Eckhart von Hirschhausen„Das Maß an Lügen rund um die Impfstoffe ist krass“

Lesezeit 6 Minuten
Hirschhausen GI

Eckart von Hirschhausen

  • Eckart von Hirschhausen spricht im Interview über Impfskeptiker und Solidarität als Triebfeder.
  • Der Entertainer nimmt auch Stellung zum Hierarchiegefälle im deutschen Gesundheitswesen.

Herr von Hirschhausen, Sie gehen mit einer neuen Staffel Ihrer „Sprechstunde“ auf Sendung – und starten mit Corona. Eckart von Hirschhausen: Womit denn sonst?

Auch wenn man es inzwischen kaum mehr hören kann?

Kommt drauf an. Wir probieren es ja mit einer Mischung aus Gesundheitsmagazin und Talkshow. Die wahren Experten für eine Krankheit sind doch diejenigen, die mit der Krankheit oder ihren Folgen leben müssen. Zum Auftakt ist Jörg Pütz aus Hennef bei mir, der im Frühjahr fast an Covid-19 gestorben wäre. Ich bin ihm damals bei Dreharbeiten für „Hirschhausen auf Intensiv“ begegnet, und – ganz ehrlich – ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich heute mit ihm in einem Fernsehstudio sitzen und über seine Genesung sprechen würde. Außerdem gibt es auch beim Thema Corona immer wieder neue Aspekte. Deshalb habe ich auch Cornelia Betsch eingeladen zum Thema Psychologie des Impfens.

Was würden Sie einem Impfskeptiker sagen, der zu Ihnen in die Sprechstunde käme?

Ich würde sagen: „Wir haben eh zu wenig Impfstoff. Bleiben Sie also ruhig skeptisch, bis alle Impfwilligen an der Reihe waren!“ Die aktuelle Debatte geht – wie so oft – am Kern der Sache vorbei. Die eingefleischten Impfverweigerer machen nur wenige Prozent der Bevölkerung aus. Verbreitete Bedenken oder Ängste sind verständlich angesichts der Geschwindigkeit, in der die Impfstoffe entwickelt worden sind. Wie krass dabei aber auch das Maß an Legenden, Lügen und Desinformation ist, das habe ich lange unterschätzt. Für eine ARD-Doku beteilige ich mich deshalb als Proband an einer Studie für die Zulassung eines weiteren Impfstoffs, um deutlich zu machen, mit wie viel Akribie die Forschung am Werk ist.

Zur Person / Die Sendung

„Hirschhausens Sprechstunde“, montags von 20.15 bis 21 Uhr im WDR Fernsehen. Im Radio montags um 9.20 Uhr auf WDR 4 und als Podcast jederzeit in der Mediathek. , und an meiner Seite ist in allen Folgen Katharina Adick, eine exzellente Wissenschaftsjournalistin.

Sollten Geimpfte von ihrem Schutzstatus profitieren dürfen?

Als Bühnenkünstler würde ich mir natürlich wünschen, dass ich schon im Sommer wieder in vollen Sälen vor 1000 Leuten auftreten kann. Aber nicht, wenn die Zuschauer dafür am Eingang einen Impfnachweis vorzeigen müssten. Das käme ja einer Bestrafung derjenigen gleich, die geduldig warten, bis sie mit dem Impfen an der Reihe sind, und das wird noch bis Herbst dauern. Ich bin auch gegen eine direkte oder indirekte Impfpflicht, weil das suggeriert, dass die Leute den Sinn des Impfens nicht von sich aus einsähen. Allerdings kann ich mir ein – sagen wir – verstärktes Motivieren für die Impfung in den Gesundheitsberufen vorstellen, wegen des Eigen- und Fremdinfektionsrisikos, aber auch wegen der besonderen Vorbildfunktion.

Beides sind Argumente, die sich von selbst zu verstehen scheinen. Warum ist die Impfverweigerung dann gerade unter Pflegekräften verbreitet?

Das ist leider kein neues Phänomen. Auch bei der Grippeschutzimpfung sind längst nicht alle im Gesundheitswesen motiviert dabei. Eine etwas traurige Erklärung hat mit dem traditionell vorsintflutlichen Hierarchiegefälle in Deutschland zu tun. Pflegekräfte gelten bei manchen Kollegen immer noch als Handlanger der Ärzte. Das ist zwar totaler Unsinn, führt aber zu ebenso unsinnigen Trotzreaktionen des Pflegepersonals gegen alles, was „von oben“ kommt – wie die Ansage der ärztlichen Direktoren, „lasst euch impfen!“ Aber vielleicht lassen die aktuellen Statistiken mit bis zu 1000 Covid-19-Toten täglich auch solche antiautoritären Aufwallungen schwinden.

