Gänsehaut statt Geld

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Für die Auftritte in der Session ist ein Jahr Training nötig.

Für die Auftritte in der Session ist ein Jahr Training nötig.

Köln - Der Motor läuft rund. „Ham mer se all drinne?“, schallt es durch den Mittelgang. Alle - das sind die 38 Mitglieder der Tanzgruppe Rheinveilchen aus Bocklemünd, die sich in dem großen Bus mit der blau-weißen Aufschrift „Kölner Rheinveilchen e.V.“ auf der Heckscheibe auf den Weg machen zu einem ihrer zahlreichen Auftritte. In den acht Wochen vor Karneval ist die Truppe fast jeden Abend unterwegs, da kommen am Wochenende schnell 18 Auftritte zusammen. „Das ist schon wie Leistungssport, wir arbeiten das ganze Jahr über an uns, um dafür fit zu sein“, sagt Christoph Wulf, der für die Öffentlichkeitsarbeit im Verein zuständig ist.

Außerhalb der Session bedeutet das dreimal pro Woche bis zu drei Stunden Training. Zweimal findet das Tanztraining statt, freitags gibt es extra Wurftraining. Dafür nutzen die Rheinveilchen einen Tanzsaal des TTC Rot-Gold Köln. In der Karnevalszeit findet kein Training statt, weil die Belastung durch die Auftritte schon hoch genug ist.

Heute stehen zwei Mädchensitzungen in Düren und eine in Bad Godesberg auf dem Programm. Während der Fahrt untermalt kölsche Musik leise die Gespräche, wild durcheinander sitzen und stehen die Tänzerinnen und Tänzer im Bus. Der Geruch von Arnika liegt in der Luft, die Tinktur wird zur Vorbeugung von Muskelkater und Gelenkreizungen auf Arme und Beine gerieben. Doch in dem hektischen Getümmel schimmert auch gelassene Routine durch. „Wenn wir weitere Strecken fahren müssen, machen wir uns gemeinsam im Bus für den Auftritt fertig“, erklärt Wulf. So werden in den Sitzreihen gegenseitig Zöpfe geflochten und mit weißen Schleifen befestigt. Die Mädchen schminken sich an kleinen, an den Rücksitzen festgeklemmten Spiegeln. Ganz hinten in blauem Rüschenhöschen und mit weißen Stulpen an den Beinen sitzt Kerstin Albers, die meist nur „Marie“ genannt wird. Denn die 27-Jährige ist seit drei Jahren die erste Marie bei den Rheinveilchen. Mit Gottfried Löhr (51), dem ersten Tanzoffizier, bildet sie das erste Tanzpaar.

Die erste Station ist erreicht. Kaum hat der Bus gehalten, stürmt die Gruppe in Richtung Festhalle. Blitzschnell verwandelt sich der Vorraum des Saals in blauweißes Revier und wird zur Aufwärmhalle. Hier ein Spagat, da eine Kniebeuge, die Männer stemmen die Mädchen hoch. Dann geht es in den Saal.

Unter Beifall erklimmen sie die Bühne und nehmen dort ihre Positionen ein. Die Kostüme der Gruppe fügen sich dabei harmonisch in das Gesamtbild der Saaldekoration ein: Blau-Weiß, wohin das Auge schaut.

Vier Tänze, bestehend aus Tanz und Akrobatik, haben die Rheinveilchen im Programm. So spielt neben Blau-Weiß auch „Rut un Wiess“ eine Rolle. Nach dem langsamen Walzer zum Lied der Höhner beschließt der 51-jährige Löhr, er „müsste noch mal 20 sein“, und so werden die Mariechen zu den schnelleren Rhythmen von Brings durch die Lüfte geworfen.

Damit die verschiedenen Sprünge und Tänze auch synchron ablaufen, koordiniert Kommandant Heico Hamacher das ganze Geschehen durch Zurufe. „Mit Beginn der Auftrittszeit übernehme ich das Kommando in der Gruppe“, sagt er.

Nach dem Auftritt packen sich die Rheinveilchen direkt in ihre dicken Vereinsjacken und laufen zurück zum Bus. Mittlerweile hat es angefangen zu schneien. Warm anziehen ist daher wichtig. „Die Auftritte sind sehr anstrengend und schweißtreibend. Da wird man schnell krank“, erklärt Wulf. Der Schnee gefährdet aber nicht nur die Gesundheit, sondern auch den eng bemessenen Zeitplan. Obwohl sie rechtzeitig bei der nächsten Veranstaltung ankommen, heißt es erst einmal warten. Mit zehnminütiger Verspätung geht es in den Saal. „Kölsche Samba“ eröffnet den Auftritt, die Rheinveilchen zeigen wieder, was sie von Löhr gelernt haben. Der ehemalige Balletttänzer ist für alle Choreografien zuständig.

Die Festgesellschaft schunkelt, klatscht und singt eifrig mit, während die Mädels durch die Luft gewirbelt werden, mal flach wie ein Brett, mal mit gespreizten Beinen, aber stets angepasst an die Örtlichkeit. „Ich schätze die Höhe der Decke ab und gebe dann ein Zeichen, wie viele mich hochwerfen sollen“, erklärt Kerstin Albers. Ist die Decke hoch genug, können das schon einmal sieben Meter werden. Um die Belastungen beim Fangen der Mariechen zu reduzieren, bandagieren sich einige der Tänzer die Handgelenke. Zusätzlich besuchen viele auch ein Fitnessstudio und machen Hanteltraining, denn das einhändige Halten ihrer Partnerinnen erfordert neben Koordination viel Kraft.

Obwohl die Gruppe für ihre Auftritte bezahlt wird, bekommen die Tänzer nichts. Von dem Geld werden die Kosten für Kostüme, Mieten der Tanzsäle und des Busses gedeckt. Die Tänzer werden anders entlohnt. „Der Applaus der Leute ist ein unglaublich erhebendes Gefühl“, sagt Gottfried Löhr. „Das ist Gänsehaut pur“, bestätigt Kerstin Albers mit leuchtenden Augen. Sie ist sich deshalb auch sicher, dass schon am nächsten Abend wieder alle „drinne“ sein werden, wenn der Busfahrer den Motor anlässt.

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