Interview mit Kölner Kinderarzt„Quarantäne ist für Familien der Supergau“

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Quarantäne bedeutet auch für Kinder: Mindestens 14 Tage lang nicht an die frische Luft. Glücklich, wer einen eigenen Garten hat.

  • Kinder mit Corona haben zum Teil andere oder gar keine Symptome. Zudem stecken sie wohl eher andere Kinder an, seltener Erwachsene.
  • Trotzdem hält Kinderarzt Anselm Bönte eine 14-tägige Quarantäne für Kinder zu lang. Zehn Tage würden reichen.
  • Im Interview erklärt er, was gerade in seiner Praxis los ist und was er für den Herbst und Winter befürchtet.

Köln – Herr Bönte, als wir zu Beginn der Corona-Zeit miteinander telefonierten, war in Ihrer Praxis wenig los. Wie sieht es heute aus? Anselm Bönte: Seit den Sommerferien kommen wieder viele Patienten. Vor allem, weil es zunächst viele Unklarheiten von Seiten der Schulen und Kindergärten gab. Da kamen Eltern mit ihren verschnupften Kindern und forderten Abstriche oder dass wir die Kinder gesundschreiben, damit sie dann zur Schule gehen können. Oder die Familie will in den Urlaub fahren und vorher noch testen. Teilweise haben sich hier tumultartige Szenen abgespielt.

Haben Sie dann in jedem Fall einen Test gemacht?

Nein. Das ergibt auch manchmal keinen Sinn. Kinder brauchen, um Corona-positiv zu sein, keinen Schnupfen zu haben. Sie haben neben den möglichen Erkältungszeichen auch mal Durchfall. Oder häufiger auch gar keine Symptome. Wenn wir von all denen einen Abstrich nehmen würden, könnten wir nichts anderes machen. Aber wir haben hier ja auch schwerkranke Kinder ohne Corona zu behandeln, die zum Teil komplexe Betreuung brauchen. Die Zeit für diese Kinder geht uns dann flöten. Das wird vor allem im Herbst und Winter ein echtes Problem werden.

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Anselm Bönte, Kinderarzt

Und wie entscheiden Sie dann, wann ein Abstrich zu machen ist?

Ich mache dann einen Abstrich, wenn das Kind krank ist. Einfach deshalb, weil man dann wissen sollte, was das Kind hat. Abstriche machen wir natürlich auch bei Kindern mit schweren Grunderkrankungen, oder wenn eine OP ansteht. Bei den üblichen Beschwerden raten wir dazu, nochmal ein paar Tage abzuwarten. Häufig verbessern sich die Symptome von selbst. Wenn das der Fall ist, kann ein Kind auch mit leichtem Husten oder Schnupfen wieder zur Schule gehen.

Wie viele positive Tests hatten Sie schon?

Zwei. Ein Neugeborenes und ein älterer Junge. Das Baby war völlig symptomfrei. Es wurde nur getestet, weil der Onkel positiv war. Und der Junge hatte ein bisschen Halsschmerzen, Husten und Schnupfen. Da die Mutter Lehrerin ist, habe ich den Test gemacht. Das Ergebnis war für mich in beiden Fällen überraschend. Auch durch genaue klinische Untersuchungen ist es unmöglich herauszufinden, ob jemand Corona hat oder nur einen Schnupfen.

Und die Eltern? Waren die dann automatisch auch positiv?

Nein, ganz und gar nicht. Das ist erstaunlich. Aber man hat herausgefunden, dass positive Kinder wohl eher andere Kinder anstecken, seltener Erwachsene.

14 Tage Quarantäne im Verdachtsfall sind für ein Kind in einer Innenstadtwohnung ohne Garten eine harte Zeit. Ist das verhältnismäßig?

Erstmal ist Quarantäne in kleinen Innenstadtwohnungen für die Familien der Supergau. Die Maßnahme ist ziemlich großzügig gewählt. Das sind aber die offiziellen Vorgaben des RKI. Die Wissenschaftsgesellschaft Leopoldina hat Ende September vorgeschlagen, die Zeit zu verkürzen. Bei positiven Personen auf sieben Tage. Bei Patienten mit Kontakt zu Corona auf zehn Tage. Das würde ich auch eher unterstützen. Andererseits ist es mir viel lieber, wenn ein Teil der Schülerinnen und Schüler immer mal wieder unter Quarantäne gestellt wird, als wenn wir die Schulen wieder komplett schließen. Ich glaube, Kinder können das gut aushalten, wenn sie die Aussicht haben: In einer Woche kann ich wieder in die Schule gehen.

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Sind Kinder psychisch so stark?

Ich finde schon. Ich bin ganz begeistert von meinen Kindern und Jugendlichen. Sehen Sie mal, in NRW wurde das Masketragen im Unterricht wieder abgeschafft und die meisten Kinder tragen die Maske trotzdem, weil sie die Lehrer schützen wollen, die möglicherweise zur Risikogruppe gehören. Ist das nicht toll? Natürlich gibt es auch das Kind mit ADHS, das nicht auf den Sportplatz kann und dann mal das Wohnzimmer umräumt. Und einige Jungen und Mädchen haben während des Lockdown an Gewicht zugelegt. Aber das Gros der Kinder macht das unglaublich gut. Sie adaptieren gut.

Sind es dann eher die Eltern, die mit der Quarantäne der Kinder überfordert sind?

Vielleicht. Das ist ja auch schwer. Da sind Mütter und Väter, die sehr belastet sind, Stress in der Arbeit haben oder finanzielle Probleme. Und dann müssen sie trotzdem rund um die Uhr kreativ sein und sagen: Hey, wir machen uns einen schönen Tag und holen alle Spielsachen raus. Und es gibt für die Eltern dann ja auch keine Hilfe von außen.

Auch wenn das Kind nicht unter Quarantäne steht, sind Hilfsangebote zum Beispiel von Großeltern ja nicht ganz risikolos. Darf der Opa trotzdem mal mit dem Enkel auf den Spielplatz?

Das ist ja vor allem auch eine Entscheidung der Großeltern. Die haben natürlich auch ein Bedürfnis nach Familienkontakt. Ich persönlich rate: Sagen sie die Familienfeiern ab. Aber gehen sie dafür mit den Kleinen auf den Spielplatz oder holen sie sie mal von der Schule ab. Man sollte versuchen, Abstand zu halten und einen Mund-Nasenschutz zu tragen. Das individuelle Risiko ist dann viel geringer und sie haben trotzdem Kontakt zu den Enkeln.

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