VDA-Präsidentin Hildegard MüllerUmweltbonus bei Autokauf - nicht bei Auslieferung

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Plug-in-Hybrid-Antrieb

Auto mit Plug-in-Hybrid-Antrieb.

Berlin – VDA-Präsidentin Hildegard Müller warnt vor einem Scheitern der Klimapolitik. Sie sieht das europäische Wirtschaftsmodell in Gefahr. Die wirtschaftliche Lage war selten so schwierig, aber die Autoindustrie fährt Rekordgewinne ein. Wie passt das zusammen, Frau Müller? Hildegard Müller: Da muss man differenzieren. Die Gewinne der Hersteller kommen zum großen Teil aus dem Ausland, vor allem aus China und aus dem schwachen Euro Kurs. Mittelständische Zulieferer haben dagegen oft erhebliche Probleme. Sie müssen die Transformation zum Elektroantrieb schaffen, die Lieferketten sind gestört und die andauernden Probleme der Corona-Pandemie setzen auch der Liquidität zu. Ich betrachte die Entwicklung für unser Land daher mit großer Sorge.

Hildegard Müller

Hildegard Müller.

Das Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ist in der EU für 2035 faktisch beschlossen. Das ist eine herbe Niederlage für die Autoindustrie, oder?

Das ist in erster Linie eine Niederlage für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Solche Ziele müssten mit den entsprechenden politischen Rahmenbedingungen flankiert werden. Fakt ist: Die Autoindustrie stellt die Autos her, im nächsten Jahr gibt es schon mehr als 150 Modelle. Das Angebot ist also da – gefordert ist jetzt vor allem die Politik. Sie muss dafür sorgen, dass die Kunden dieses Angebot auch annehmen können und wollen. Das Ladenetz ist in Deutschland immer noch weit davon entfernt, dass Menschen an jedem Ort und zu jeder Zeit laden können. In den meisten anderen EU-Ländern beginnt gerade erst der Aufbau. Es braucht Auf- und Ausbauverpflichtungen sowie ein entsprechendes Monitoring - für alle Mitgliedsländer Die EU hat das bisher versäumt und setzt damit Verbrauchervertrauen – und letztlich den Erfolg der E-Mobilität – aufs Spiel.

Die Bundesregierung will für Hybride kein Geld mehr geben. Ist das beim Umstieg auf E-Mobilität nicht logisch?

Deutschland ist noch weit von einer ausreichenden Ladeinfrastruktur entfernt – und jetzt soll der Verbraucher für die Versäumnisse bestraft werden. Die Lebensrealität der Menschen wird immer weniger berücksichtigt. Im Moment wissen die Leute nicht einmal, ob der Plug-in-Hybrid, den sie heute bestellen, später bei der Lieferung noch förderfähig sein wird. Es muss Vertrauensschutz und Planungssicherheit beim Umweltbonus geben, das ist im Klimaschutzsofortprogramm leider offen geblieben. Wir wollen die Auszahlung bei Kaufabschluss, nicht bei Auslieferung. Die Politik weigert sich.

Zur Person

Hildegard Müller ist seit 2020 Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Die 55-jährige Betriebswirtin arbeitete zunächst bei der Dresdner Bank und machte dann in der Politik Karriere. Sie war Vorsitzende der Jungen Union und von 2005 bis 2008 Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Danach führte sie acht Jahre lang den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und wechselte 2016 in den Vorstand des Energiekonzerns Innogy.

Was muss beim Ladenetz konkret passieren?

Wenn wir die geplante eine Million Ladepunkte bis 2030 in Deutschland erreichen wollen, muss sich das Ausbautempo versechsfachen. Dafür brauchen wir endlich eine konzertierte Aktion mit allen Beteiligten. Bund, Länder und Kommunen müssen Flächen für Ladestationen bereitstellen. Die Kommunen haben da eine Schlüsselrolle. Und die Energiewirtschaft muss für ausreichende Netzanschlüsse sorgen – das kann sie nicht abwälzen. Mir berichten Wohnungsgesellschaften, dass sie von 20 beantragten Anschlüssen von ihrem Versorger nur fünf bekommen. Das ist ein inakzeptabler Zustand!

Woran liegt das?

Die Versorger haben bisher gar nicht den Auftrag, anzuschließen. Die Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde muss deshalb den politischen Auftrag bekommen, den Netzanschluss sicherzustellen. So schnell wie möglich. Wir verspielen hier Zeit, die wir nicht haben.

Das heißt, die Netzagentur soll Versorger zwingen können, ihr Netz für neue Ladestationen aufzurüsten?

Wie es früher den Anschlusszwang für die regenerativen Energien gab, muss jetzt klar sein: Ladestationen müssen zeitnah ans Netz angeschlossen werden. Das muss regulatorisch als klarer Auftrag definiert werden. Dazu gehört dann allerdings auch eine geregelte Vergütung für die Versorger, jedenfalls so lange noch kein entsprechendes Geschäftsmodell entwickelt ist.

Transformation der Autoindustrie, Energiewende, Krieg – ballen sich da gerade mehr Herausforderungen, als man bewältigen kann?

Wir müssen gleichzeitig die großen Weichen stellen und akut handeln. Das ist eine riesige Herausforderung, noch gewaltiger in Zeiten einer Polykrise. Grundsätzlich gibt es eine problematische Entwicklung: Die Politik setzt zunehmend nur noch neue Ziele, ohne die Bedingungen zu schaffen, um sie zu erreichen. Im Klartext: Ohne die eigenen Hausaufgaben zu machen. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um das europäische Wirtschaftsmodell. Berlin und Brüssel verweigern sich dringend notwendigen Reformen, die unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken. Eines dürfen wir nicht vergessen: Wenn wir mit unserem Ansatz beim Klimaschutz scheitern, werden uns andere Regionen auch nicht folgen. Eine lahmgelegte Industrie ist für niemanden ein nachahmenswertes Beispiel. Deswegen muss unsere Klimapolitik auch Wirtschafts- und Wohlstandsmotor sein. Wir alle müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln und uns – ohne Denkverbote – klar machen: Es geht jetzt um unsere Zukunft – wir stehen an einem Kipppunkt.

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