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Bereit, mit Vergangenem zu brechenErinnerungen an den Kölner Verleger Alfred Neven DuMont

Lesezeit 8 Minuten
Alfred Neven DuMont

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“-Herausgeber Alfred Neven DuMont

Am 30. Mai 2015 starb Verleger und Herausgeber Alfred Neven DuMont. Eine Würdigung zum 10. Todestag von Franz Sommerfeld.

Eher vorsichtig nähert sich sein Zeigefinger dem iPad, ein wenig wie bei ET im gleichnamigen Film. Er zögert, was ihm nicht unbedingt eigen ist. Dass eine feste Glasfläche so unterschiedlich und dann doch so schnell auf Berührungen reagiert, überrascht ihn. Die Brillanz der Flächen und Farben spricht ihn dagegen an. Drei Stunden Zeit hat Alfred Neven DuMont, Herausgeber und Verleger, eingeplant, um sich im September 2012 bei ihm zu Hause in Forsbach von mir in die Benutzung eines iPads einführen zu lassen. Nun wollte der 85-Jährige doch noch persönlich die digitale Welt erproben. Auf dem Schreibtisch seines Büros im obersten Stockwerk des Neven DuMont Hauses stand nie ein Computer, kein Notebook, Laptop oder Ähnliches. Die Vorzimmerdamen eilten zum Diktat; eine schnitt heimlich mit, weil er so schnell diktierte.

„Freiwillig“, hatte er immer wieder erklärt, „werde ich mich persönlich nicht mehr umstellen. Ich habe so lange Papier in der Hand gehabt. Die Komposition ganzer Zeitungsseiten, die Unterschiedliches in Beziehung setzt, das hat für mich mehr Dynamik und Reiz.“ Aber genau das bot ihm auch ein E-Paper. Und mit einem iPad könnte er die „Haaretz“ lesen, die israelische Zeitung, an der sich DuMont auf Drängen seines Freundes, des langjährigen israelischen Botschafters Avi Primor, beteiligt hatte. Und die Ausgaben der „Mitteldeutschen Zeitung“, der „Frankfurter Rundschau“ und der „Berliner Zeitung“, die ein Kurierdienst über Nacht nach Köln brachte.

Früh die Bedeutung des Internets erkannt

Aber das waren nur Frühausgaben, eben nicht die wirklich aktuellen. Alfred Neven DuMont liebte Zeitungen, aber nichts langweilte ihn mehr als alte Zeitungen, erst recht aus dem eigenen Haus. Anders als viele seiner Redakteure erkannte er früh die Bedeutung des Internets und sprach immer wieder darüber, unterschätzte dann aber doch die Wucht und Geschwindigkeit des digitalen Sturms. „Ich bin einer der letzten Mohikaner. Es ist vorbei“, sagte er dem „Spiegel“-Reporter Alexander Osang, der später sein Angebot ausschlug, Chefredakteur der „Berliner Zeitung“ zu werden, und damit wieder einmal sein Gefühl bestätigte, plötzlich allein in seiner Branche zu stehen. Nur noch umgeben von Managern, die in Zeitungen ein „kaufmännisches Unternehmen“ sehen, sie aber nicht mehr wie er „eher als Kulturgut“ verstehen.

Trauerfeier für Alfred Neven DuMont im Kölner Dom

Trauerfeier für Alfred Neven DuMont im Kölner Dom

In dieser Zeit endete die Zeit Alfred Neven DuMonts, die Zeit eines beispiellosen Nachkriegsaufschwungs für Deutschland und damit auch für die Zeitungsbranche. Von seinem Vater 1953 als Nachfolger für den Verlag in die Pflicht genommen, stürzte er sich geradezu in diesen Aufbruch: „Es war ein Glücksfall, dass mir mit 27 Jahren von meinem Vater der Kölner Stadt-Anzeiger anvertraut wurde. Ich kam aus Chicago zurück, hatte dort Journalismus studiert. Ich wusste alles besser und hatte auch Recht. Ich setzte mich durch und modelte die Zeitung völlig um.“

Er holte junge Leute, erfand neue Formate, brachte das regionale Boulevardblatt „Express“ auf den Markt und machte den Stadt-Anzeiger zum Platzhirsch in Köln. In seiner Autobiografie „Mein Leben“ beschreibt er, wie er „längst den Kampf aufgenommen hatte“ gegen diejenigen, die sich den notwendigen Veränderungen entgegenstellten: „Der Kleinkrieg ging weiter.“ Er gewann ihn. Fasziniert schrieb er aus New York über die Nominierung Robert Kennedys zum Spitzenkandidaten der Demokraten und den Wahl-Computer, der „in der Lage ist, in der Minute 1200 Linien zu verarbeiten“, und „die Ergebnisse in wenigen Minuten auswirft“. Er berichtete aus Indien und Afrika, reiste im Auto mit seinem Chefredakteur durch die Länder des Warschauer Pakts. Aber ebenso begeistert beteiligte er sich am kölschen Leben, 1955 sogar als Karnevalsprinz im Dreigestirn. Im Alter klagte er über den Verlust der Freiheit bei den endlosen Sitzungen der Prinzenproklamation mit ihren Aufsteh- und Klatschritualen.

