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Mit Windeln vorgesorgtSchräger Weltrekord-Versuch am Kölner Dom

Lesezeit 4 Minuten
Zabur Asadi, der sich „Rubaz“ nennt, steht am Dom und will sich möglichst lange nicht vom Fleck bewegen.

Zabur Asadi, der sich „Rubaz“ nennt, steht am Dom und will sich möglichst lange nicht vom Fleck bewegen.

„Rubaz“ aus Minden steht seit Dienstagabend am Kölner Dom und rührt sich nicht vom Fleck. 39 Stunden will er durchhalten.

Die Suche nach Erfolg und Glück gehört unweigerlich zur menschlichen Natur. Hinzu kommt das Streben nach sozialer Anerkennung. Ein probates Mittel dafür war schon immer, sich gewissen Herausforderungen zu stellen. „Challenges“ werden diese inzwischen genannt – aber wer jetzt an sportliche Höchstleistungen wie Erstbesteigungen oder frühere Bagger-Wetten bei Thomas Gottschalk denkt, der muss bei Zabur Asadi die Messlatte deutlich tiefer ansetzen.

Der 26-Jährige steht seit Dienstagabend um 17.42 Uhr neben der Baustelle des Dom-Hotels auf dem Roncalliplatz. Dabei schaut er die ganze Zeit in sein Smartphone, das er vor sich auf einem Stativ platziert hat. „Na, und?“, werden Sie jetzt sicherlich fragen. Und viel mehr passiert auch nicht: Zabur Asadi, der sich auf Youtube und anderen Online-Plattformen „Rubaz“ nennt, steht einfach da und bewegt sich nicht vom Fleck.

Twitch-Streamer mit Weltrekord-Versuch in Köln

Seine „Challenge“ hat es trotzdem in sich: Mindestens 39 Stunden will „Rubaz“ so mit dem Dom im Rücken verharren und damit einen Weltrekord im Stillstehen aufstellen. Damit würde er den australischen Youtuber „Norme“ übertrumpfen, der im März mit 38 Stunden eine Bestmarke aufgestellt hatte. Dabei war er von Passanten zwischenzeitlich mit Eiern beworfen oder mit Farbe beschmiert worden – aber der Australier hielt durch.

„Rubaz“, der rund 8100 Follower hat, überträgt seinen Weltrekord-Versuch live auf der Plattform Twitch. Mehr als 1000 Leute verfolgen den Stream permanent und kommentieren ihn. Als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Mittwochmittag auf dem Roncalliplatz vorbeischaut, hat sich gerade die App an „Rubaz'“ Smartphone aufgehängt. Der Stillsteher spricht regungslos Passanten an, und bittet diese, die App neu zu starten, damit die ganze Welt wieder an seinem Rekordversuch teilhaben kann.

Zu diesem Zeitpunkt hat der 26-Jährige mit knapp 20 Stunden etwas mehr als die Hälfte geschafft. „Die Füße tun am meisten weh“, sagt „Rubaz“. Auch der Rücken schmerze, „wenn ich mich nach vorne beuge. Und die Arme werden immer schwerer.“ Immer wieder verlagert er das Gewicht. Auch Stehen auf einem Bein oder leichtes Dehnen sind gestattet. Verboten hingegen sind jegliches Anlehnen und Abstützen, auch Stehhilfen dürfen nicht in Anspruch genommen werden. 

Auf dem Boden stehen unter anderem Getränke und eine Fast-Food-Tüte.

Das Zubehör: Auf dem Boden stehen unter anderem Getränke und eine Fast-Food-Tüte.

„Rubaz“ weiß, dass zu langes Stehen nicht ungefährlich sein kann. Auf vorsorgliche Thrombose-Spritzen habe er aber verzichtet. Natürlich stellt sich auch die Frage nach ganz natürlichen Bedürfnissen. „Ich habe Anti-Durchfall-Tabletten genommen“, antwortet „Rubaz“. Und dass er zwei Windeln trage. Diese könnten in den folgenden Stunden noch zum größten Problem werden. „Rubaz“ lächelt gequält, während zeitgleich seine Follower auf Twitch diskutieren, wie er sich hätte besser präparieren sollen.

Wie auch immer: Ohne Trinken geht es nicht. Mal habe er Passanten gefragt, ihm eine Getränkeflasche zu reichen, die neben dem Handy-Stativ steht. Mal brachte ihm ein Freund Essen vorbei. Auf dem Boden liegt eine Bananenschale. In der Nacht, „in der es schon recht kalt war“, seien ein paar Betrunkene vorbeigekommen. „Das war aber lustig, die haben nur Spaß gemacht“, zeigt sich „Rubaz“ erleichtert. Denn: „Die größte Angst ist, dass mich jemand anrempelt oder umstößt.“

Um dieses Risiko zu minimieren, habe er sich bewusst Köln für seinen Weltrekordversuch ausgesucht. Die Leute hier gelten als freundlich, weltoffen und sind schräge Aktionen gewöhnt, meint „Rubaz“, der aus Minden in Westfalen stammt. In der Tat: Immer wieder bleiben Passanten stehen, fragen nach und bieten Hilfe an. Auch die Polizei habe sich freundlich erkundigt, was er da mache.

Seine Eltern fragen sich das übrigens auch. „Die sind nicht so überzeugt von dem, was ich mache“, sagt „Rubaz“, grinst und verlagert einmal mehr das Gewicht aufs andere Bein. 2019 nach dem Abi habe er erst mal ein paar Reisen unternommen, dann sei Corona gekommen und die Idee, es hauptberuflich als Influencer im Netz zu versuchen. Seine Fangemeinde wuchs mit Aktionen wie „Per Anhalter von Deutschland nach Armenien“ oder „12 Tage ohne Geld und Unterkunft durch Deutschland“. Was man dafür in erster Linie braucht? „Handy und Powerbanks“, so „Rubaz“. Das sei für Live-Streamer wichtiger als etwa eine Zahnbürste – die habe er sich im Laufe der Reise durchs Pfandflaschensammeln finanziert.

Die vielen Gespräche, auch mit den Usern im Live-Stream, scheinen dem Stillsteher zu helfen: Sie lenken ab, auch von der Müdigkeit und lassen die Zeit schneller vergehen – aber nur scheinbar: „Da hinten ist schon der Sonnenuntergang“, meint „Rubaz“ erfreut. Da ist es allerdings erst 17.20 Uhr. Erst Donnerstagmorgen, gegen 8.45 Uhr, hätte er 39 Stunden geschafft und dürfte sich von der Stelle bewegen. „Rubaz“ weiß, dass es die härteste Nacht seines Lebens wird.