Kämpfe in ostukrainischer StadtRussland verkündet Eroberung – Kiew: „Der Kampf um die Stadt Bachmut geht weiter“

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Männer in Tarnuniformen sitzen hinter dem Zielrohr einer Kanone, aus deren Mündung Feuer kommt.

Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone in der Nähe von Bachmut ab.

Putin lobt seine Truppen für die Eroberung der ostukrainischen Stadt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt, dass Bachmut nicht besetzt wurde.

Eindeutige Worte fand Wolodymyr Selenskyj am Sonntag (21. Mai) nicht, als ihn ein Journalist zu der Situation in der ostukrainischen Stadt Bachmut befragte. „Es ist eine Tragödie“, sagte der ukrainische Präsident, der sich mit US-Präsident am Rande des im japanischen Hiroshima stattfindenden G7-Gipfels traf, „heute ist Bachmut nur in unseren Herzen.“

Ukrainische und russische Streitkräfte kämpfen seit Monaten um die Stadt.

Putin gratuliert Armee und Wagner-Truppe zur Einnahme Bachmuts

Denn am späten Samstagabend teilte die russische Armee mit, dass Bachmut vollständig erobert worden sei. Als Ergebnis der Offensivaktionen der Wagner-Einheiten mit Unterstützung der Artillerie und der Luftwaffe „wurde die Befreiung der Stadt Artemowsk [Name von Bachmut aus Sowjetzeit, Anm. d. Red.] abgeschlossen“, hieß es vom russischen Verteidigungsministerium.

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Russlands Präsident Wladimir Putin sprach den Wagner-Truppen und der russischen Armee Glückwünsche aus. Die russischen Streitkräfte hätten Wagner den nötigen Schutz an den Flanken garantiert, sagte Putin nach Angaben seines Pressedienstes. „Alle herausragenden Kämpfer werden mit staatlichen Auszeichnungen geehrt.“

20.05.2023, Ukraine, Bachmut: Dieses vom Prigozhin-Pressedienst via AP veröffentlichte Foto, zeigt Jewgeni Prigoschin (m.), Chef der Söldnergruppe Wagner, mit einer russischen Nationalfahne in der Hand vor seinen Soldaten.

Jewgeni Prigoschin (m.), der Chef der Söldnergruppe Wagner, mit einer russischen Nationalfahne in der Hand vor seinen Soldaten in Bachmut. Prigoschin behauptet, seine Truppen hätten die Stadt nach der längsten und schwersten Schlacht des russisch-ukrainischen Krieges unter ihre Kontrolle gebracht, doch ukrainische Verteidigungsbeamte bestreiten dies.

Der Chef der Wagner-Söldnertruppe Jewgeni Prigoschin hatte zuvor am Samstag selbst in Uniform und mit der russischen Flagge in der Hand die Eroberung von Bachmut verkündet. „Die Operation zur Einnahme von Bachmut hat 224 Tage gedauert“, sagte er. Prigoschin nahm dies auch zum Anlass, um die russische Militärführung erneut zu kritisieren. Ihre Launen und die Militärbürokratie hätten dazu geführt, „dass fünfmal so viele Soldaten gestorben sind, wie hätten sterben müssen“.

Bei Präsident Putin bedankte er sich hingegen dafür, dass dieser den Wagner-Kämpfern Gelegenheit gegeben habe, für Russland zu kämpfen. Das sei eine „große Ehre“ gewesen, betonte Prigoschin, der als enger Vertrauter Putins gilt. Die Wagner-Truppe habe der „zerzausten russischen Armee geholfen, wieder zu sich zu finden“.

Bis zum 25. Mai würden die Kämpfer der Wagner-Gruppe die Stadt untersuchen, „die notwendigen Verteidigungslinien schaffen“ und Bachmut dann der russischen Armee übergeben.

Bachmut eingenommen? Selenskyj: „Ich denke nicht“

Von der ukrainischen Regierung gibt es derweil andere Berichte. Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar widersprach Prigoschins Worten am Samstagnachmittag mit den Worten, die „schweren Kämpfe“ in Bachmut dauerten weiter an. Zugleich räumte sie ein: „Die Lage ist kritisch.“ Die ukrainischen Streitkräfte verteidigten aber ihre Stellungen und kontrollierten noch einzelne Industrie- und Infrastrukturobjekte. Auf die Sieges-Verkündung der russischen Regierung reagierte sie nicht. 

