SPD nach der WahlKutschaty muss keinen Königsmörder fürchten

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SPD-Chef Thomas Kutschaty: Die Euphorie des Wahlkampfs dem Katzenjammer gewichen.

Den Tag nach der Landtagswahl hatte sich Thomas Kutschaty sicher anders vorgestellt. Nachdem die NRW-SPD am Sonntag ihr historisch schlechtestes Ergebnis in NRW bekam, musste der Frontmann den Spagat vollbringen: die Trümmer der Niederlage zusammenzufegen, ohne dabei allzu deprimiert zu wirken. Die Übung gelang – indem Kutschaty bei der Ursachenforschung auf Fehler in Berlin verwies.

Die Menschen hätten offenbar von der Bundesregierung erwartet, dass sie mehr gegen die Preissteigerungen tun würde, sagte Kutschaty. Viele Rentner hätten die SPD dafür abgestraft, dass sie beim Entlastungspaket für höhere Energiekosten vergessen worden seien, hieß es in Kutschatys Umfeld. Die SPD wollte vor allem die älteren Wähler für sich begeistern und die Wahlen im Ruhrgebiet gewinnen. Doch daraus wurde nichts. Die Genossen schafften es nicht, ihre Stammwähler zu mobilisieren. 300.000 Stimmen verlor die SPD an das Lager der Nichtwähler. Das ist bitter – Kutschaty, ein Kind des Reviers, hatte darauf gesetzt, dass er in der einstigen „Herzkammer der Sozialdemokratie“ nach der Wahlpleite von 2017 wieder punkten würde.

SPD sitzt erstmal im „Wartehäuschen“

Jetzt ist die Euphorie des Wahlkampfs dem Katzenjammer gewichen. So wie es aussieht, werden die Sozialdemokraten erneut fünf Jahre lang die Oppositionsbank in Düsseldorf drücken müssen. Nur, wenn Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen scheitern würden, könnte die Ampel noch zum Zug kommen. „Die Tür ist noch einen kleinen Spalt breit offen“, heißt es in Düsseldorf. Die SPD sitze erstmal im „Wartehäuschen“.

Am Abend kam die Parteiführung in Düsseldorf zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Die Aufarbeitung der Ursachen für die Wahlpleite hat begonnen.

Scholz war kein Booster

Neben der geringen Wahlbeteiligung in NRW wird die mangelnde Strahlkraft der Bundesregierung kritisiert. „Ein Problem war sicher die Windstille in Berlin“, sagte der SPD-Politiker und Historiker Karsten Rudolph. Die NRW-SPD habe auf einen Booster durch Olaf Scholz gehofft. „Aber der ist ausgeblieben.“

Die SPD habe vor allem im Kampf um die Mitte Wähler an die Grünen verloren. „Das liegt sicher vor allem daran, dass die grünen Minister in der Bundesregierung positiv wahrgenommen werden“, analysierte Rudolph. Dagegen seien die SPD-Mitglieder des Kabinetts „praktisch unsichtbar“. Zudem habe der Urlaubsflug von Verteidigungsministerin Lambrecht im Hubschrauber sicher Stimmen gekostet. „Dass Scholz sie noch am Samstag verteidigt hat, war wenig hilfreich“, so der Professor mit dem Schwerpunkt Sozial- und Politikgeschichte.

Wahlkampfthemen in der Selbstkritik

Auch an den Themen im NRW-Wahlkampf kam Kritik auf. Vielleicht habe man mit Blick auf eine mögliche Ampel auch die FDP und ihre Schulministerin Yvonne Gebauer zu sehr geschont, heißt es im Umfeld Kutschatys. Der Wahlkampf sei zu wenig konfrontativ und wenig überraschend gewesen. „Suboptimal war auch, dass die Themen der SPD schon bei der Bundestagswahl verbraucht wurden. Mindestlohn, Wohnungsbau, Respekt vor der Arbeit – das kannten die Leute schon“, bilanziert Historiker Rudolph.

Und welche Rolle spielt der Spitzenkandidat für den Misserfolg? An Kutschaty habe es nicht gelegen, heißt es in der SPD-Landtagsfraktion. Der sei allerdings viel zu spät aufgestellt worden und habe wenig Gelegenheit gehabt, bekannt zu werden. Viele sind dafür, dem Eisenbahner-Sohn aus Essen eine zweite Chance zu geben.

Innerparteiliche Konkurrenz rar

Das liegt auch daran, dass in der Führungsreserve der NRW-SPD keine potenziellen Königsmörder auszumachen sind. Kutschaty ist in der Fraktion beliebt, sein einstiger Widersacher Marc Herter ist mittlerweile Oberbürgermeister in Hamm und weit von einem Comeback in der Landespolitik entfernt. Sollte Kutschaty 2017 nicht mehr Spitzenkandidat werden wollen, könnte sich Fraktionsgeschäftsführerin Sarah Philipp für den Posten warmlaufen. Deren Reputation hat aber gerade erst durch die unselige Verstrickung ihres Mitarbeiters in die Mallorca-Affäre gelitten. Der hatte versucht, die Minderjährige Tochter der früheren NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) in den sozialen Netzwerken auszuspähen.

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Vieles spricht dafür, dass Kutschaty bei der NRW-SPD weiter auf der Brücke stehen wird. Kein leichter Job: „Die SPD muss ihre Struktur modernisieren“, sagt SPD-Insider Karsten Rudolph. So sei der Landesvorstand viel zu groß. „Es gibt ein Silodenken bei den vielen hauptamtlichen Funktionären, das oft leider vor allem von der Verwirklichung eigener Karriereziele geprägt ist“, beklagt der Historiker, der früher selbst stellvertretender Landeschef der NRW-SPD war. Die SPD müsse „weg von ihrem Bratwurst-Image. Mit dem wird sie perspektivisch keine Mehrheiten mehr organisieren können“.

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