Eltern-Chat, „Alexa“, SchuleWie ein positiver Pool-Test die Familie durchwirbelt

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Mutter Tochter zuhause Imago

Eine Mutter ist mit ihrer Tochter zuhause in Corona-Quarantäne. (Symbolbild)

  • Unsere Autorin ist Mutter von drei Kindern, mit denen sie sich zwei Jahre lang an Corona-Regeln gehalten hat.
  • Doch nun der Schock: Ein Kind ist positiv auf das Virus getestet worden.
  • Wie der positive Test den Alltag durchwirbelt, auf was die Kinder verzichten müssen und ihr eigenes Herzrasen, hat sie in einem Protokoll aufgeschrieben.

Köln/Bergisch Gladbach – „Heute ist der Tag, vor dem wir uns seit zwei Jahren fürchten: Der Coronatest bei einem unserer drei Kinder ist positiv. Wir konnten damit rechnen in den letzten Wochen, die positiven Fälle um uns herum häuften sich. Omikron werde fast jeden finden, sagte zuletzt Anthony Fauci, der medizinische Chefberater des US-Präsidenten. Und Deutschlands oberster Corona-Erklärer, der Berliner Virologe Christian Drosten, sprach im „Tagesspiegel“ von einem „fahrenden Zug“, auf den wir alle irgendwann werden aufspringen müssen.

Meine Jugend war nicht so wild, dass ich das schon mal getan hätte. So richtig beruhigend finde ich das Bild daher nicht. Drauf springen und darunter geraten scheint mir doch verdammt nah beieinander zu liegen.

Die Kinder rühren draußen im Garten in der Feuerschale ein Süppchen mit winterdürrem Grünzeug aus unserem Kräuterbeet zusammen. Das ist eine ziemlich unappetitliche Angelegenheit. Aber sie sind zufrieden und augenscheinlich gesund. Das macht mich froh. Und zuversichtlich, dass uns das Aufspringen gelingen könnte, ohne überrollt zu werden vom unberechenbaren Corona-Zug.

Alles zum Thema Christian Drosten

Seit zwei Jahren reduzieren wir Kontakte, tragen Masken, halten Abstand, finden uns mit Homeschooling und eingeschränkten Betreuungszeiten im Kindergarten ab, feiern Kindergeburtstage und Familienfeste auf Sparflamme und überlegen uns bei jeder Unternehmung mit den Kindern sehr genau, ob sie vertretbar ist in Pandemiezeiten.

Die Zweijährige kennt kein anderes Leben. Sie freut sich, wenn sie in den Kindergarten gehen kann. Aber als regelmäßigen, verlässlichen Tagesordnungspunkt erlebt sie ihn nicht. Der Drittklässler hat EINEN besten Freund. Was wunderbar ist. Aber Treffen mit mehreren? Nachmittags mit ein paar Jungs um die Häuser ziehen? Gibt’s für ihn nicht. Bitte möglichst wenige Spielkontakte pflegen, so die Empfehlung der Schule. Dem Erstklässler hat Corona schon sein Vorschuljahr samt Abschlussfeier versaut. Nun kennt er die Grundschule nur als Hochrisikogebiet. Wahrscheinlich würde er seine Lehrer ohne Maske nicht erkennen.

Hoffnung auf „Alexas“ Antwort zu Corona

Neulich hat er die „Alexa“ gefragt: „Wie lange dauert Corona noch?“ Wenn wir Eltern schon keine Antwort haben auf diese entscheidende Frage, dann vielleicht die Maschine. Die spielt schließlich auf Kommando Ninjago oder Drachenreiter und sagt nicht mittendrin: „Schluss jetzt, genug Medienzeit für heute.“ Aber der Sechsjährige wurde enttäuscht. Alexas Antwort auf seine Frage war nicht aufschlussreicher als die seiner Eltern: „Wie lange das Coronavirus noch präsent sein wird, lässt sich nicht genau vorhersagen.“

Gestern Nachmittag ist es dann bei uns plötzlich präsenter denn je. Um 17.24 Uhr piepst das Handy. Es ist dieses typische SMS-Piepsen. Mir stellen sich sofort die Nackenhaare auf. Nachrichten dieser Art bekommt man ja kaum noch. Alle Welt schreibt Whatsapp. Nur der Mobilfunkanbieter nicht, wenn sich beim Uralt-Vertrag das Datenvolumen mal wieder dem Ende nähert. Mitte des Monats passiert das aber nie. Die Bundesregierung schickt auch SMS. Wer aus dem Ausland einreist wird daran erinnert, doch bitte die Quarantäne-Regeln zu beachten. Wir waren aber nirgendwo.

Ein Blick auf den Absender: „Laborbefund.“ Na Super! Zu den aufgestellten Nackenhaaren gesellt sich ein signifikant erhöhter Pulsschlag. Inhalt der Nachricht: „Ihre Probe befindet sich in einem auffälligen Pool. Nachtestung erfolgt.“ Herzlichen Glückwunsch. Mir ist ein bisschen schlecht.

Während ich noch überlege, welche der beiden Klassen meiner Söhne es wohl getroffen hat, geht es in der Eltern-Whatsapp-Gruppe des Großen schon rund. Das war also schnell geklärt.

