Internationale Pressestimmen zur US-Wahl„Trump pfeift auf die Demokratie“

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Pressestimmen US-Wahl Paris

Kiosk in Paris: Eine französische Zeitung berichtet über die US-Wahl.

Die Wahlen in den USA beschäftigen die ganze Welt. Endet die Ära Trump? Darauf hofft die Bevölkerung in vielen Staaten. Das Presseecho ist enorm, und besonders das Verhalten von Amtsinhaber Donald Trump in der Nacht nach der Wahl ruft nahezu einhellig Kritik hervor. Ein Überblick. 

„Der schlimmste aller möglichen Fälle“

„La Vanguardia“, Spanien: „In den Vereinigten Staaten ist nach der Wahl am Dienstag der schlimmste aller möglichen Fälle eingetreten. Das Fehlen schlüssiger Ergebnisse bedeutet, dass ein bereits polarisiertes und gereiztes Land noch nicht weiß, ob sein zukünftiger Präsident Trump oder Biden heißen wird. Um den Gewinner zu ermitteln, muss auch die letzte per Post abgegebene Stimme gezählt werden. Und es könnte sein, dass wir auch dann nicht wissen werden, wer der Sieger ist, denn mitten in der Nachzählung der Wahlen erklärte sich Trump schon zum Sieger, prangerte - ohne Beweise - die Briefwahl als betrügerisch an und kündigte an, beim Obersten Gerichtshof Berufung einzulegen und die Auszählung der Briefwahlstimmen zu stoppen. Den Sieg im Voraus zu reklamieren und die Demokraten des Betrugs zu beschuldigen, trägt nichts dazu bei, die Stimmung in einer nervösen und gespaltenen Gesellschaft zu beruhigen. Trump verachtet die Demokratie.“

„Der Westen wird Trump als Usurpator sehen“

„Gazeta Wyborcza“, Polen: „In den USA hat sich das schwärzeste aller möglichen Szenarien erfüllt. Aus Donald Trumps Ankündigungen geht hervor, dass er vor nichts zurückschreckt, nur um die eigene Niederlage nicht zuzulassen. Der Versuch, Hunderttausende Briefwahlstimmen in mehreren Staaten von der Wahl auszuschließen, ist kein Anschlag auf die Demokratie, sondern der Versuch ihrer Beerdigung. (...) Der Angriff auf die Demokratie wird unumkehrbare Folgen für die internationale Wirkungskraft Amerikas haben. Trump hat vielleicht den Atomknopf sowie die mächtigste Armee und Wirtschaft der Welt. Aber für den Westen wird er nicht mehr nur der Exzentriker im Weißen Haus sein, sondern ein Usurpator. Mit so jemandem kann man zwar Geschäfte machen, als Partner behandeln kann man ihn jedoch kaum.“

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„Wahl hat Ausmaß der Spaltung des Landes gezeigt“

„NZZ“, Schweiz: „Die Wahl hat die Spaltung des Landes, von der im Vorfeld so oft die Rede gewesen war, in ihrem ganzen Ausmaß vor Augen geführt. Fast die Hälfte der Wähler haben dem Präsidenten trotz all seinen Lügen und Pöbeleien ihre Stimme gegeben, während die andere Hälfte in ihm einen gefährlichen Potentaten sieht. Wie dieser Graben überwunden werden soll, ist offen. Immerhin verlief der Wahltag ruhig, die von manchen befürchtete Gewalt blieb zum Glück aus. Umso mehr ist zu hoffen, dass die nächsten Tage eindeutige Ergebnisse bringen werden, die beide Lager und auch die Medien vorsichtig interpretieren und schlüssig erklären. Ein Befeuern von Spekulationen könnte gravierende Folgen haben. Die Wahl ist erst entschieden, wenn alle Stimmen gezählt sind.“

„US-Verfassung zeigt Altersschwächen“

„Corriere della Sera“, Italien: „Wenn Trumps Präsidentschaft einen Verdienst hat, dann den, die Schwächen dieses vielbewunderten Modells allen offengelegt zu haben. Die US-Verfassung ist 233 Jahre alt. Es ist die langlebigste der Welt. In den vielen Jahren wurden nur 27 Änderungen vorgenommen, obwohl mehr als 10.000 vorgeschlagen wurden. (...) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Verfassung, die ein weltweit als Vorbild genommenes politisches System hervorgebracht hat, Altersschwächen zeigt und nicht mehr sehr vorbildlich ist. Trump hat sich dabei nicht nur als Problem für sein Land herausgestellt, sondern auch für die Demokratie.“