Der Verleger Alfred Neven DuMont bei einer Veranstaltung im Verlag, bei der er Geflüchtete eingeladen hatte.

Der Verleger Alfred Neven DuMont bei einer Veranstaltung im Verlag, bei der er Geflüchtete eingeladen hatte.

Er engagierte sich mit der Zeitung für den Erhalt der Bäume im Königsforst, gegen die wachsende Kriminalität in Köln, dem „Chicago des Westens“, und den „ohrenbetäubenden Lärm tieffliegender Düsenjäger“, die offenbar gerne den Dom als Flugmarkierung nutzten, ungerührt von der Empörung der verantwortlichen Generäle über die „unverschämte Veröffentlichung im Stadt-Anzeiger“. Im Alter bediente er die Sehnsucht Kölner Lokalpolitiker nach einer Vaterfigur. Er drängte nicht danach, ließ sich aber gerne drängen, auch wenn er spottete: „Er will mich sprechen. Was will er? Ich habe doch nichts zu bestimmen.“ So wurden ihm neue Messechefs, Spitzenkandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters oder Intendanten vorab zugeführt. Oberbürgermeister Fritz Schramma trat nach einem langen sonntäglichen Telefonat mit ihm wegen seines ungeschickten Lavierens nach dem Einsturz des Stadtarchivs zurück.

Hedwig und Alfred Neven DuMont bei einer Premiere von Circus Roncalli mit Zirkusdirektor Bernhard Paul

Hedwig und Alfred Neven DuMont bei einer Premiere von Circus Roncalli mit Zirkusdirektor Bernhard Paul

Da er selbst bereit war, mit Vergangenem zu brechen, begegnete er der Achtundsechziger-Studentenbewegung durchaus neugierig und aufgeschlossen. Die oft grellen Formen ihrer Protest-Inszenierungen sah er, der seine Schauspielkarriere zugunsten des Verlages aufgeben musste, gelassen. „Nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke“ kritisierte er im Stadt-Anzeiger die Weigerung des „Bundeskanzlers oder wenigstens eines Bundesministers, sich mit den Studentenführern der Bundesrepublik zu einem Gespräch treffen“, und zeigte sogar „Verständnis für ihre Einstellung zum Springer-Konzern“. Das nahm ihm Axel Springer übel. Seine letzte öffentliche Rede hielt Alfred Neven DuMont auf einer Versammlung der Kölner „Arsch huh“-Kampagne.

Der Patriarch wollte immer eine Zeitung fürs Volk machen

Doch viele der Achtundsechziger-Aktivisten dankten es ihm letztlich nicht. Bei ihrer Flucht in politische Sekten mochten sie auf ihr Feindbild des kapitalistischen Pressezaren nicht verzichten. Ihn wiederum erzürnte ihr pädagogischer Impetus, die wachsende Neigung, Menschen belehren und erziehen zu wollen. Besonders bei den durch die Achtundsechziger-Bewegung geprägten Redakteuren rieb er sich an ihrem ideologischen Blick auf die Wirklichkeit. Ihnen stellte er eine kindsgroße, aus Zeitungspapier gefertigte Skulptur einer kräftigen, ein wenig fülligen, skeptisch blickenden Frau entgegen, vielleicht eine kölsche Marktfrau, die in seinem Büro stand und die er gelegentlich Chefredakteuren auslieh: „Das ist Ihre Leserin!“ Denn der Patriarch wollte immer eine Zeitung fürs Volk machen.

Schon 1960 legte er sich in einem äußerst sarkastischen Kommentar unter dem Titel „Nicht zufrieden, Herr Bundeskanzler“ mit dem Kölner Konrad Adenauer an, als dieser in einer französischen Illustrierten durchaus nachvollziehbar bekannte, „dass er, Adenauer, kein Vertrauen zu den Deutschen habe“. Später fordert er die direkte Wahl des Bundespräsidenten und mehr Volksabstimmungen, etwa über die Zukunft des Schauspielhauses. Doch als die Leser schließlich immer schneller von der Zeitung zu den mobilen Geräten wechselten, half auch die Skulptur aus Zeitungspapier nicht weiter. Noch einmal versuchte Alfred Neven DuMont, mit der Beteiligung an der schwächelnden „Frankfurter Rundschau“ und der „Berliner Zeitung“ das große Rad zu drehen. Aber anstatt in der publizistischen Bundesliga mitspielen zu können, beschleunigten diese Beteiligungen den Niedergang des Hauses.

