Kindesmissbrauch in DeutschlandTäglich 49 Minderjährige Opfer sexualisierter Gewalt

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Ein Junge kauert sich auf seinem Bett zusammen.

Die von der Polizei in Deutschland ermittelten Fälle von Missbrauch und Gewalt gegen Kinder sind 2021 erneut angestiegen. „Im vergangenen Jahr wurden jeden Tag durchschnittlich 49 Kinder Opfer sexualisierter Gewalt“, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, am Montag bei der Vorstellung eines Lagebilds in Berlin.

Besonders die bekannt gewordenen Fälle der Verbreitung, des Erwerbs, Besitzes und der Herstellung von Missbrauchsdarstellungen – häufig als Kinderpornographie bezeichnet – haben sich im Vergleich zu 2020 mehr als verdoppelt auf über 39.000.

Verbesserte internationale Zusammenarbeit

Den dramatischen Anstieg der Fallzahlen führt BKA-Chef Münch in erster Linie auf eine verbesserte internationale Zusammenarbeit bei den Ermittlungen zurück. Einen großen Teil der Hinweise bekommt seine Behörde durch das Nationale Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder (NCMEC), eine mit öffentlichen Geldern finanzierte gemeinnützige Organisation in den USA.

2021 übermittelte das NCMEC mehr als 87.000 Hinweise mit Deutschland-Bezug an das BKA, wie Münch erklärte. „Davon waren 62.300 Fälle strafrechtlich relevant“, sagte der BKA-Chef. Auch eine Verbesserung der technischen Möglichkeiten zum Auffinden von Missbrauchsdarstellungen habe zum Anstieg der Fallzahlen beigetragen.

Verringerung des Dunkelfeldes

Die gute Nachricht ist: Die steigende Zahl bekannter Fälle bedeutet laut Einschätzung des BKA eine Verringerung des noch deutlich größeren Dunkelfeldes jener Taten, die unter dem Radar der Ermittlungsbehörden stattfinden. Wie groß dieses Dunkelfeld ist, bleibe jedoch weiterhin unklar, sagte die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, die das Lagebild gemeinsam mit Münch vorstellte.

Damit bleibe auch unklar, wie erfolgreich die Arbeit der Ermittlungsbehörden tatsächlich sei. „Wurde nur stringenter ermittelt, und deswegen steigen die Zahlen, oder spiegeln diese Ermittlungszahlen auch einen Anstieg der Straftaten wider? Wir wissen es einfach nicht“, sagte sie. Claus erneuerte deshalb ihre Forderung nach der Einrichtung eines Forschungszentrums zur Ausleuchtung des Dunkelfeldes sexueller Gewalt gegen Kinder. Unterstützt wurde diese Forderung vom Deutschen Kinderschutzbund.

Unklarheit über die Größe des Dunkelfelds

Die hohen Zahlen seien erschreckend, sagte dessen Bundesgeschäftsführer Daniel Grein dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Eine Bewertung der Zahlen falle aufgrund der Unklarheit über die Größe des Dunkelfelds aber schwer. „Es muss alles dafür getan werden, um das Dunkelfeld aufzuhellen“, sagte Grein.

Claus und Münch betonten außerdem, es brauche eine verbesserte Zusammenarbeit nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch auf europäischer und internationaler Ebene. Sie begrüßten Pläne der EU-Kommission, Online-Anbieter im Kampf gegen die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen stärker in die Pflicht zu nehmen. Kerstin Claus betonte jedoch, dabei müssten Kinderschutz und Datenschutz sorgsam abgewogen werden. Pläne der EU-Kommission zur verpflichteten Durchleuchtung auch privater Chats auf strafbare Inhalte waren zuletzt auf laute Kritik gestoßen.

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In Europa gebe es bislang eine Lücke bei der Verpflichtung von Online-Anbietern, aktiv nach Missbrauchsdarstellungen zu suchen, sie zu löschen und an die Ermittlungsbehörden weiterzuleiten, sagte Münch. „95 Prozent aller Meldungen kommen aus den USA“, erklärte der BKA-Chef. Dort gebe es bereits deutlich weitreichendere gesetzliche Verpflichtungen. Zudem pochte er auf eine verpflichtende Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen, ohne die viele Ermittlungen bislang im Sande verliefen.

Claus und Münch drangen auch auf eine Ausweitung von Präventionsangeboten und Programmen zur Verbesserung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. In über 40 Prozent der Fälle von Verbreitung von Kinderpornografie seien die Tatverdächtigen selbst Kinder und Jugendliche, erklärte Münch. Häufig handele es sich dabei um eine unbedachte Weiterleitung – den Kindern und Jugendlichen sei gar nicht bewusst, dass sie eine Straftat begingen. (rnd)

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