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UnfruchtbarkeitSauna und Heizdecken meiden

Lesezeit 7 Minuten

Es traf Frank S. vollkommen unvorbereitet im November 2014. Eigentlich hatte der Sozialarbeiter, damals 39, nur guten Willen gegenüber seiner Frau zeigen wollen und war deshalb zum Urologen gegangen. Eineinhalb Jahre hatten seine Frau und er zu dem Zeitpunkt schon versucht, ein zweites Kind zu zeugen.

Eine sechsjährige Tochter, auf natürlichem Weg gezeugt, hatten sie schon, aber eine zweite Schwangerschaft stellte sich nicht ein. Sie war 37, er ging im Stillen davon aus, dass ihre Fruchtbarkeit nachgelassen hatte, ließ sich aber trotzdem selbst untersuchen.

„Ich bin in ein Loch gefallen“

Frank S. konsultierte also einen Urologen, um sein Sperma testen zu lassen – und dann eröffnete ihm der Arzt, dass seine Samenqualität schlecht sei: Nur neun Millionen Spermien pro Milliliter, ab unter 15 Millionen Spermien spricht die WHO von einer Fertilitätsstörung.

Das Problem Kinderwunsch

Eine von vier Frauen, die in ihrer fruchtbaren Zeit ungeschützten Geschlechtsverkehr hat, wird sofort schwanger.

Bei etwa 80 Prozent aller Paare im gebärfähigen Alter stellt sich innerhalb eines Jahres eine Schwangerschaft ein. Nach zwei Jahren bei ungefähr 90 Prozent.

Kommt es nach ein bis zwei Jahren trotz regelmäßigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs nicht zum Eintritt einer Schwangerschaft, spricht man von ungewollter Kinderlosigkeit. Die Ursachen dafür liegen genauso oft auf weiblicher wie auf männlicher Seite.

2,5 Prozent aller in Deutschland im Jahr 2013 geborenen Kinder kamen mithilfe der Reproduktionsmedizin zur Welt.

Schlimmer noch: 81 Prozent der Spermien waren unbeweglich, vorwärts schwimmend: null Prozent. „Ich bin in ein Loch gefallen, das war ein Schlag für mein Selbstbewusstsein“, erzählt Frank S. 14 Monate später.

„Es ist ein weit verbreitetes Vorurteil, dass Unfruchtbarkeit eine Sache der Frau ist“, sagt Sabine Kliesch, Professorin und Chefärztin für Männerheilkunde am Uniklinikum Münster. „In Wirklichkeit liegt das Problem genauso oft auf der männlichen Seite.“

Hoden im Bauchraum

Die Ursache kann unter anderem weit zurück liegen in der Kindheit des Mannes. So war es bei Frank S. Normalerweise bildet sich der Hoden beim Embryo während der Schwangerschaft nahe der Niere und wandert bis zur Geburt in den Hodensack.

Bei drei Prozent der Babys ist er aber dort nicht tastbar, sondern befindet sich im Bauchraum oder in der Leiste. Mit neun Jahren hatte Frank S. einen Leistenbruch, dabei wurde entdeckt, dass dort noch ein Hoden saß. Er wurde in den Hodensack versetzt. Das hatte Frank S. längst vergessen, erst auf Nachfragen des Arztes fiel es ihm dann wieder ein.

„Der Hoden wird im Körper zu warm, dadurch werden die Vorläufer der Samenzellen geschädigt“, erklärt Sabine Kliesch. „Heute wissen wir, dass ein Hodenhochstand innerhalb des ersten Lebensjahres korrigiert werden muss, damit die Jungs als Erwachsene keine eingeschränkte Spermienproduktion haben.“ Bei zehn bis 15 Prozent der Männer, die in eine Kinderwunschsprechstunde kommen, gebe es eine solche Vorgeschichte.

„Eine ausgewogene Ernährung ist sicher sinnvoll“

Bei Frank S. war allerdings nur ein Hoden betroffen – und er hatte schon ein Kind gezeugt. Es musste also noch andere Ursachen geben. Für ihn begann eine Zeit des Selbstzweifels. „Mein gesamter Lebenswandel stand zur Diskussion“, erzählt er. Ernährte er sich gesund? Er aß gerne Fleisch damals.

Heute lebt Frank S. vegetarisch. „So habe ich zumindest das Gefühl, etwas zu tun“, sagt er. Denn über den Einfluss der Ernährung auf die Spermienqualität ist wenig bekannt. „Eine ausgewogene Ernährung ist sicher sinnvoll“, sagt Sabine Kliesch. „Aber es gibt keine Studien, die etwa besagen, dass viel Gemüse besonders gut ist für die Spermienqualität.“

Bei Nahrungsergänzungsmitteln rate sie weder zu noch ab. „Sie werden nicht schaden, aber eine ausgewogene Ernährung ist wahrscheinlich genauso gut.“

Die Sitzheizung ist ungünstig

Doch der Kinderwunsch kann auch Bereiche des Lebens verändern, an die wohl die wenigsten denken. „Ich rate betroffenen Männern, keine heißen Vollbäder zu nehmen, keine Heizdecken zu verwenden, nicht ins Solarium und in die Sauna zu gehen“, sagt Hans-Christian Schuppe, Professor für Andrologie an der Uni Gießen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin.

