Kinder im Internet„Sie setzen Ihr Kind doch auch nicht alleine am Friesenplatz aus“

Lesezeit 6 Minuten
Smartphone Kinder

Oft bekommen wir gar nicht mit, was unsere Kinder am Smartphone machen.

  • Vielen Eltern sind die Gefahren, die durch leichtfertigen Umgang im Internet entstehen, nach wie vor überhaupt nicht bewusst.
  • Dirk Beerhenke ist Kriminalhauptkommissar und Experte für Cyberkriminalität und Opferschutz. Einige Apps hält er für äußerst bedenklich.
  • Der Experte erklärt, worauf Eltern achten sollten, wenn ihr Kind viel im Netz unterwegs ist – und wie viel Kontrolle noch in Ordnung ist.

Köln – Ab der fünften Klasse ist es meistens so weit. Spätestens dann verlangen die Zehnjährigen äußerst vehement nach einem eigenen Smartphone. Und häufig bekommen sie es auch. Unter anderem, weil vieles heute nicht mehr über das Schwarze Brett in der weiterführenden Schule, sondern über den Whatsapp-Klassenchat organisiert und geklärt wird. Das scheint praktisch – und ist gleichzeitig eine große Herausforderung.

Leichtfertiger Umgang mit den Apps ist gefährlich

Elternwerkstatt entfällt

Aufgrund der aktuellen Lage entfällt die geplante Veranstaltung "Cybermobbing – Damit das Internet nicht zum Tatort wird" am Dienstag, 31.3.2020, 19:00 – 20:30 Uhr mit Kriminalhauptkommissar Dirk Beerhenke, Experte für Cyberkriminalität und Opferschutz der Polizei, Köln.

„Vielen Kindern und Eltern sind die Gefahren, die durch leichtfertigen Umgang im Internet entstehen, nach wie vor überhaupt nicht bewusst“, so die Erfahrung von Dirk Beerhenke. Der Kölner ist Kriminalhauptkommissar und Experte für Cyberkriminalität und Opferschutz.

Die wichtigsten Fragen rund um das Thema „Kinder im Internet“ haben wir hier gemeinsam mit ihm zusammengestellt. Das Fazit: Eltern müssen ihre Kinder im Internet begleiten. Auch wenn das mühsam sein kann und oftmals Zeit und Nerven kostet.

Welche Apps und Plattformen sind momentan bei Kindern und Jugendlichen besonders beliebt?

TikTok ist nun schon seit längerem sehr angesagt. Das chinesische Videoportal ist der Nachfolger von musical.ly. Kinder können hier eigene Videoclips drehen – zu der Musik von bekannten Liedern. Darauf erhalten sie sofort Feedback von anderen Usern – Lob, Kritik und auch beleidigende Kommentare.

Dirk Beerhenke warnt: „Biometrische Daten werden nach China geliefert und nicht wieder gelöscht. Dort sind sie mit dem Thema Gesichtserkennung schon sehr weit. Wer Wert auf Datenschutz legt, sollte sich von dieser App fernhalten.“ Dem widerspricht eine Sprecherin des Unternehmens. „TikTok ist in China nicht verfügbar. Die chinesische Regierung hat keinen Zugriff auf Nutzerdaten von TikTok.” Die Daten würden in den Vereinigten Staaten und Singapur gespeichert.

Bei Chatroulette werden Chatpartner per Video zufällig miteinander verbunden. Hier geht es sehr häufig um Nacktheit und Sex. Keine App für Kinder und Jugendliche.  

In der Houseparty-App hören Nutzer gleichzeitig dieselbe Musik. Auch soziale Netzwerke wie Instagram, Pinterest und Snapchat sind nach wie vor bei Teenagern sehr beliebt.  

Bei Younow drehen Jugendliche eigene Filme, Teenies berichten quasi aus ihrem Kinderzimmer. Und die Zuschauer können kommentieren, beleidigen oder sonstigen Einfluss nehmen. „Zeig uns mal die Wohnung“ kommt häufig als Kommentar oder auch: „Zieh mal deinen Pullover hoch.“

Die App Tellonym hat eine Chat-Funktion ähnlich wie Whatsapp, aber hier läuft alles anonym. Nutzer geben sich gegenseitig Feedback, etwa auf Fotos. Das Forum wird von vielen genutzt, um andere bewusst fertig zu machen und zu mobben. Die App ist ungeeignet für Kinder.

Worauf sollten Eltern achten, wenn ihr Kind ein Smartphone bekommt?

Sehr sinnvoll ist es, vor dem Smartphone-Start gemeinsam einen „Mediennutzungsvertrag“ zu schließen, der für die Kinder bindend ist. Darin können Eltern und Kind unter anderem klären, wie lange das Kind täglich am Handy sein darf und dass das Gerät über Nacht nicht im Kinderzimmer bleibt.

„Dieser Punkt ist sehr wichtig, sonst besteht für viele ein zu großer Reiz, auch in der Nacht noch zu zocken und zu  spielen“, so Experte Dirk Beerhenke. Die Folge: übermüdete Teenies am nächsten Morgen in der Schule.

Es reicht nicht, das Handy einfach nur in den Flur zu legen. Gut ist zum Beispiel, wenn alle Smartphones (und Spielekonsolen) in der Familie ab 20 Uhr in eine abschließbare Schatzkiste kommen.  Mehr zum Thema auch unter mediennutzungsvertrag.de, einer Webseite von klicksafe.de.