Ein neues Gefühl für Solidarität angesichts der hohen Fallzahlen?

Jeder spürt: Die Einschläge kommen näher. Und wenn man bedenkt, dass der Tod durch Covid-19 im Durchschnitt einen Verlust von mehr als acht Jahren Lebenszeit bedeutet, wird daran auch der Zynismus der These deutlich, dass eine solche Pandemie der Lauf der Natur sei und nur alte Leute betreffe, „die eh bald sterben“. Wer wollte 75-Jährigen die Chance auf noch viele gute Jahre absprechen?

Hat diese Überlegung Auswirkungen auf die Impfbereitschaft?

Auch in der Impfdebatte ist Solidarität für die allermeisten eine viel stärkere Triebfeder, als die Schreihälse es uns glauben machen. Die sind laut, aber selten. Ich kenne das Phänomen aus meiner Zeit als Arzt in der Kinderheilkunde, wenn es um die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln ging. Die meisten Skeptiker unter den Eltern waren mit der Überlegung zu überzeugen: „Auch wenn das Risiko für einen schweren Verlauf bei Ihrem eigenen Kind gering ist, könnten Sie gut damit leben, dass Ihr nicht geimpftes Kind in der U-Bahn oder im Café eine Schwangere ansteckt, die dann ein durch Röteln schwerst behindertes Baby zur Welt bringt? Oder dass sich ein Säugling bevor er selbst geimpft werden kann, mit Masern bei Ihrem Kind ansteckt und lebenslange Schäden davonträgt?“ Der Gedanke der Mitverantwortung ist ungemein überzeugend. Darum nervt mich der bescheuerte Ausdruck „Herdenimmunität“ so.

Inwiefern?

Weil „Herde“ nach Rindviechern klingt oder nach Schafen, die ohne Sinn und Verstand in einer Masse mittrotten. Ich halte mit dem Positiv-Begriff „Gemeinschaftsschutz“ dagegen, der sich auch in medizinischen Fachgesellschaften mehr und mehr durchsetzt. Als Freund des Wortes ist das mein kleiner Beitrag zur Bewusstseinsbildung.

In Ihrer „Sprechstunde“ erzählen Sie Krankheitsgeschichten mit Happy End. Gibt ein solches TV-Format nicht mehr her?

Ich möchte dem Reden und Nachdenken über Covid-19 oder über Volkskrankheiten wie Herzinfarkt, Fettleibigkeit, Krebs , Depression die Schwere nehmen. Aber – ganz simpel gesagt – ich könnte mit Lisa Ortgies nicht über ihren Herzinfarkt reden, wenn sie den nicht überlebt hätte. Was diese Menschen erzählen, ist dann keinesfalls nur Happy End. In einer Folge der Serie redet der Kabarettist Torsten Sträter sehr offen von den Schwierigkeiten, mit einer Depression leben zu müssen, und warum ihn gut gemeinte Durchhalte-Appelle einfach nicht erreicht haben. Das ist ja auch interessant für alle, die selbst nicht depressiv sind. Praktisch jeder hat ja einen Angehörigen, Freund oder Nachbarn, der phasenweise mit Depressionen bis hin zu Suizidgedanken zu tun hat. Als kleinen Gimmick haben wir Glückskekse backen lassen mit typischen Sätzen, die Depressive zu hören bekommen, und Sträter sollte jeweils sagen: Hilfreich? Oder nicht hilfreich?

Ein Beispiel für nicht hilfreich?

„Kopf hoch!“ Oder: „Reiß dich zusammen!“

Das könnte Sie auch interessieren:

Hilfreich?

„Ich bin an deiner Seite.“

Hilft vielleicht auch in der Pandemie.

Stimmt! Der Satz „Die Krise als Chance begreifen“ landet dafür definitiv bei „nicht hilfreich“. Zu vieles in dieser Pandemie ist, seien wir ehrlich, keine Chance, sondern nach wie vor große Scheiße.

Das Gespräch führte Joachim Frank.

KStA abonnieren