Synagogen-Gemeinde Köln„Bewundernswerte Zeichen der Solidarität nach dem Anschlag“

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Abraham Lehrer (1)

Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln

  • Der Attentäter von Halle versuchte mit selbstgebauten Waffen, sein krudes Weltbild durchzusetzen.
  • Sein Angriff zielte auf eine Synagoge. Als ihm der Zutritt verwehrt blieb, tötete er wahllos zwei Menschen.
  • Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, über jüdisches Leben nach dem Anschlag.

Herr Lehrer, Sie haben erst vor wenigen Tagen vor der antisemitischen Bedrohung gewarnt und sinngemäß gesagt, es ist nicht vorbei. Sehen Sie sich auf grausame Weise bestätigt?

Als Allererstes möchte ich sagen: Unsere Trauer gilt den beiden Menschen, die in Halle einen sinnlosen Tod gestorben sind. Den Familien und Angehörigen der Toten gilt unsere höchste Anteilnahme. Ich kam nicht umhin, mir das vom Täter angefertigte Video ansehen zu müssen. Es dreht einem – entschuldigen Sie – förmlich den Magen um. Aber für uns alle kann dieses schreckliche Vorkommnis in Halle nur eine Konsequenz haben: Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir in diesem Land ein Problem mit Rechtsradikalismus und Antisemitismus haben. Sonst werden wir es nicht bekämpfen oder gar besiegen können. Und wir – das sind die Politik, die Ermittlungsbehörden, Organisationen der Zivilgesellschaft und – ja – auch jeder einzelne Bürger.

Wie stelle ich mich als Einzelner denn dem Problem?

Wir haben als Kölner Synagogengemeinde unmittelbar nach dem Anschlag und auch am gestrigen Tag bewundernswerte Zeichen der Solidarität erfahren. Es war nach dem Gottesdienst zum Fest Jom Kippur am Mittwoch bewegend zu sehen, dass sich Menschen mit und ohne Kerzen vor der Synagoge versammelt hatten. Aber das reicht nicht. Es geht jetzt um möglichst konkrete Schritte, rechtsradikales Gedankengut nicht in die Köpfe und Herzen der Menschen gelangen zu lassen und potenzielle Gewalttäter wirksam in Schach zu halten.

ZUr Person

Abraham Lehrer (65) ist Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, Vorstandsvorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

An welche Schritte denken Sie?

Alle Bildungskonzepte, die wir seit 1945 entwickelt und praktiziert haben, müssen auf den Prüfstand: War das richtig? Warum hat es nicht zum gewünschten Erfolg geführt? Was müssen wir ändern? Was braucht es zusätzlich? Das müssen wir mit Pädagogen und Sozialwissenschaftlern genau besprechen. Mir geht es also nicht um einen Schnellschuss mit verschärften Strafandrohungen oder solchen Dingen. Allerdings werfen die Umstände des Anschlags von Halle schon auch Fragen an die Behörden auf: Wie konnte es angesichts der bekannten aufgeheizten antijüdischen Stimmung sein, dass in Halle ein Gottesdienst am höchsten jüdischen Feiertag ohne Polizeischutz blieb. Und dass zehn Minuten vergangen sein sollen, bis der erste Streifenwagen vor der Synagoge eintraf, ist mir ebenfalls schwer erklärlich. Aus Kölner Sicht würde ich sagen: So lange darf das nicht dauern. Da kommt natürlich der Gedanke an eine personelle Verstärkung der Polizei auf – und auch eine Aufstockung beim Staats- und Verfassungsschutz. Denn auch da: Wenn ich höre, dass der Täter sein Hass-Manifest vor der Tat ins Netz gestellt hat, dann frage ich mich schon, ob man das nicht hätte aufspüren und des Verfassers habhaft werden können, bevor er zuschlagen konnte.

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Sie haben in der Feier zur Wiedereinweihung der Kölner Synagoge gesagt, für Ihre Gemeindemitglieder sei trotz aller Widrigkeiten klar, dass sie hier zuhause sind. Ist die Stimmung heute eine andere? Kommt vielleicht doch der Gedanke an die „gepackten Koffer“ auf?

Ich glaube nicht, dass jüdische Menschen in Köln sich konkreter mit der Möglichkeit einer Auswanderung beschäftigen als noch vor drei Tagen. Dass die Unruhe unter den Gemeindemitgliedern groß ist und sie konkret die Frage nach dem Schutz durch die Polizei stellen, ist aber auch klar und sicher verständlich.

Ist die Hoffnung, jüdisches Leben in Deutschland könnte doch einmal ohne Polizeischutz und ständige Sicherheitskontrollen stattfinden, seit Halle gestorben?

Ich hatte diese Hoffnung einmal für meine Kinder. Sie hat sich nicht erfüllt. Heute habe ich sie für meine Enkel. Aber ich müsste lügen, wenn ich sagte, dass ich wirklich daran glaube.

Das Gespräch führte Joachim Frank

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