Wie viel dürfen Eltern kontrollieren?

„Ich kann doch nicht in das Smartphone meines Kindes gucken! Das ist doch wie ein Tagebuch“, sagen viele Eltern. Opferschutz-Experte Beerhenke sieht das anders: Kontrollen seien nicht nur berechtigt, sie müssten sogar sein, damit sich das Kind gut und sicher im Internet bewegen könne. „Sie setzen Ihr Kind doch auch nicht abends alleine am Friesenplatz aus, um es erst am nächsten Morgen wieder abzuholen.“

Genau so sei es aber de facto für Kinder, die sich das Internet alleine erschließen. Eltern sollten immer wieder genau hinschauen: Auf welchen Seiten ist er oder sie häufig unterwegs? Welche Apps sind auf dem Smartphone meines Kindes installiert? Was haben diese Programme für Funktionen? Welche Spiele spielt es? Eine Übersicht über die Inhalte bietet die Seite spieleratgeber-nrw.de.

Was ist die Gefahr bei Whatsapp und Klassenchats?

Früher wurden in der Schule Zettel herumgereicht mit der Frage: Willst du mit mir gehen? „Heute verschicken Kinder und Jugendliche Nacktbilder über Messanger-Dienste“, so die Erfahrung von Dirk Beerhenke. Vor allem Jungs machen oft und gerne freizügige Fotos von ihren Geschlechtsteilen. Solche Bilder gelten in Deutschland als Kinder- oder Jugendpornographie – und deren Besitz ist strafbar.

„Wenn uns solche Fälle gemeldet werden, müssen wir in der Klasse alle Handys sicher stellen und auf Werkseinstellungen zurücksetzen.“ Eltern sollten also ihre Kinder sensibilisieren, dass sie durch solche Fotos riskieren ihr Handy für lange Zeit oder sogar überhaupt nicht mehr wieder zu sehen.

Darf ich die Chatverläufe meines Kindes lesen?

„Ja, wenn Sie diese Kontrollen vorher ankündigen“, findet der Cybercrime-Experte. „Komm, wir gucken mal gemeinsam deine Nachrichten durch, und du hältst an den Stellen an, wo ich Stopp sage.“ Das ist ein sinnvolles Vorgehen.

Bei Whatsapp sollten Eltern zumindest prüfen: Welche Kontakte hat mein Kind auf der Liste? Wer ist das? Kenne ich diese Leute? Falls nicht: Nachfragen. Und wenn es dann heißt: „Habe ich im Internet kennengelernt“ sollten alle Alarmglocken angehen. Wer ist das? Wo wohnt er? Was für Nachrichten schreibt er dir? „Hier haben Eltern einen Ermittlungsauftrag“, so die Meinung von Dirk Beerhenke.

Gehen Kinder und Jugendliche zu sorglos mit dem Netz um?

„Auf jeden Fall“, findet der Polizeihauptkommissar. „Wenn ich in den Klassen frage, was Daten sind, dauert es meist, bis ich eine Antwort bekomme.“ Vielen Kindern ist nicht bewusst, dass sie nicht in der Hand haben, was mit ihren Texten oder Fotos passiert, die sie verschicken.

Das könnte Sie auch interessieren:

Whatsapp ist offiziell ab 16, aber niemand beschwert sich, wenn sich dort eine 11-Jährige registriert. „Die Anbieter wollen mit ihren Apps und Programmen Geld verdienen, wer sich anmeldet, ist vielen egal“, sagt Dirk Beerhenke. „Bist du 18?“ wird lediglich bei vielen Angeboten gefragt. Wer auf „ja“ klickt, ist drin.

Wie können Eltern beim Thema Smartphone das Vertrauen ihrer Kinder gewinnen?

Kinder dürfen nicht alleine gelassen werden im Internet. Es ist ein Zeichen des Vertrauens wenn ein Kind zu den Eltern kommt und sagt: „Schau mal, ich habe hier eine komische Mail bekommen.“

Eltern sollten unbedingt darauf eingehen, wenn sich Kinder mit einem Internetproblem an sie wenden. „Sagen Sie nicht, Sie hätten jetzt keine Zeit, sondern schauen Sie sich das intensiv gemeinsam an. Das gehört ganz klar zum Erziehungsauftrag“, sagt Dirk Beerhenke.

Wie können Eltern ihr Kind gut am Smartphone und Tablet begleiten?

Eltern müssen sich für das Netzverhalten ihrer Kinder interessieren. Das bedeutet: Sie müssen ganz klar Zeit dafür investieren, sich also immer mal wieder neben ihr Kind setzen und fragen: „Was zockst du da für ein Spiel? Lass uns das mal zusammen machen.“ 

Das darf dann gerne auch eine Stunde oder länger dauern. „Spiele werden oft nicht weiter ergründet von Eltern, vor allem wenn es Spiele ab 0 sind. Aber auch diese Spiele haben eine Chat-Funktion. Hier können sich Erwachsene ganz leicht als Kinder tarnen und diese anschreiben und zum Beispiel Fotos verlangen“, so der Experte. „Cyber-Grooming“ nennt man das in der Fachsprache, ein Vorgehen, das immer mehr zunimmt. Eltern sollten auch deswegen mit ihren Kindern immer wieder besprechen, was diese im Netz erlebt haben.

KStA abonnieren