Lambrecht im Interview„Welche Waffen geeignet sind, entscheidet die Ukraine“

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Lambrecht AP 110522

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD)

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht glaubt: Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr werden schnell ausgegeben. Mehr Geld sei nötig. Ein Gespräch über Waffenkäufe, Hilfe für die Ukraine – und Kurzarmhemden bei der Truppe.

Frau Lambrecht, der Tag des Gelöbnisses soll einer der heißesten Tage des Jahres werden. Müssen Soldaten da in kompletter Uniform stehen und schwitzen?

Lambrecht: Es gibt selbstverständlich die Möglichkeit, die Jacke auszuziehen und ein Kurzarmhemd zu tragen. Bei fast 40 Grad würde ich sogar dazu raten. Wir werden eine Lösung finden, die der Würde des Anlasses und der Hitze gerecht wird. Es wird natürlich auch sichergestellt, dass genügend Wasser zur Verfügung steht. Und medizinische Betreuung ist vor Ort. Es geht ja nicht um einen Wettbewerb, wie lange sich die Soldatinnen und Soldaten bei Hitze aufrecht halten können. Sie stehen zu diesem Land und seinen Werten und bringen das über das Gelöbnis zum Ausdruck. Da soll sich niemand durchquälen müssen.

Vom Bendlerblock in die Ukraine: Dort wird seit Monaten gekämpft. Beschleicht Sie manchmal das Gefühl, dass die Ukraine besser dastünde, wenn schneller mehr Waffen geliefert worden wären?

Wir haben uns darauf verständigt, dass wir bei der Unterstützung der Ukraine immer gemeinsam mit unseren Verbündeten handeln – und dass wir uns mit der Ukraine abstimmen. Alles, was wir können, leisten wir, ohne dabei die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu gefährden. Das ist der richtige Weg.

Wie sehr müssen Sie auf Befindlichkeiten in der SPD Rücksicht nehmen?

Es ist in der SPD völlig klar, dass wir die Ukraine nach diesem Überfall unterstützen, auch mit schweren Waffen. Die Unterstützung für unsere Vorgehensweise ist sehr breit. Sie wird nicht infrage gestellt.

Es steht noch die Lieferung des Raketenwerfers Mars, des Flugabwehrsystems Iris-T, des Flugabwehrpanzers Gepard und von zusätzlichen Panzerhaubitzen 2000 aus. Hat die Bundeswehr noch weiteres Material, das sie an die Ukraine abgeben kann?

Der Gepard und Iris-T SLM kommen von der Industrie, Mars und Panzerhaubitzen von der Bundeswehr. Wir geben ab, was wir vertreten können. Es gibt noch weitere Abgaben. Die werden wir öffentlich machen, wenn sie vor Ort sind.

Stellen sich die Rüstungsunternehmen lieferfähiger dar, als sie sind?

Die Industrie hat ein Interesse, Waffen aus ihren Beständen abzugeben. Davon müsste vieles zunächst umfangreich instand gesetzt werden. Und nicht alles, was sich dort befindet, ist in diesem Kampf geeignet. Und was geeignet ist, darüber entscheidet die Ukraine und nicht die Industrie. Im Vordergrund steht der Bedarf, nicht das Angebot.

Rheinmetall bietet immer wieder Marder-Schützenpanzer und Leopard-I-Kampfpanzer an. Da gibt es ja durchaus Interesse in der Ukraine.

Wir handeln immer in Abstimmung mit den Alliierten. Es wurde noch kein dem Marder oder dem Leopard vergleichbarer Panzer westlicher Bauart in die Ukraine geliefert. Und es gibt keine deutschen Alleingänge.

Was spricht gegen die Lieferung dieser Panzerarten?

Dass wir im Bündnis stets gemeinsam und nach einheitlichen Maßstäben handeln.

Derzeit wird darüber verhandelt, wie die ukrainischen Häfen für den Export von Getreide freigegeben werden könnten. Wie könnten freies Geleit für die Schiffe und eine Sicherheit der Häfen garantiert werden? Wäre die Bundeswehr dabei?

Wir können die Ukraine materiell bei der Minensuche unterstützen, bei der Ausbildung und bei der Lieferung von Ausrüstung. Das ist unser Beitrag. Es müssen immer die Konsequenzen bedacht werden. Wir haben uns als Nato und als Bundeswehr darauf festgelegt, keine Kriegspartei zu werden. Danach beurteilen wir jedes Engagement.

