Steigende InzidenzenWie infektiös sind Geimpfte und wie häufig stecken sie sich an?

Lesezeit 5 Minuten
Impfung_Symbolbild_dpa_190821

Eine junge Frau bekommt den Corona-Impfstoff. Die Zahl an Impfdurchbrüchen steigt. Nach wie vor machen Geimpfte aber nur einen sehr kleinen Teil der Neuinfizierten aus.

Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland steigt rasant und liegt aktuell bei 48,8. Bayern reagiert in dieser Woche als erstes Bundesland und verabreicht Drittimpfungen. Auch die Zahl der Impfdurchbrüche steigt, es gibt immer mehr symptomatische Infektionen vollständig Geimpfter. Die Frage, wie gut sie vor Covid-19 geschützt sind, drängt sich auf. Die wichtigsten Antworten.

Wie sind die aktuell steigenden Inzidenzen zu erklären?

Ein Grund für die steigenden Inzidenzen ist die Ausbreitung der Delta-Variante. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) sind in Deutschland rund 98 Prozent der Neuinfektionen auf Delta zurückzuführen. Zu einem großen Teil infizieren sich Menschen, die nicht geimpft sind. Besonders viele der Neuinfizierten gehören der Altersgruppe der 10- bis 34-Jährigen an.

Die Impfquote unter den 18- bis 59-Jährigen liegt bei rund 61 Prozent, bei den 12- bis 17-Jährigen um die 16 Prozent. In der Gruppe der über 60-Jährigen sind fast 83 Prozent voll geimpft. „Viel zu viele in der Bevölkerung sind noch nicht geimpft. Das ist ein riesiger Pool an Menschen, der sich infizieren kann. Allein dieser ist ausreichend, um den starken Anstieg zu erklären“, sagt Leif Sander, Infektiologe an der Berliner Charité, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gegenüber. Dazu kämen die Impfdurchbrüche.

Leif Erik Sander ist Leiter der Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung der Berliner Charite.

Leif Erik Sander ist Leiter der Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung der Berliner Charite.

Angesichts der Ergebnissen der Zulassungsstudien für die Impfstoffe habe man die Hoffnung gehabt, durch die Impfungen eine „sterile Immunität“ zu erreichen, so Sander. Bei steriler Immunität geben Geimpfte den Erreger nicht an andere weiter. Mit dem Aufkommen der Varianten hat sich diese Hoffnung nicht bestätigt. „Erst hatten wir Alpha, dann die Delta-Variante, die sehr ansteckend ist. Delta kann dem Impfschutz ausweichen, damit wurden Impfdurchbrüche erwartbar“, erklärt er.

Wie häufig infizieren sich Geimpfte im Vergleich zu Ungeimpften?

Als Impfdurchbruch erfasst werden nur die Fälle, in denen Betroffene Symptome aufweisen und ihre Infektion an das Gesundheitsamt melden. Das RKI listet aktuell 10.827 Impfdurchbrüche. Der Anteil dieser Fälle an den Gesamtinfektionen lag zwischen dem 12. Juli und dem 1. August bei 18- bis 59-Jährigen bei 13,6 Prozent, bei den über 60-Jährigen bei 31,6 Prozent. Zu bedenken ist die deutlich höhere Impfquote bei Älteren in den Juliwochen, aus denen die RKI-Daten stammen. Relativ muss also auch die Zahl der Impfdurchbrüche höher liegen.

Wie ist die Lage in Köln?

Laut dem Gesundheitsamt ist unter den Neuinfizierten ein Anteil von 22 Prozent geimpft. Die Kölner Zahlen enthalten - anders als die Zahlen des RKI - auch die asymptomatischen Infektionen. Rund 63 Prozent der Kölnerinnen und Kölner sind inzwischen vollständig geimpft. Die Zahlen belegen zweierlei: Impfdurchbrüche sind auch in Köln keine seltenen Einzelfälle, die Wahrscheinlichkeit einer Infektion nimmt durch die Impfung jedoch rapide ab.

Das gilt umso mehr für schwere Verläufe. Zwar erfassen die Kliniken in Köln nicht automatisch, ob ihre Patienten gegen Covid geimpft sind oder nicht, weshalb es keine belastbaren Statistiken zu schweren Verläufen bei Impfdurchbrüchen gibt. Laut Stadt gibt es jedoch sehr wenige schwere Verläufe nach vollständiger Impfung. „Die Immunisierung bietet einen sehr hohen Schutz vor schweren oder gar tödlichen Verläufen“, betont Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamtes, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gegenüber. Dass es zu Infektionen trotz vollständiger Immunisierung komme, sei dennoch „nicht ungewöhnlich. Einen hundertprozentigen Impfschutz gibt es nicht.“ Er rate dringend dazu, „sich trotz dieser Durchbrüche impfen zu lassen.“

Wie infektiös sind Geimpfte?