„Auch der Gebrauch der Sitzheizung im Auto und das Sitzen mit übereinander geschlagenen Beinen oder mit Laptop auf dem Schoß ist ungünstig.“ Diese Angewohnheiten erhitzen die Hoden. Spermien reiften aber am besten, wenn die Temperatur in den Hoden ein bis zwei Grad unter der Körperkerntemperatur liege.

Frank S. hat, nachdem er von seinem Arzt hörte, dass die Spermienproduktion hitzeempfindlich ist, auch seine Unterhosen gewechselt – von Slips zu weiten Boxershorts. Dafür gibt es laut Schuppe allerdings keine Begründung, die Hodentemperatur steige kaum bei verschiedenen Unterhosentypen.

Heute trinkt er kaum noch Alkohol

Fest steht allerdings, dass Rauchen schädlich ist. „Spermien von Rauchern befruchten Eizellen bei der In-vitro-Fertilisation um 50 Prozent schlechter als diejenigen von Nichtrauchern“, sagt Kliesch.

Geraucht hat Frank S. nie, sein Freizeitverhalten hat er dennoch wegen des unerfüllten Kinderwunschs komplett umgekrempelt. Früher waren Feierabendbiere, Wein zum Essen und Feiern bis in den Morgen am Wochenende üblich bei ihm.

Heute trinkt er kaum noch Alkohol, geht selten aus. Zur Auswirkung von Alkoholkonsum gibt es zwar kaum wissenschaftliche Erkenntnisse, aber Kliesch vermutet einen negativen Effekt auf die Spermien. „Weniger durch die direkte Wirkung des Alkohols als dadurch, dass er die Hormone durcheinander bringen könnte.“

Besonders am männlichen Geschlechtshormon fehlt es oft

Denn die Spermienreifung wird durch ein kompliziertes Hormonsystem reguliert. Notwendig ist unter anderem, dass die Hirnanhangsdrüse das Follikelstimulierende Hormon (FSH) und das luteinisierende Hormon (LH) sowie der Hoden Testosteron bilden. Besonders am männlichen Geschlechtshormon fehlt es oft – bei zwölf Prozent der Patienten in Kinderwunschsprechstunden.

„Man darf nicht direkt Testosteron verabreichen, sondern muss die Steuerungshormone LH und FSH geben, sonst stellt der Hoden die Produktion von Testosteron und Spermien ein“, sagt Sabine Kliesch. „Allerdings dauert es ein bis zwei Jahre, bis der Hoden seine normale Funktion aufnimmt.“

Eine andere, schnellere Möglichkeit, die Konzentration des Testosterons im Blut zu erhöhen, ist die Gabe von Medikamenten, sogenannten Antiöstrogenen. Frank S. zum Beispiel hatte, als er sich zum ersten Mal in der Kinderwunschsprechstunde vorstellte, einen Testosteronwert von 3,13 Nanogramm pro Milliliter Blut. Das war im Normbereich, der zwischen 1,75 und 9,81 Nanogramm pro Milliliter liegt.

Verbesserung innerhalb weniger Monate

Allerdings gilt für die Spermienproduktion: Etwas mehr Testosteron bedeutet bessere Samenqualität. Frank S. bekam deshalb von seinem Arzt das Medikament Tamoxifen verschrieben – ein Off-Label-Use, eigentlich ist der Wirkstoff nur für die Behandlung von Brustkrebs zugelassen.

Das Medikament greift in den Hormonkreislauf ein und bewirkt, dass im Hoden mehr Testosteron gebildet wird. Frank S. hatte zuletzt einen Wert, der mehr als doppelt so hoch war wie vor der Medikamenten-Einnahme.

Auch sein Spermiogramm verbesserte sich innerhalb weniger Monate. Die Zahl der Spermien war nach drei Monaten 12-mal so hoch wie vor der Therapie. 10,5 Prozent von ihnen bewegten sich vorwärts, waren also potenziell in der Lage, eine Eizelle zu finden und zu befruchten – im Gegensatz zu null Prozent vor der Therapie.

Die Situation ist psychisch belastend

Bislang ist die Frau von Frank S. trotzdem noch nicht schwanger geworden. Allein auf Seiten des Mannes gibt es noch viele andere Faktoren, die die natürliche Befruchtung erschweren können: Antikörper im Sperma, die Samenzellen verklumpen lassen, chronische Infektionen mit Chlamydien, Tumore in der Hirnanhangsdrüse.

Frank S. empfindet die Situation auch psychisch als belastend. „Wenn meine Frau sagen würde, es wäre nicht schlimm, wenn es nicht mehr klappt mit dem zweiten Kind, würde das sehr viel Druck nehmen“, erzählt er. „Aber sie will es unbedingt.“

Frank S. und seine Frau haben bald den Termin zur sogenannten Insemination. Dazu muss er eine Spermaprobe abgeben. Die wird so aufbereitet, dass nur die vorwärtsbeweglichen Spermien übrig bleiben. Diese werden in die Gebärmutter seiner Frau eingebracht. Es ist der zweite und wahrscheinlich nicht der letzte Versuch. Die Chance, dass sie schwanger wird, beträgt bei der Insemination zehn bis 15 Prozent.

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