Gehen Sie davon aus, dass die Bereitschaft zur Unterstützung der Ukraine in der deutschen Bevölkerung weiter hoch bleibt?

Uns allen war bewusst, dass Sanktionen Konsequenzen haben werden. Aber wir haben immer darauf geachtet, dass die Sanktionen nicht uns mehr belasten als Russland. Das Wichtige ist, dass die Bevölkerung weiß, was auf sie zukommt. Ich glaube, dass die deutsche Bevölkerung diesen Kurs weiter unterstützt – weil die Menschenrechtsverletzungen, der Angriff auf zivile Objekte ja einfach nicht geduldet werden können.

Wenn Strom und Energie knapp werden – wo spart dann die Bundeswehr?

Die Bundeswehr ist längst auf dem Energiesparweg. Wir haben schon jetzt viele Möglichkeiten ausgeschöpft, um Kosten zu sparen. Wir haben an vielen Standorten auf Solarenergie umgestellt und Geothermieanlagen in Betrieb genommen. Und wenn es dazu kommt, dass Kontingente vergeben werden:

Ist die Bundeswehr vorne mit dabei, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten?

Natürlich. Die Bundeswehr ist stets verpflichtet zur Landes- und Bündnisverteidigung – und zwar nicht nur, wenn Gas und Strom günstig sind.

Deutschland soll künftig eine Nato-Brigade in Litauen führen. Wann geht es los – und erfolgt der Aufbau Stück für Stück oder auf einmal?

Zunächst muss die Infrastruktur dafür aufgebaut werden, also unter anderem Unterkünfte für die Soldaten. Der Plan ist, das bis 2025 zu schaffen. Litauen hat zugesagt, dafür 500 Millionen Euro zu investieren. Aber den Schutz Litauens stellen wir weiterhin schon vorher sicher.

Der größte und gefährlichste Auslandseinsatz der Bundeswehr findet in Mali unter UN-Führung statt. Frankreich zieht sich daraus demnächst zurück. Wie lange bleibt die Bundeswehr?

Die Soldatinnen und Soldaten müssen auch nach dem Abzug Frankreichs ausreichend geschützt sein. Es gibt ein Angebot von Bangladesch und El Salvador für den Ersatz der französischen Kampfhubschrauber. Das wird gerade geprüft. Außerdem muss klar sein, dass die malische Regierung den UN-Einsatz weiterhin will. Ich bin sehr irritiert über die Vorgänge der vergangenen Tage von der Festsetzung von Soldaten der Elfenbeinküste über die Unklarheiten bei der Ausreise für einige Bundeswehrsoldaten bis zum Infragestellen der Rotation der UN-Truppen. Vor der nächsten Rotation muss sichergestellt sein, dass die deutschen Soldatinnen und Soldaten ins Land kommen und es auch wieder verlassen können. Diese Situation muss sehr schnell geklärt werden, spätestens vor der nächsten Rotation im September.

Und im Zweifel überlässt man Mali sich selbst?

Wenn die malische Regierung nicht will, dass wir beim Kampf gegen den Terrorismus helfen, werden wir andere Lösungen finden, um die Sahelregion zu unterstützen. Im Niger schließen wir die Ausbildung der dortigen Spezialkräfte zum Jahresende ab. Wir loten aus, wie es weitergeht und ob möglicherweise die Gewichte verlagert werden.

Sie touren gerade durch Deutschland. Hören Sie an den Standorten die Nöte, was Ausrüstung und Beschaffung angeht?

Die Soldatinnen und Soldaten nehmen sehr positiv auf, dass es gelungen ist, das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr durchzusetzen und dass das Geld auch nur für die Bundeswehr eingesetzt werden soll.

Wie oft können Sie die 100 Milliarden ausgeben, um alle Begehrlichkeiten zu erfüllen?

Ich werde sie sehr effizient und zügig ausgeben. Es ändert sich viel: Wir haben schon dafür gesorgt, dass das Beschaffungswesen schneller läuft. Inzwischen können 20 Prozent der Verträge des Beschaffungsamts direkt vergeben werden – nicht mehr über zeitaufwendige Ausschreibungen. In Zukunft kann vom europäischen Vergaberecht abgewichen werden, wenn die Beschaffung der nationalen Sicherheit dient und dringlich ist. Zudem müssen künftig auch Gerichtsentscheidungen schneller getroffen werden.

