Beerenwein unter Blättern

Lesezeit 5 Minuten
Die Wietsch-Mühle wurde 1914 erbaut.

Die Wietsch-Mühle wurde 1914 erbaut.

In einer kleinen Serie stellt der „Leverkusener Anzeiger / Kölner Stadt-Anzeiger“ alte Ausflugslokale an Dhünn, Rhein und Wupper vor. Heute die Wietsche-Mühle in Leichlingen - die auch heute noch Durstige und Hungrige anlockt.

Bunte Birnen in der nackten Fassung; am losen Kabel, das bauchig unter den Bäumen hängt - für einen Biergarten ist eine solch schummrig-schräge Beleuchtung geradezu ideal. Dazu gibt es lieblichen Beerenwein aus römischen Gläsern. Das sind wiederum die mit dem dicken grünen, geriffelten Glasstiel, auf dem die Fingernägel so munter klimpern, als sei es ein Waschbrett. Wahlweise gibt es noch Flaschenbier, Selters und selbstverständlich auch selbst gemachten Johannisbeersaft.

Es ist ein Ort, an dem die Zeit still zu stehen scheint, oder ein Ort der Fantasie. Aber es gibt ihn tatsächlich - versteckt in einer Schlucht, die romantische veranlagte Schwärmer sogar als die „Leichlinger Schweiz“ bezeichnen. Es ist das Waldgasthaus Wietsche-Mühle im Murbachtal. Die Geschwister Stamm haben es von ihrem Vater Fritz übernommen. Der wiederum kaufte die alte Mühle 1950, ein Jahr später wurde Sohn Herbert geboren, weitere fünf Jahre später folgte die Schwester - Marlis. Die Kinder wuchsen also in den elterlichen Betrieb hinein - und sind noch heute ein Gespann.

ZUR ERHOLUNG

Sie backt Obst- und Sandkuchen, derweil er die Schafe hütet und sich um den Beerenwein kümmert. Wahlweise gibt es Wein aus gekelterten Brombeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren und Heidelbeeren, das Glas 1,40 Euro, die Flasche sieben Euro. Und für den Hunger gibt es Würstchen (2,50 Euro), Frikadellen (2 Euro), Koteletts (4 Euro) oder Steaks (8 Euro) vom Grill. Im trutzigen Haus liegt ein Schankraum, der auch als Café dient. Aber im Sommer spielt sich alles draußen ab. Regnet es, gibt es eine überdachte Terrasse, auf der man den beruhigenden Rhythmus der Wassertropfen hören kann. Für Musik sorgen die Gäste selbst. Höhner-Sänger Henning Krautmacher, der das Lokal einmal als das Lieblingsdomizil seiner Jugendzeit erklärte, erinnert sich noch gut an die Zeit, als man die Klampfe auspackte und Lieder anstimmte. Doch um das junge Volk ist es ruhiger geworden. Das sah zwischen 1970 und 1995 ganz anders aus, erinnern sich die Geschwister. Da gab es Abende, da mussten die jungen Besucher sogar auf den Mauern und Bierkästen Platz nehmen, so gut war das Haus besucht. Ein Teil von ihnen kommt heute mit der Familie. Arbeit gab und gibt es also immer. Auch am Dienstag, der eigentlich ein Ruhetag ist, haben die Stamms alle Hände voll zu tun. Und das sagen sie auch ganz unumwunden. Der Einkauf, der Kehraus, die Buchführung, die antiken Holzstühle auf den Eisengestellen müssen gestrichen werden und, und, und - Herbert Stamm weiß offenbar gar nicht, wo ihm der Kopf steht. Trotzdem: Das Baumdach hoch über dem Waldgasthaus vermittelt Geborgenheit. Und auch wenn Herbert Stamm über die „Aldisierung“ der Gesellschaft klagt und darüber, dass es keine Händler mehr gibt, die herauskommen, und er alle Einkäufe alleine tätigen muss - in der Wietsche-Mühle bekommt man von all dem gar nichts mit.

Fenster in Übergröße

Kurzum: Beide haben sie eine Oase erhalten, die für Wanderer, Bierdurstige und Romantikhungrige ein echtes Erlebnis ist. Ob das Leben und die Atmosphäre hier besonders schön sei? Das wollen Marlis und Herbert Stamm nicht kommentieren. Für sich selbst dürfe man doch nicht werben. Aber: „Es ist schön, weil alles so ist, wie es ist“, erklärt Herbert Stamm dann etwas später. Das Inventar ist alt, aber es tut seinen Dienst. Zur Bruchsteinfassade gehören die Schlagladen im bergischen Grün, hinter den einfachen Glasscheiben hängen ganz akkurat die weißen, gestärkten Gardinen.

Die eigenwillige Architektur des trutzigen Gasthauses erklärt sich schnell. 1914 erbaute der pensionierte Krefelder Staatsrat Walter Barth die Mühle, die schon damals als Gasthaus samt Schankraum diente. Barth brachte Fenster und Türen aus einem alten Krefelder Postgebäude mit, das damals abgerissen wurde. Und diese waren etwas größer, als es für Wohnbauten damals üblich war, daher die seltene Form.

Anfangs wurde das Gebäude auch als Mühle genutzt. Im Wald war ein Wehr, und das gestaute Wasser floss auf das Rad, das unter der heutigen Außenterrasse lag. Stamm hat es abgebaut. Auf der Mauer hockten früher außerdem ein bronzener Adler und seine vier Weibchen. „Aber da wurde so viel dran gefummelt, die sind jetzt weg“, sagt Stamm.

Fragt man ihn nach den Wanderwegen, dann bleibt er in seinen Auskünften vage, denn zum Wandern habe er keine Zeit. Doch führt es in einer Richtung auf den Lucasweg, nach Opladen und Schloss Burg in Wermelskirchen, es geht nach Bergisch Neukirchen, das nahe Diepenthal oder gar ins fernere Neandertal. Doch anders als in den 50er Jahren lässt die Wanderslust nach, wissen die Geschwister. Heute kommen die Gäste lieber mit dem Auto.

An einen häufigen Besucher aus der Kindheit erinnert sich Herbert Stamm besonders gut. Es war der Vertreter Heinz Bensberg aus Düsseldorf. Auf dem stets gewienerten Lastwagen aus dem Hause Hanomag war der Schriftzug „Böklunder Würstchen“ zu lesen. Und was Heinz Bensberg ebenfalls mitbrachte, das waren Zeit und Muße. Lange saß er im Biergarten. Entladen wurde meist erst, wenn Fritz Stamm Feierabend machte. „So etwas gibt es heute leider nicht mehr“, sagt Herbert Stamm.

KStA abonnieren