SommerwelleKommt Corona früher zurück als gedacht – und was heißt das?

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Symbolbild Corona Sommer

Wie frei von Corona kann der Sommer werden?

Köln – In den vergangenen Wochen war es vergleichsweise fast schon ruhig geworden um die Corona-Pandemie. Maßnahmen wurden bis auf ein Minimum zurückgeschraubt, die Zahlen sanken deutlich. Doch war es vielleicht etwas zu ruhig? Das gefühlte Abebben der Pandemie ist nun auf jeden Fall vorbei, der kontinuierliche Sinkflug der Infektionszahlen ist gebremst. Dazu breiten sich mit BA.4 und BA.5 zwei neue Omikron-Varianten aus. Platzt da etwa eine Corona-Welle in die Hoffnungen auf einen unbeschwerten Sommer?

Seit Ende Mai sinkt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen nicht mehr, in den Wochen zuvor war noch ein klarer Trend nach unten erkennbar gewesen. Stand 10. Juni liegt die Inzidenz bundesweit bei 318,7, wobei das Robert Koch-Institut (RKI) betont, dass es aufgrund der Feiertage zu einer erhöhten Verzögerung bei der Meldung der Fälle kommen könne. „Wir sehen aktuell eine Stagnation beim Abfall der SARS-CoV-2 Fallzahlen und teilweise auch einen Anstieg“, beobachtet auch der Virologe Florian Klein von der Uniklinik Köln.

Auch der R-Wert, der angibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt, deutet eine leichte Wende bei den Zahlen an. Zu Monatsbeginn stieg er stark an und kletterte auf über 1, das Virus breitete sich also exponentiell aus. Zudem führen auch immer weniger durchgeführte Schnell- und PCR-Tests zu möglicherweise ungenaueren Zahlen.

Corona-Varianten BA.4 und BA.5 breiten sich in Deutschland aus

Nur auf Ungenauigkeiten lässt sich der gestoppte Fall der Coronazahlen allerdings nicht zurückführen. Es gibt auch einen handfesten Grund: Zwei neue Omikron-Varianten breiten sich laut dem Wochenbericht des RKI vom vergangenen Donnerstag in Deutschland immer mehr aus. Hatten wir es hierzulande bislang vor allem mit BA.1 und BA.2 zu tun, klettern nun die Fallzahlen von BA.4 und BA.5. Vor allem BA.5 scheint auf dem Vormarsch zu sein.

Beobachten lässt sich diese Entwicklung nur verzögert, weil die Daten zu Virusvarianten erst mit etwas Verspätung in die Statistik eingehen. In der letzten Mai-Woche hatte BA.5 einen Anteil von 10 Prozent der Infektionen, eine Verdopplung im Vergleich zur Vorwoche. „Ursächlich hierfür sind vermutlich die zunehmenden Kontakte in der Bevölkerung sowie der stärker ausgeprägte Immun-Escape, den wir für BA.4 und BA.5 feststellen können“, sagt Virologe Klein. Mittlerweile dürfte der Anteil der Variante an den Infektionen noch höher liegen. Dafür sprechen auch Zahlen einzelner Labore, die zwar nicht repräsentativ sind, aber zum Teil schneller den Anteil der jeweiligen Varianten angeben können. Das Labor Becker beziffert den gemeinsamen Anteil von BA.4 und BA.5 für die vergangene Woche auf 30,8 Prozent.

