Trump, Orban, HöckeWas Rechtspopulisten weltweit verbindet: Liberalismus als Feindbild

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Donald Trump und Viktor Orban 2019: Der damalige US-Präsident empfängt Ungarnd Premier, den er einen „großen Führer“ nennt. (Archivbild)

Donald Trump und Viktor Orban 2019: Der damalige US-Präsident empfängt Ungarnd Premier, den er einen „großen Führer“ nennt. (Archivbild)

35 liberale Demokratien stehen weltweit 40 Autokratien gegenüber. Der politische Liberalismus, auf der Freiheit des Einzelnen basierend, ist in die Defensive geraten.

2024 wird ein entscheidendes Jahr: In Amerika, in der Europäischen Union, in drei (ost-)deutschen Bundesländern treten bei Wahlen Rechtspopulisten an, deren Ziel nicht allein das Erringen von Mehrheiten ist, sondern eine Systemumkehr. Was den wahrscheinlichen US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump, die deutsche AfD, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und selbst den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei allen politischen Unterschieden verbindet, ist ihre gemeinsame Ablehnung des liberalen westlichen Demokratiemodells.

In einer Wutrede anlässlich des Tages der Verfassung brachte es Trump am 17. September 2020 auf den Punkt, wetterte gegen die „liberale Indoktrination der amerikanischen Jugend“, worunter er ein „Netz verdrehter Lügen in unseren Schulen und Klassenzimmern“ meinte, die es zu beseitigen gelte, „um unseren Kindern die großartige Wahrheit über unser Land beizubringen. Wir möchten, dass unsere Söhne und Töchter wissen, dass sie Bürger der außergewöhnlichsten Nation in der Geschichte der Welt sind.“

Ähnlich hatte sich bereits im August 2014 der ungarische Premierminister Viktor Orban in seinem „Manifest der illiberalen Demokratie“ geäußert, eine seltene Art „Programm“ der neuen rechtspopulistischen Bewegung. Als Ziel erklärte Orban damals in seiner Rede in Baile Tusnad die systematische Ausschaltung oder Kontrolle fast aller liberalen Institutionen und die Errichtung einer, wenn auch auf Wahlen basierenden, illiberalen Herrschaft.

iberalismus ist am stärksten, wenn wir ihn nicht parteiförmig begreifen, sondern als eine Sammlung großer Prinzipien, die die Freiheit des Einzelnen verteidigen sollen.
Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler

Doch was verbirgt sich überhaupt hinter dem Begriff „Liberalismus“, der es über zwei Jahrhunderte nach seiner Erschaffung zum Feindbild neurechter, religiöser, aber auch linksextremistischer Eiferer geschafft hat? „Wer über Demokratie spricht, darf über Liberalismus nicht schweigen. Liberale Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Menschenrechte und Toleranz gehören zum festen Bestand moderner Demokratien“, heißt es im Klappentext des Buches „Was ist Liberalismus?“ (Suhrkamp, 2023) der deutschen Philosophin Elif Özmen.

Wobei es zunächst schwer ist, „den“ Liberalismus einzugrenzen, wie der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zu bedenken gibt: „Meinen wir damit die Geschichte einer Theorie, einer Idee, einer losen Sammlung von Prinzipien, meinen wir die wirtschaftliche, politische oder philosophische Sphäre des Liberalismus?“, so Merkel, der mit Liberalismus „eher eine Methode als ein System“ verbindet, „die auf dem Prinzip fußt, die größtmögliche Freiheit des Einzelnen mit der größtmöglichen Freiheit der anderen zu ermöglichen“.

Eine Gesellschaft, die auf der Freiheit des Einzelnen beruht

Per Definition bezeichnet der Liberalismus (aus dem Lateinischen: „die Freiheit betreffend“) eine Grundposition, die eine Gesellschaft befürwortet, die auf der Freiheit des Einzelnen, der Wahrung des Rechts, Pluralismus und freiem Gedankenaustausch basiert – so steht es auf Wikipedia.

„Die philosophische Ahnenreihe des Liberalismus ist lang. Sie erstreckt sich von John Locke im 17. Jahrhundert, der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte nach der amerikanischen Unabhängigkeit von 1776 und der französischen Revolution von 1789 über John Stuart Mill im 19. Jahrhundert bis hin zu Isaiah Berlin, John Rawls und Ralf Dahrendorf in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, so Merkel, Autor des Buches „Im Zwielicht. Zerbrechlichkeit und Resilienz der Demokratie im 21. Jahrhundert“ (Campus 2023).