Im Chat herrscht helle Aufregung: Was passiert jetzt? Warum haben wir keine Nachricht? Was müssen wir tun? Wann kommen die Einzelergebnisse? Können die Kinder morgen zur Schule? Kann der Partner zur Arbeit? Und hinter all dieser oberflächlichen Hysterie die tiefe, seit zwei Jahren schwelende Angst: Mein Kind könnte sich mit Corona infiziert haben. Und die Frage: Was wird dieses vermaledeite Virus mit ihm machen?

Zu Beginn der Pandemie hatten wir große Angst. Die Kinder sollten sich auf keinen Fall anstecken. Dann wurde immer deutlicher, dass Kinder nur sehr selten schwer an Corona erkranken. Die meisten stecken es gut weg, Omikron sogar noch besser als die vorherigen Varianten. Noch vor ein paar Tagen sagte der Kinder- und Jugendmedizin-Professor Jörg Dötsch von der Uniklinik in Köln: „Für uns in der Kindermedizin ist das Coronavirus nur eines von vielen Viren – und nicht das gefährlichste.“ Beruhigend. Allerdings konterkariert das auch die Sinnhaftigkeit all der Einschränkungen und Entbehrungen, die Familien in den letzten zwei Jahren so schwer zu schaffen gemacht haben.

Und heikel bleibt das Restrisiko von Pims, einer mitunter lebensbedrohlichen Entzündungsreaktion, und Long Covid – beides bei Kindern sehr seltene, aber mögliche Folgen einer Coronainfektion, auch bei einem harmlosen Krankheitsverlauf.

Corona-Aufregung im Eltern-Chat

Um 19:15 Uhr wieder das Piepsen. Wieder Herzrasen. Das Ergebnis!? Nein, da steht nochmal: „Ihre Probe befindet sich in einem auffälligen Pool. Nachtestung erfolgt.“ Jetzt wird’s im Eltern-Chat des Mittleren turbulent. Und ich verbringe den Abend mit doppeltem Bangen.

Die Kinder freut die Aussicht, am nächsten Tag möglicherweise nicht in die Schule zu müssen. Denn die Labore sind überlastet und die Schulleiterin hat uns wissen lassen: Beim positiven Pool am Tag zuvor hatten am nächsten Morgen nicht alle Eltern das Einzelergebnis ihrer Kinder. Bei uns stellt sich heraus: Manchmal klappt die SMS-Übermittlung nicht. Und manchmal gehen Einzelproben auch verloren. Die Eltern warten dann vergebens auf ein Ergebnis und ihre Kinder müssen noch einmal eine Probe abgeben. Sie verpassen dann auf jeden Fall zwei Tage Schule – auch wenn sie schließlich negativ sind. Das System der Pool-Testungen in den Grundschulen ist gut, aber nicht frei von Fehlern.

Um 22:35 Uhr das nächste Piepsen. Ich lese nur: „negativ“. Ein kleiner Freudenschrei. Durchatmen. Der Große hat es nicht.

Um 6.45 Uhr klingelt der Wecker. Keine weitere Nachricht. Was ist mit dem Mittleren? Die Schnelltests bei mir und der Kleinen sind negativ. Die Jungs sind geimpft und haben nichts außer leichten Schnupfnasen. Alles gut, denke ich und bringe zwei Kinder in die Schule und die Kita. Der Erstklässler darf erst wieder los, wenn ein negatives Testergebnis vorliegt. Er ist beleidigt. Und bekommt zum Trost einen Donut mit bunten Zuckerperlen. Der ist noch nicht ganz verspeist, da piepst es wieder. 8.21 Uhr. Hurra, dann kann er ja gleich doch noch zur Schule.

Aber diesmal steht da „positiv“.

Das ist also der Moment, der mir seit zwei Jahren Angst macht. Irgendwie surreal. Ich fühle nichts.

Freitesten nach frühestens sieben Tagen

Mein Autopilot schaltet sich ein: Die Schule informieren, die Kita anrufen, die Geschwister wieder einsammeln. Die Verabredung am Nachmittag canceln und den Klavierunterricht in zwei Tagen. Die Auflagen nachschlagen: Zehn Tage Quarantäne für alle drei Kinder. Für den positiv Getesteten sowieso. Für die Kleine als im selben Haushalt lebende Kontaktperson, weil sie nicht geimpft ist. Für den Großen genauso, weil seine zweite Impfung noch keine zwei Wochen her ist. Ich bleibe in Freiheit. Zumindest, solange ich negativ und ohne Symptome bin. Der Booster-Impfung sei Dank. Nach frühestens sieben Tagen können wir die Kinder freitesten.

Sie haben inzwischen Schulaufgaben gemacht und gemalt, ein Piraten-Picknick auf dem Hochbett veranstaltet und sind mit einem Sitzsack die Treppe runtergerodelt. Unser Quarantäneeinstieg endet mit bestellter Pizza und einem Disney-Film.

Corona hat uns erwischt. Und doch hatten wir einen schönen Tag. Wer hätte das gedacht?

Der Virologe Drosten gab seinem Bild vom fahrenden Zug noch einen positiven Dreh. Das Gute sei: „Im Moment fährt der Zug angenehm langsam.“ Weil Omikron weniger schwer krank mache. Wir wollten trotzdem nicht aufspringen. Haben es nun aber unverhofft getan. Das ist unheimlich. Und zugleich eine Erleichterung. Nun ist passiert, wovor wir uns gefürchtet haben. Und die Angst weicht einer neuen Hoffnung: Jetzt haben wir es hoffentlich bald hinter uns. 

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