Macht BA.5 dem unbeschwerten Sommer also einen Strich durch die Rechnung? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte in der vergangenen Woche noch im ZDF gesagt, BA.5 könne im Herbst die Variante sein, mit der Deutschland es zu tun bekommen werde. Auf Twitter schrieb er dann zu Beginn dieser Woche, dass es auch eine Sommerwelle geben könne. „Sicher ist das noch nicht.“

Auch laut des Virologen Martin Stürmer könnte es zu einer Welle in den Sommermonaten kommen. „Die Zahlen deuten darauf hin, dass wir eine Sommerwelle bekommen, die aber nicht so ausgeprägt sein dürfte wie das, was wir letzten Herbst und Winter mit der alten Omikron-Variante gesehen haben“, sagte er dem Hessischen Rundfunk. „Mit einer massiven Beeinträchtigung für unseren Alltag rechne ich nicht.“

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Die Mathematik sieht eine Welle ebenfalls bereits im Sommer kommen. „Unsere Simulationen zeigen, dass die Entwicklung in Portugal auch in Deutschland eintreten könnte – und zwar in Form einer Sommerwelle“, sagte Sebastian Müller, Mitglied der Forschungsgruppe, die an der TU Berlin den Pandemieverlauf modelliert, gegenüber dem Handelsblatt. In Portugal hat BA.5 bereits zu Anstiegen der Fallzahlen geführt. Der Epidemiologe Hajo Zeeb prognostiziert dies ebenfalls in den kommenden Wochen. Das Ausmaß einer solchen Welle sei aber noch nicht abzusehen, sagte er in einem Interview mit dem Spiegel.

BA.5: Zahlen in Portugal und Südafrika deutlich angestiegen

Klar ist, dass BA.5 gemeinsam mit BA.4 wohl ein Thema werden wird. Florian Klein hält es für „sehr wahrscheinlich, dass sich diese Varianten in Deutschland durchsetzen werden und auch steigende Fallzahlen bedingen.“ Die Virologin Sandra Ciesek ist ebenfalls überzeugt davon, dass sich BA.4 und BA.5 in Deutschland durchsetzen werden. Wie hoch eine Welle dann ausfällt, hänge auch von der Grundimmunität in der Bevölkerung ab. In Südafrika und Portugal, wo BA.5 bereits etwas länger auf dem Vormarsch ist, kam es zu einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen – wenn auch nicht so stark wie zuvor bei der Ausbreitung von BA.1.

Eins zu eins lässt sich dieses Szenario allerdings nicht auf Deutschland übertragen, da die Immunität in der Bevölkerung eine andere ist. Hierzulande hatte es eine größere BA.2-Welle gegeben. Der Virologe Christian Drosten vermutete schon im April auf Twitter, dass BA.5 in Ländern ohne große BA.2-Welle (wie eben Südafrika) einen Vorteil haben könnte. Zudem ist die Infektion bei vergleichsweise vielen Menschen in Deutschland noch nicht so lange her, der dadurch entstandene Immunschutz noch frischer und besser. All das könnte eine BA.5-Welle hierzulande verzögern oder auch kleiner halten.

Sollte dies so kommen, ist das allerdings noch keine Entwarnung. Verursacht eine Variante häufiger schwere Verläufe, kann auch eine kleinere Welle Probleme verursachen. Dies scheint nach ersten Erkenntnissen bei BA.5 aber nicht in großem Ausmaß zuzutreffen. So verursachte die Variante in Südafrika weniger neue Krankenhausaufenthalte und Todesfälle als beispielsweise die Delta-Variante. Unterschätzt werden sollte sie dennoch nicht. „Ob diese Varianten zu einem anderen klinischen Bild führen, ist noch nicht abschließend zu bewerten“, mahnt Florian Klein davor, zu voreilige Schlüsse zu ziehen.

Virologe Klein: „Nicht auf angepasste Impfstoffe warten“

Was man aber tun kann: Sein Immunsystem bestmöglich auf eine mögliche Welle vorbereiten. „Der beste Schutz, um nicht schwer zu erkranken, ist die vollständige Impfung nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Stehen bei Personen noch Impfungen aus, sollte man diese jetzt nachholen und nicht zum Beispiel auf angepasste Impfstoffe warten“, empfiehlt Klein.

Wann und vor allem in welchem Ausmaß eine mögliche BA.5-Welle kommt, ist noch lange nicht sicher. Genau wie der beschwerdefreie Sommer. Vom Tisch ist er aber ebenfalls nicht.

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