Wer in Deutschland über Liberalismus spricht, denkt vordergründig zumeist an die FDP, auf die dieser Begriff allzu oft verengt wird.

Merkel dazu: „Liberalismus ist am stärksten, wenn wir ihn nicht parteiförmig begreifen, sondern als eine Sammlung großer Prinzipien, die die Freiheit des Einzelnen verteidigen sollen. Aber dies ist nicht hinreichend für einen anspruchsvollen Liberalismus, wie ihn etwa John Rawls vertritt, der von gleichen Rechten und Freiheiten spricht oder Ralf Dahrendorf, der mit der Gleichheit der Lebenschancen ein modernes Ziel des Liberalismus benennt.“

Liberalismus – die beste aller schlechten Alternativen

Für die Philosophin Özmen ist der Liberalismus „die beste aller schlechten Alternativen, weil er besonders erfolgreich ist, sich den neuartigen Herausforderungen zu stellen ...“, wie sie in einem Gespräch im philosophischen Radio auf WDR 5 am 15. Januar 2024 erläutert.

Der populistische Illiberalismus ist eine Reaktion auf die persönliche und gesellschaftliche Unsicherheit. Sie provoziert autoritäre Nachfragen unter den Verunsicherten unserer Gesellschaften.
Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler

„Seine Erfolgsgeschichte ist, dass viele seiner grundlegenden Prinzipien in die demokratischen Verfassungen der Welt, in den Rechtsstaat, die Zivilgesellschaft und in andere politische Strömungen eingeflossen sind“, so Wolfgang Merkel zum RND. Beginnend mit den Vordenkern der Aufklärung wie dem Philosophen Immanuel Kant, der vor 300 Jahren geboren wurde, kann der politische Liberalismus also auf eine bald 300-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken.

Liberale Prinzipien wie Gewährleistung und Schutz der Menschenrechte fanden nicht nur in der amerikanischen Verfassung oder dem deutschen Grundgesetz ihren Niederschlag, sondern auch in der Charta der Vereinten Nationen, woraus sich ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit ergibt.

Normativer und funktionaler Vorteil

Freiheitlich-pluralistische Ordnungen hätten laut Merkel „einen großen normativen und funktionalen Vorteil gegenüber autoritären politischen Ordnungen – sie garantieren dem Individuum Selbst- und nicht Fremdbestimmung des eigenen Seins, der eigenen Lebenspläne“, so der Politologe. Zudem erlaube der freie Pluralismus „den politischen Wettbewerb. Was bedeute, dass die politischen Anbieter – Parteien aber auch Verbände und soziale Bewegungen – den Bürgern programmatische Optionen anbieten müssen.“

Was laut Merkel wiederum dazu führt, dass die „Konsumenten auf dem politischen Markt, die Nachfrager also, zu aktiven Bürgern würden, die auswählen dürfen, sich beteiligen können oder nicht“. Das wiederum führe zur Herausbildung „konkurrierender pluralistischer Akteure, die sich wechselseitig kontrollierten und ein tatsächliches Kontrollspiel von Regierung und Opposition erlaubten“, so der Politikwissenschaftler. Allerdings übertreiben Liberale bisweilen die Analogie von freien Märkten und freiheitlicher Politik.

Und dennoch stehen heute weltweit nur 35 wirklich liberale Demokratien einer Überzahl von 40 Autokratien gegenüber, während rund 100 Staaten als hybride Regime eine Art Mischform darstellen. Innerhalb der wirtschaftlich erfolgreichsten und politisch stabilsten liberalen Demokratien – zum Beispiel einst in den USA – wächst die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, die sich von liberalen Grundsätzen entfernt: weniger globalisiert, weniger offenen Grenzen, Stärkung der nationalen Identität, weniger Verständnis für Minderheitenrechte. Dabei ist es den Rechtspopulisten teilweise gelungen ist, „liberal“ zu einer politischen Anklage zu machen, die zum Synonym für kulturellen Extremismus, Regierungsübergriffe, politische Dekadenz und mangelnden Patriotismus geworden ist.