Maljar hatte zuvor gesagt, das russische Militär habe Tausende Soldaten zur Verstärkung nach Bachmut verlegt und greife weiter „unter hohen Verlusten an, die unsere Verluste unverhältnismäßig übersteigen“. Auch das Verteidigungsministerium in Moskau sprach von schweren Verlusten des Gegners. Die Angaben beider Seiten zum Kampfgeschehen ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (r.) gemeinsam mit US-Präsident Joe Biden bei einer Arbeitssitzung zur Situation in der Ukraine während des G7-Gipfels in Hiroshima.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (r.) gemeinsam mit US-Präsident Joe Biden bei einer Arbeitssitzung zur Situation in der Ukraine während des G7-Gipfels in Hiroshima.

Am Rande des G7-Treffens in Hiroshima äußerte sich der ukrainische Präsident Selenskyj am Sonntag ähnlich zu den Meldungen von russischer Seite. „Ich denke nicht“, lautete Selenskyjs Antwort auf die Frage eines Journalisten, ob Bachmut erobert worden sei. Er betonte jedoch, dass die Stadt fast vollständig zerstört sei. Es sei dort „nichts“ mehr übrig, sagte er, ohne nähere Angaben zur militärischen Lage vor Ort zu machen. Es gebe dort keine Gebäude mehr „und eine Menge toter Russen“. Selenskyj dankte den ukrainischen Soldaten in Bachmut für ihren Einsatz.

Nach dem G7-Treffen sagte Selenskyj am Sonntag noch einmal deutlich: „Bachmut ist heute nicht von Russland besetzt worden.“ Er stellte damit missverständliche, nicht eindeutige Aussagen von ihm zu der Situation in der Stadt nach dem Treffen mit US-Präsidenten Joe Biden richtig.

Auch der Generalstab in Kiew schrieb in seinem morgendlichen Lagebericht am Sonntag: „Der Kampf um die Stadt Bachmut geht weiter.“

„Unsere Soldaten halten Befestigungsanlagen und einige Räumlichkeiten im Südwesten der Stadt“, sagte der Sprecher der Heeresgruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, am Sonntag im ukrainischen Fernsehen. Er räumte allerdings ein, dass die Lage kritisch sei und es schwere Kämpfe gebe.

Tscherewatyj nahm auch Stellung zu den missverständlichen Äußerungen von Selenskyj: „Der Präsident hat es richtig gesagt – die Stadt ist praktisch dem Boden gleichgemacht“. Selbst bei einer Eroberung hätte die Stadt weder militärischen noch politischen Nutzen für die Russen, „aber sie führen sich auf, als hätten sie Dnipro eingenommen.“ Die Millionenstadt Dnipro ist das wichtigste Industrie- und Rüstungszentrum im Südosten der Ukraine.

Sollte Bachmut in russischer Hand sein, könnte Donezk vollständig erobert werden

Die Schlacht um Bachmut gilt als längste und verlustreichste des russischen Angriffskriegs, der vor 15 Monaten mit dem Einmarsch ins Nachbarland begann. Damals hatte die Stadt noch 70.000 Einwohner, inzwischen liegt sie weitgehend in Trümmern. Es wird vermutet, dass beide Seiten große Verluste erlitten haben. Die Ukraine gab Bachmut trotzdem nicht auf, um einen Durchbruch der russischen Truppen weiter ins Landesinnere zu verhindern. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte befohlen, die symbolträchtige Stadt nicht aufzugeben.

Bachmut ist der Hauptteil der nach der russischen Eroberung von Sjewjerodonezk und Lyssytschansk etablierten Verteidigungslinie der Ukraine zwischen den Städten Siwersk und Bachmut im Donezker Gebiet. Sollte die Stadt tatsächlich an die Besatzer gefallen sein, würde sich für die russischen Truppen der Weg zu den Großstädten Slowjansk und Kramatorsk eröffnen. Damit würde eine von Russland geplante vollständige Eroberung des Donezker Gebiets näherrücken. (rxa mit dpa und AFP)

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