Alfred Neven Dumont mit Kunst-Sammlerin Irene Ludwig

Alfred Neven Dumont mit Kunst-Sammlerin Irene Ludwig

In dieser schweren Krise zeigte sich Alfred Neven DuMont gemeinsam mit Dieter Schütte als Repräsentant des zweiten Eigentümers bereit, mit einer großen, alten Tradition zu brechen: Er ließ sich von seiner Tochter Isabella und seinem Partner und Großneffen Christian DuMont Schütte davon überzeugen, dass sich beide Familien aus der operativen Führung des Unternehmens in den Aufsichtsrat zurückziehen. Sie gewannen Christoph Bauer, um das Medienhaus mit ihm als Vorstandsvorsitzenden oder neudeutsch CEO neu aufzustellen. Sie folgten der Einsicht, dass Kontinuität nur durch Brüche zu sichern ist.

Anders als beim Eintritt von Alfred Neven DuMont in den Verlag musste nun nicht nur die Zeitung, sondern das ganze Unternehmen neu erfunden werden. Im Frühjahr 2025 treffen sich die Führungskräfte von DuMont aus der ganzen Republik zum Abendessen im Betriebsrestaurant der gläsernen Konzernzentrale in Köln mit dem beruhigenden Blick auf die Grünfläche in der Mitte. Im Laufe des Abends wechseln sie ihre Plätze, damit sich möglichst viele persönlich kennenlernen: Es ist eben ein Familienunternehmen. An Abenden wie diesen ist zu sehen, wie DuMont wieder einmal neu entsteht, heute weitgehend digital und mit wachsenden Ergebnissen.

In der neuen Welt werden immer noch Bücher gelesen

Dort sitzt der Journalist des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zwischen den Geschäftsführern der „Marketing Technology“, die den ehemaligen Anzeigenkunden der Zeitung in die neue Welt gefolgt sind. Sie bieten Lösungen an, Kunden auch in einem von wenigen amerikanischen Monopolen dominierten Markt zu erreichen. DuMont gehört zu den führenden Anbietern dieser Technologie mit 2800 Kunden in zwölf Ländern.

Die Geschäftsführerin des DuMont Buchverlags spricht mit den Geschäftsführern von „Business Information“, die mit einem weit verzweigten Angebot von berufsbezogenen Daten- und Informationssystemen zahlreiche Berufsgruppen dabei unterstützen, mit modernsten Technologien und Prozessen den sich gerade durch KI immer mehr beschleunigenden Berufsalltag zu bewältigen. Aber auch die Umsätze des Buchverlags sind gestiegen. In der neuen Welt werden immer noch Bücher gelesen, sogar auf Papier. Erst vor wenigen Wochen kündigte DuMont den Kauf von „Rausgegangen“ an, einer digitalen Plattform, auf der Veranstalter ihre Events selbst ankündigen und Nutzer sie direkt und mobil buchen können.

Alfred Neven DuMont, Paul Bauwens-Adenauer und Michael Hüther beim Neujahrsempfang der IHK 2015

Alfred Neven DuMont (r.), Paul Bauwens-Adenauer und Michael Hüther (M.) beim Neujahrsempfang der IHK 2015

Das erinnert an Alfred Neven DuMonts unternehmerisches Gespür für seine Kunden, mit dem er 1953 auf die bei vielen Redakteuren verpönten Kleinanzeigen setzte und den Stadt-Anzeiger so an die Spitze des Marktes brachte: „Ob es sich um einen entlaufenen Köter handelte oder um das Aufspüren eines alten Mercedes, um die Anmietung von Altstadtwohnungen oder um die Suche nach einem Papagei: Alles, was die Kölner begehrten, konnten sie hier finden.“ Die Einführung ins iPad bricht Alfred Neven DuMont nach eineinhalb Stunden ab, geht hinüber zum Ententeich und spricht über den Aufbruch der Enten im Herbst und die Zeitläufe. So kann ich ihm nicht mehr die Sprachroboterin Siri vorstellen, die kurz zuvor auf dem iPad eingeführt worden war. Sie hätte Alfred Neven DuMont vermutlich gefallen, auch wenn ihn ihre schier unerschütterliche Freundlichkeit eher irritiert hätte. Das iPad hat er nie wieder erwähnt. 

Über den Autor

Franz Sommerfeld, geb. 1949, hat 15 Jahre mit Alfred Neven DuMont zusammengearbeitet: zunächst als Chefredakteur der „Mitteldeutschen Zeitung“, danach von 2000 bis 2009 als Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2014 als Vorstand der Mediengruppe M. DuMont Schauberg. (jf)