Gottfried BöhmEine lebendige Stadt im Kleinen

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Das Rathaus in Bensberg zählt zum Kernbestand großer deutscher Architektur des 20. Jahrhunderts. (Bild: Roland U. Neumann)

Das Rathaus in Bensberg zählt zum Kernbestand großer deutscher Architektur des 20. Jahrhunderts. (Bild: Roland U. Neumann)

Bergisch Gladbach – Es ist nicht mehr als ein Dorf im Wald. Doch es ist ein Dorf, das Wärme ausstrahlt und Geborgenheit. Ein Dorf, das ein Zentrum hat, eine Mitte. Es ist nicht gewachsen, aber aus einem Guss. Es ist ein Dorf, dem man sein Alter nicht ansieht: Das Kinderdorf Bethanien, gelegen am Rand des Königsforstes im Süden des Stadtteils Refrath, ist bald 44 Jahre alt - und doch wirkt es zeitlos in seiner organischen Form, mit seinen Wohnhäusern aus roten Ziegeln, die sich in zwei Kreisen um die skulpturale Betonkirche gruppieren. Es war der Kölner Architekt Gottfried Böhm, der hier von 1965 bis 1967 bereits seinen dritten großen Bau in Bergisch Gladbach errichtete. Und es sollte nicht der letzte bleiben - insgesamt vier Werke des hochdekorierten Baumeisters, der vor wenigen Tagen seinen 91. Geburtstag feierte, finden sich auf Bergisch Gladbacher Stadtgebiet: neben dem Kinderdorf auch die Herz-Jesu-Kirche in Schildgen, das Rathaus in Bensberg und das Bürgerhaus „Bergischer Löwe“ in der Stadtmitte.

Sie haben stets polarisiert, sie gefallen bis heute noch lange nicht jedem. Doch gehört vor allem das Rathaus in Bensberg ohne Zweifel zum Kernbestand großer deutscher Architektur des 20. Jahrhunderts - und es gibt (neben Köln) wohl keine Kommune, die auf eine solche Zahl von Hauptwerken Böhms innerhalb der Stadtgrenzen blicken kann wie Bergisch Gladbach. Es begann 1959, als der Kölner Architekt, Sohn von Dominikus Böhm, der in den 30er Jahren bereits ein bekannter Kirchenbaumeister war, den Auftrag erhielt, in Schildgen ein Gotteshaus zu errichten. Geplant war auf großem Grundstück an der Altenberger-Dom-Straße zunächst eine eher traditionelle Organisation der Bauten an einem offenen Kirchplatz. Doch bald entschied er sich anders - und verwandelte den Gesamtbau in einen ummauerten Bezirk, umgeben von hohen Mauern, einer Festung ähnlich, der allerdings sechs unterschiedlich hohe, kegelförmige Türme eine orientalisch-heitere Anmutung verleihen.

Und die setzt sich im Inneren fort: Eine ganze Abfolge von Höfen führt schließlich zum großen Kirchensaal, der von schlanken, gusseisernen Pfeilern gestützt wird und der vor allem in dem durch ein Dachfenster belichteten Chorraum ebenfalls hell und heiter wirkt. Wie so oft an Böhms Bauten musste allerdings auch in Schildgen der ursprünglich rohe Beton der Kegeltürme durch eine Metall-Eindeckung geschützt werden, was den Gesamteindruck hier jedoch nicht entscheidend schmälerte. Gottfried Böhm erinnerte sich noch viele Jahre später, dass er weniger vom Orient zu den Aufbauten der Herz-Jesu-Kirche inspiriert worden sei als vielmehr von den „Sandburgen seiner Kinder“.

Eine Burg ist im Kern auch das Bensberger Rathaus geblieben, errichtet von 1962 bis 1971 auf dem Gelände der alten Bensberger Burg unter Einbeziehung der vorhandenen Burgreste, die mit einem halbkreisförmigen Bau aus Sichtbeton verbunden wurden. Zentrales Element am intimen Innenhof des Rathauses ist der vieleckige Treppenturm mit seiner zerklüfteten, skulpturalen Spitze, der die Bauform des ursprünglichen Bergfrieds zwar aufnimmt, aber sie so bewusst wie deutlich übertrumpft. Das mochte nicht jeder: Als die Gerüste fielen, war Bensbergs damaliger Bürgermeister Ulrich Müller-Frank „zu Tode erschrocken“, vermeldete seinerzeit sogar der „Spiegel“. Er habe sich an seine Kriegserlebnisse in Afrika erinnert gefühlt, so Müller-Frank: „Ich musste damals auf ein Minarett feuern. Das sah genau so aus wie unser Rathausturm.“

Der „Affenfelsen“, wie die Bensberger ihr neues Rathaus bald nannten, sollte Gottfried Böhm - zusammen mit seinem Hauptwerk, der Wallfahrtskirche in Neviges - 1986 die höchsten internationalen Ehren bringen: Als bislang einziger deutscher Architekt erhielt er den Pritzker-Preis, den Nobelpreis der Architektur. Seitdem steht der Kölner Architekt in einer Reihe mit Frank Gehry, Renzo Piano, Norman Foster, Jean Nouvel oder Peter Zumthor (mit dem er sich über dessen Einbeziehung seines Erstlingswerkes, der Kölner Kapelle „Madonna in den Trümmern“, in Zumthors Kolumba-Museum stritt).

Doch auch Böhms jüngster Bau in Bergisch Gladbach, das Bürgerhaus Bergischer Löwe, gelegen im Stadtzentrum am Konrad-Adenauer-Platz und 1980 eröffnet, ersetzte seinerseits einen historischen Altbau, nämlich den von Maria Zanders gestifteten Mariensaal aus dem Jahr 1904. Zwar verband Böhm auch hier alte mit neuer Bausubstanz, gestaltete aber große Teile wie den zentralen Saal und die Eingangsbereiche völlig neu. In seiner Farbigkeit mit den innen wie außen dominierenden Rottönen ist der Bergische Löwe zwar deutliches Kind seiner Zeit, nämlich der späten 70er Jahre. Und doch wirkt er - anders als so vieles aus dieser Zeit - auch heute noch nicht in die Jahre gekommen, sondern ist eine angemessene Repräsentations- und Theaterarchitektur geblieben.

Der Bergische Löwe ist das kulturelle Herz der Stadt. Und er ist, wie so viele Bauten von Gottfried Böhm, mit seiner kleinteiligen, verwinkelten Fassade, mit seinen Treppentürmen und Vordächern, eine lebendige Stadt im Kleinen - ähnlich wie im Kinderdorf draußen im Wald gelingt es ihm auch hier, im Zentrum Gladbachs, sein Werk zu öffnen, es sprechen zu lassen. Es ist Architektur, mit der man leben mag.

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