierigkeiten geraten. Deshalb bitten wir unsere Partner, Generatoren und Heizungsanlagen für öffentliche Heizräume zu liefern, damit es in einer Millionenstadt bei einem Ausfall der Zentralheizung einen Ort gibt, an dem man sich aufwärmen kann. Auf eine solche Situation bereiten wir uns gerade vor.

Die Angriffe haben auch Auswirkungen auf den Strom, den die Ukraine an die EU verkauft.

Ja, wegen der Anschläge kann die Ukraine keinen Strom an die EU verkaufen, worauf wir große Hoffnungen gesetzt hatten. Die Anschläge schaden also auch dem Westen. Wir sind bereit, den Strom zu niedrigen Preisen an die EU zu verkaufen. Ich glaube aber, dass Putin mit den Angriffen auf die Energieinfrastruktur dies verhindern und sowohl der Ukraine als auch unseren Partnern in der EU schaden will.

Sind die Angriffe auf die Energieinfrastruktur eine neue Taktik der Russen, sozusagen eine neue Front?

Eigentlich nicht, denn Russland hat unsere Energieinfrastruktur schon früher angegriffen. Diesmal waren die Angriffe nur sehr schwer und sie haben einfach alles bombardiert, was sie konnten. Es war sehr vorhersehbar, dass sie die Infrastruktur jetzt im Oktober ins Visier nehmen, so kurz vor dem Winter. Jetzt stellen wir uns auf die nächsten Angriffe auf unsere Energieinfrastruktur ein.

Das könnte Sie auch interessieren:

Was erwarten Sie?

Der Winter wird brutal, wir werden Versorgungsprobleme erleben, sei es bei der Heizung oder beim Strom. Wir sehen aber nicht, dass Menschen in Panik geraten. Wir sehen auch nicht, dass Menschen versuchen zu flüchten. Die Menschen in der Ukraine wissen genau, dass dies einer der härtesten Winter in der ukrainischen Geschichte sein wird. Das ist allen klar.

Wie bereiten Sie sich auf den Winter vor?

Die Regierung empfiehlt den Kauf von Generatoren und Heizmaterial für die Wohnung. Wer ein eigenes Haus besitzt, soll auf alternative Heizquellen umsteigen. Aber ich bin mir nicht sicher, wie viele Menschen diesen Empfehlungen folgen. Für meine Eltern habe ich bereits einen Generator gekauft, damit sie Strom haben und ihre Wohnung heizen können. Aber ich selbst wohne in einem Mehrfamilienhaus und da hat man kaum Möglichkeiten, weil es eine Zentralheizung gibt. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als dicke Kleidung zu kaufen.

Ich vermute, dass es vielen Menschen so geht wie Ihnen.

Das stimmt. Viele Menschen suchen gerade nach alternativen Unterkünften, wo sie bei einem Ausfall der Heizungen hingehen können. Manche gehen dann zu Freunden, die ein eigenes Haus mit einem Kamin besitzen. Wir sehen, dass die Nachfrage nach Holz für Kamine stark zugenommen hat. Alle überlegen sich gerade einen Plan B für den Fall der Fälle.

KStA abonnieren