Die Soldatinnen und Soldaten nehmen also wahr: Jetzt ist das Geld für notwendige Ausgaben da, und die Vorgänge laufen schneller. Es weiß aber auch jeder, dass wir nicht morgen zehn schwere Transporthubschrauber auf dem Hof stehen haben werden. Außerdem gilt: Wenn wir künftig die Fähigkeitsziele der Nato erfüllen wollen, dann muss in Zukunft der Haushalt des Verteidigungsministeriums anwachsen.

Wie schnell werden die 100 Milliarden Euro ausgegeben sein?

Das muss und wird sehr schnell gehen, der Nachholbedarf an Investitionen ist groß. Ich gehe davon aus, dass die 100 Milliarden in den nächsten fünf bis sechs Jahren investiert sind und das Material zügig bei der Truppe ankommt.

Die Bundeswehr hat seit Jahren Personalmangel. Wäre eine Dienstpflicht für die Bundeswehr hilfreich, die junge Menschen sozial, ökologisch oder militärisch ableisten könnten?

Für mich ist das keine Option. Das würde beim Personalaufwuchs akut nicht helfen. Wenn es ohnehin nur um ein halbes Jahr geht, bekomme ich in diesem kurzen Zeitraum niemanden so ausgebildet, wie es die Bundeswehr braucht. Dafür müsste eine Dienstpflicht ein Jahr dauern. Die Wehrpflicht ist auch ausgesetzt worden, weil es ein Pro blem mit der Wehrgerechtigkeit gab, weil nur noch jeder Vierte eines Jahrgangs gezogen wurde.

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Sollte es noch mal eine Pflicht geben, wären auch Frauen dabei. Die Bundeswehr hat aktuell gar nicht die Infrastruktur, jedes Jahr Hunderttausende junge Menschen in ein Pflichtjahr zu nehmen. Wir haben aber gute Argumente, mit denen wir für den Dienst in der Bundeswehr werben können, da wir ein guter und sicherer Arbeitgeber sind. Diesen Weg nutzen wir intensiv zur Personalgewinnung.

Oberleutnant Franco A. ist als verhinderter Rechtsterrorist zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die Spezialtruppe KSK musste wegen Fällen von Rechtsextremismus umstrukturiert werden. Können Sie garantieren, dass ein Fall wie Franco A. nicht mehr passiert – dass also eine offensichtlich staatsfeindliche Person durch alle Raster der Kontrollen fällt?

Ich kann nicht in jeden einzelnen Kopf reinschauen und weiß nicht, wann eine Radikalisierung stattfindet. Unsere Mechanismen sind aber inzwischen ziemlich ausgefeilt. Seit 2019 gibt es die zentrale Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle, bei der immer mehr Fälle gemeldet werden. Das zeigt, dass das Bewusstsein dafür gestiegen ist, dass jede Form von Rechtsextremismus in der Bundeswehr nichts zu suchen hat. 2019 wurden 743 Verdachtsfälle bearbeitet, 2020 waren es 1016, und 2021 waren es 1452. Immer mehr Soldatinnen und Soldaten sind nicht bereit, bei solchen Verdachtsfällen wegzuschauen.

Sie hatten sich eigentlich auf das Innenministerium als Ressortchefin vorbereitet. Ihre Kritiker werfen Ihnen zu wenig Interesse an Ihrem Ministerium vor. Tangiert Sie diese Kritik?

Ich bin in der Politik, weil ich etwas verändern möchte. In diesem Ressort habe ich gerade in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit, so viel zu verändern und zu verbessern für die Bundeswehr. Das ist eine Riesenchance. Daher habe ich nicht lange überlegt, als mich der Kanzler gefragt hat, ob ich so eine Aufgabe übernehmen möchte. Ich habe die Entscheidung noch keinen Tag bereut. Ich habe mittlerweile auch gezeigt, dass ich nicht lange rede, sondern umsetze. Genauso mache ich weiter. Wer in die Politik geht, muss mit Kritik umgehen können.

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