„Der populistische Illiberalismus ist eine Reaktion auf die persönliche und gesellschaftliche Unsicherheit. Sie provoziert autoritäre Nachfragen unter den Verunsicherten unserer Gesellschaften, die sich gegenüber der Verdichtung von Megaproblemen wie Migration, Pandemie, Kriege und Klimakrise ohnmächtig fühlen. Den etablierten Parteien trauen sie nicht mehr zu, diese Probleme fair und effizient zu lösen. Sie wenden sich der populistischen Rechten zu, die einfache Lösungen für komplexe Probleme verheißen“, konstatiert der Politikwissenschaftler Merkel.

Das alles habe den Liberalismus in die Defensive gedrängt, verstärkt laut Merkel auch durch das „Überziehen“ des Linksliberalismus, „in dem dieser woke Lebens- und Sprachstile nicht nur anbietet, sondern moralistisch verbindlich machen will. Damit kippt der Liberalismus selbst in einen grünen Vormundsliberalismus, der selbst illiberal ist und zudem noch rechtsautoritäre Gegenreaktionen hervorrufen hilft“, so Merkel.

Verächter des Liberalismus, die sich zu Demokraten erklären

Für besonders klug hält Elif Özmen die Verächter des Liberalismus, „die sich zu wahren Demokraten erklären, wie wir das beim ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban erleben, der zugleich für eine antiliberale Demokratie wirbt, also gewissermaßen die Attraktivität der demokratisch kollektiven Selbstbestimmung hochhält, sich aber zugleich befreien will von all dem ‚Dekadenten‘ und den ‚Widerwärtigkeiten‘, die er mit dem Liberalismus verbindet“, wie die Philosophin im Podcast von WDR 5 begründet.

Für Wolfgang Merkel ist Orbans Anspruch einer „illiberalen Demokratie“ daher eine „defekte Demokratie, die in die Grauzone hybrider Regime zwischen Demokratie und Autokratie schlittert, weil Demokratie ohne eine ‚Gleichursprünglichkeit‘, wie das der Philosoph Jürgen Habermas nannte, von politischen Beteiligungs- und liberalen Schutzrechten nicht zu haben ist“, so Merkel zum RND. Was bedeutet: „Rechtsstaat und demokratische Volkssouveränität bedingen einander wechselseitig.“

Die deutsche AfD übrigens, einst gegründet von wirtschaftsliberalen Akademikerinnen und Akademikern, bezeichnete sich im ersten Satz ihres Grundsatzprogramms als „liberal“ und „konservativ“. Doch der vor allem durch die ehemaligen Vorsitzenden Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen vertretene „Ordoliberalismus“ – ein Konzept für eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung, in der ein durch den Staat geschaffener Ordnungsrahmen den ökonomischen Wettbewerb gewährleisten soll – ist längst Geschichte. Heute dominieren nationalkonservative und völkische Strömungen die Partei.

Im Kampf gegen diese Feinde der offenen Gesellschaft warnt Wolfgang Merkel vor der Aufgabe ethischer Prinzipien: „Die Grenzen der liberalen Gesellschaft enden stets dort, wo die Freiheit der anderen beschädigt wird. Die Slogans ‚keine Freiheit den Feinden der Freiheit‘ oder ‚keine Toleranz gegenüber den Intoleranten‘ besitzen eine zutiefst illiberale Grundmelodie“, so der Politikwissenschaftler zum RND.

Weil sonst Gefahr droht, „dass Polizei, Verfassungsschutz, Gerichte, Parlamente oder die Mehrheit die politischen Rechte einer Minderheit bestimmen, die ganz offensichtlich wie die AFD einen beachtlichen Rückhalt in der Gesellschaft besitzt“.

Dann müssten auch andere rechtspopulistische Parteien in Italien, Frankreich, den Niederlanden, Polen und Ungarn verboten werden, so Merkel. Zurück bliebe ein illiberales Europa, mit einer administrativ verfügten „wehrhaften Demokratie“, die den Pluralismus reduziert, die Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern intensiviert und über radikale Parteien triumphiert. Merkel: „Dies käme einer ‚slippery slope‘, einem rutschigen Abhang gleich, auf der der liberalen Demokratie vor allem eines drohe: aus- und abzurutschen.“

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