Archaische TraditionenDie Todesangst der Frauen in Afghanistan

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Burka Afghanistan

Herat im Jahr 2016: Frauen mit Burka an einer Essensausgabe

Dubai – Die militärischen Rettungsflüge aus Afghanistan steuern auf ein Ende zu. Die Bundeswehr flog am Donnerstag mit einem ihrer letzten Evakuierungsflüge 150 weitere Menschen aus. Belgien, Dänemark und Polen stellten die Evakuierungen bereits ein. Zwei Explosionen am Abend bestätigen die Sorge vor Anschlägen rund um den Flughafen. Der Andrang dort stieg trotzdem noch einmal. Tausende Menschen versuchen, aus Afghanistan zu fliehen.

Die Rückkehr der radikal-islamistischen Taliban ist vor allem eine Katastrophe für die Frauen in Afghanistan. Doch schon dem Kollaps der Regierung in Kabul war das Leben für viele Afghaninnen unsicher. Manche Helfer aus dem Westen gaukelten einen Fortschritt vor, den es nicht gab.

Farakunda wurde 2015 ermordet

Der Mord an Farakunda ist längst vergessen. Die 27-jährige Afghanin wurde 2015 von einem Mob auf einer belebten Straße in Kabul bestialisch zugerichtet und dann verbrannt. Die selbstbewusste Frau, die islamische Religion studierte, hatte sich mit einem zwielichtigen Mullah in der Nachbarschaft wegen seines Handels mit Viagra und Amuletten angelegt. Dieser hetzte daraufhin eine ganze Horde von Männern gegen sie auf.

Während der Mob Farakunda tötete, rief er anti-amerikanische Parolen und beschuldigte die Afghanin, für die Amerikaner und den Westen zu arbeiten. Farakunda starb eines qualvollen Todes. Prominente Religionsführer in den Moscheen in Kabul hießen einen Tag später den Mord an ihr gut. Dies zeigt: Nicht erst seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul müssen afghanische Frauen täglich um ihr Leben fürchten.

Auf dem Land, außerhalb der Hauptstadt Kabul, war die Realität immer schon eine andere: Zwangsverheiratungen, Kinderehen, Verkauf an ältere Männer. In fast der Hälfte aller Ehen in Afghanistan ist die Braut jünger als 18 Jahre, in 15 Prozent der Fälle sogar jünger als 15. Eine Afghanin bringt im Schnitt 5,3 Kinder zur Welt. Geburten und Schwangerschaft bleiben ein großes Gesundheitsrisiko. In Afghanistans tief patriarchalischer Gesellschaft diktiert die „Purda“ den Alltag, eine strenge Trennung der Geschlechter, die Frauen ins Haus verbannt und ihnen den Ausgang nur mit einem männlichen Familienmitglied erlaubt. Dazu kommen Gewalt, Vergewaltigungen, Misshandlungen und so genannte „Ehrenmorde“ – all dies im Namen einer konservativen Religion und Kultur.

Urbane Elite von Frauen in Afghanistan

Diese Kultur traf auf eine urbane Elite von Frauen, die fast 20 Jahre lang deutlich mehr Freiheiten genossen haben. Westliche Hilfsorganisationen brachten afghanischen Mädchen Skateboard-Fahren bei, organisierten Frauenfußballvereine, förderten Schulchöre für Mädchen, unterstützten Graffiti-Malerinnen, Robotics-Erfinderinnen, Bowling-Bahn-Inhaberinnen und andere Projekte, die westliche Spendengeber befriedigten und Wohlfühlgeschichten produzierten, die den Krieg vergessen ließen.

Für ein paar Jahre gaben sich alle der Illusion hin, sie würden dem Fortschritt in Afghanistan zusehen. Schließlich war die Invasion Afghanistans auch mit dem Wert von Frauenrechten und der unmenschlichen Behandlung der Taliban Frauen gegenüber gegründet worden. Nun prallen in Afghanistan zwei Realitäten aufeinander.

Sportlerinnen werden ausgeflogen

Nur Stunden, nachdem die Taliban die Macht in Kabul übernommen hatten, rief die afghanische Ex-Fußballerin Khalida Popal afghanische Fußballerinnen auf, ihre National-Trikots zu verbrennen. „Das tut mir weh“, erklärte die 34-jährige ehemalige Mannschaftskapitänin aus dem dänischen Kopenhagen, wo sie bereits seit mehreren Jahren lebt. Unter den Taliban könnten die Spielerinnen nicht sicher sein.

Wenige Tage später flog Australien 77 Sportlerinnen aus Afghanistan aus, darunter auch viele Fußballerinnen. Eine Absolventin der Amerikanischen Universität in Kabul schrieb auf Twitter, sie habe ihre Abschlussurkunde und Zeugnisse verbrannt. „Es ist riskant, allein einen Studentenausweis zu haben, und nützen tut er uns eh nicht mehr.“

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Viele aus der weiblichen Elite mit Doppelpässen, Green Cards und anderen Vorteilen konnten sich längst in Sicherheit bringen. Frauen wie die Politikerin Fausia Kofi verfügen über genug Kontakte und Geld, um im Ausland zu leben. „Sie kommen, um mich zu töten“, schrieb Sahraa Karimi, Regisseurin und Leiterin des afghanischen Filminstituts, auf Twitter. Die 38-jährige slowakische Staatsbürgerin konnte später Kabul mit einem Evakuierungsflug Richtung Ukraine fliehen. Die bekannte Sängerin Aryana Sayeed wurde in die Türkei ausgeflogen; sie hat seit Jahren einen Zweitwohnsitz in Istanbul.

Die meisten Frauen in Afghanistan haben weniger Glück. Für sie beginnt nun eine schwere Zeit unter den Taliban. Mary Akrami, die ein Schutzhaus für Frauen in Afghanistan leitet, will versuchen, weiter zu arbeiten. Sie fühle sich „verraten“, sagte die dem TV-Sender France24. Afghanistan ist ein extrem kompliziertes, vielschichtiges, oft frustrierendes Land, in dem Fortschritt im Schneckentempo daher kommt.

Das Ende der vielen Projekte, die die Rettungs-Fantasien des Westens nährten, aber an der harschen Realität des Landes vorbeigingen, wird nun hoffentlich nicht das Ende jahrzehntelanger Arbeit bedeuten, die vielleicht wirklich einmal Frauen in Afghanistan einen echten Nutzen bringen wird. 

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