Das NRW-Gesundheitsministerium weist darauf hin, dass Infektionen, die von Geimpften übertragen werden, weniger gefährlich seien als die, die von Ungeimpften übertragen würden. „Die bisherige Studienlage weist darauf hin, dass bei Personen, die sich trotz vollständiger Impfung infizieren, die Viruslast herabgesetzt ist“, sagte ein Sprecher von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Dies habe Einfluss auf die Infektiosität der Person. Nach derzeitigem Kenntnisstand könne davon ausgegangen werden, dass Geimpfte in weit geringerem Maße als ungeimpfte Personen zu der Verbreitung des Virus beitragen.

Welche Gruppen haben das höchste Risiko eines Durchbruchs?

Entscheidend für das Risiko einen Impfdurchbruch zu erleiden, sich also als vollständig Geimpfter mit dem Coronavirus zu infizieren, ist neben dem Alter der Zeitpunkt der Impfung und der Zustand des Immunsystems, erklärt Leif Sander. Eine niedrige Konzentration an Antikörpern korreliert in Studien mit Impfdurchbrüchen. Dass diese Konzentration mit der Zeit nachlässt, ist normal. Es wird angenommen, dass der Schutz vor der Weitergabe des Virus weniger langlebig ist als der Schutz des Geimpften selbst.

Das könnte Sie auch interessieren:

Inzwischen gibt es erste Untersuchungen, welchen Einfluss der Impfstoff auf die Wahrscheinlichkeit eines Impfdurchbruchs hat. Auch Sanders arbeitet an der Erfassung dieser Daten. „mRNA-Impfstoffe (Anm. d. R.: Biontech/Pfizer oder moderna) sollen besser sein als Vektorimpfstoffe (Anm. d. R.: Astrazeneca, Johnson und Johnson). Für die langfristige Wirkung weiß man das aber noch nicht sicher“, sagt der Infektiologe.

Ist die Inzidenz noch der richtige Wert, um das Geschehen zu bewerten?

Leif Sander rät, nicht die Inzidenz alleine heranzuziehen. Die Impfquote beispielsweise ändere sich jeden Tag, dazu kommen Faktoren wie nicht gemeldete Impfdurchbrüche und das Alter. Die Inzidenz sei nicht als Wert zu sehen, der unmittelbar gekoppelt ist an schwere Verläufe und Hospitalisierungen, von denen es unter Geimpften nur sehr wenige gibt. „Da müssen wir erst noch lernen, wie eng das zusammenhängt“, sagt Sander. Stattdessen rät er, auf aktuelle Entwicklungen und Trends zu blicken und die Veränderungen bei den Zahlen zu Krankenhauseinweisungen, Patienten auf Intensivstationen und die Todesfälle zu beobachten.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung ist vor diesem Hintergrund dazu übergegangen, die Inzidenz kaum mehr als Grundlage für Maßnahmen zu nutzen. Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Köln, hält das für richtig: „Ja, wir haben auch bei Geimpften Infektionen – die landen aber fast nie im Krankenhaus. Das ist entscheidend. Bei der Grippe interessiert sich ja auch kein Mensch für die Inzidenz.“ Ähnlich sehe er es bei Geimpften, die sich mit Corona infizieren. Das Wichtigste sei weiterhin eine hohe Impfquote.

Wie ist der Stand in Sachen Drittimpfung?

Sander rät zur Drittimpfung für bestimmte Gruppen: „Ältere Menschen, die ein um 90 Prozent verringertes Risiko haben schwer zu erkranken, landen mit der dritten Impfung dann vermutlich wieder bei dem Risiko eines 40-Jährigen. Der Effekt auf die Zahl der schweren Erkrankungen bei einer Drittimpfung von alten Menschen ist also in etwa der gleiche, wie der Effekt einer Erstimpfung bei Jüngeren“, so Sander. Die Notwendigkeit, auch Jüngere und Gesunde ein drittes Mal zu impfen, sieht er aktuell nicht. Der Grund, dass derzeit vermehrt Jüngere erkranken sei, dass sie häufig noch ungeimpft sind. Eine Ausnahme macht er bei Pflegekräften und Gesundheitspersonal: „Wir sollten überlegen, Menschen ein drittes Mal zu impfen, die mit Kranken und vulnerablen Gruppen arbeiten“.

KStA abonnieren