„Amerikas Rolle wird für immer anders sein“

„Sydney Morning Herald“, Australien: „Wenn Trump sich gegen alle Widrigkeiten durchsetzt, ist es unwahrscheinlich, dass sich der Verlauf der letzten vier Jahre ändern wird. Amerika wird für immer anders sein als früher und der Bruch seiner traditionellen Beziehungen zum Rest der Welt wird lange dauern oder sogar permanent sein. Wenn Biden gewinnt, bleiben einige der Narben dieser bizarren Periode in der Geschichte sowie die Spaltungen und das Misstrauen, die im In- und Ausland gesät wurden, weiter bestehen. Amerikas Politik könnte weniger unberechenbar und weniger aggressiv werden, seine Entscheidungsfindung überlegter und kollegialer und seine Sicht auf den Rest der Welt weniger misstrauisch. Aber seine frühere Rolle als unbestrittener Führer der liberalen Weltordnung und als führender Protagonist für Demokratie und freien Handel wird wahrscheinlich nie mehr dieselbe sein.“

„Trump pfeift auf die Demokratie“

„Tages-Anzeiger“, Schweiz: „Trumps Gerede vom Wahlbetrug erstaunte umso mehr, weil sich zunächst keineswegs abzeichnete, dass er verlieren könnte. Im Gegenteil, er schnitt besser ab als erwartet, ähnlich wie vor vier Jahren. Anders als 2016 wussten die US-Bürger jedoch dieses Mal, mit wem sie es zu tun hatten. (...) Bereits jetzt steht fest, dass die Vereinigten Staaten so tief gespalten sind wie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr. Das hat die Wahl verdeutlicht. Wer künftig im Weißen Haus ist, wird Präsident von zwei Amerika, einem roten und einem blauen. Und diese beiden Amerika wollen nichts von einander wissen und sind sich spinnefeind. Der Schaden ist angerichtet. Biden würde versuchen, die beiden Lager zu versöhnen. Aber das ist eine Aufgabe für Generationen. Und Donald Trump, das wissen wir nun, pfeift auf die Demokratie.“

„Donald Trump missachtet das allgemeine Wahlrecht“

„Le Monde“, Frankreich: „Eine der ältesten Demokratien der Welt, die Vereinigten Staaten (von Amerika), befindet sich in einer nie dagewesenen Situation: Ein amtierender Präsident stört absichtlich einen föderalen Wahlprozess, beansprucht den Sieg noch während der Auszählungen für sich und droht damit, diese durch einen unabhängigen Rechtsspruch zu unterbrechen (...). Dies ist eine Missachtung des allgemeinen Wahlrechts. Die Funktion der Wahl, die ein wesentlicher Bestandteil des demokratischen Systems ist, wird geleugnet.“

„Keine sozialdemokratische Wende in der US-Politik“

„Financial Times“, Großbritannien: „Selbst wenn Joe Biden gewählt ist, wird es keine klare Kontrolle der Demokraten über den Senat geben. Das hat Folgen für die USA und letztlich auch für die Weltwirtschaft. Unter einer geteilten Regierung wird es üblicherweise schwierig, Finanzhilfen für angeschlagene Haushalte und Unternehmen gesetzlich zu regeln. Es gibt Zeiten, in denen ein Stillstand seine Vorteile hat. Aber eine Jahrhundertkrise des öffentlichen Gesundheitswesens gehört nicht dazu. Einmal mehr fällt die Aufgabe, wirtschaftlichen Schaden zu mildern, der US-Notenbank zu. Wenn das Hilfspaket gefährdet ist, so trifft dasselbe auch für Joe Bidens längerfristige Pläne zum Ausbau der Krankenversicherung und der grünen Infrastruktur Amerikas sowie zur Erhöhung der Steuern für die Wohlhabenden zu. Es wird jetzt keine sozialdemokratische Wende in der US-Politik geben.“ (dpa)

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