„Hart aber fair“„Einen Drogendealer kann man nicht mit Abstand kontrollieren“

Lesezeit 6 Minuten
Moderator_Plasberg

Moderator Frank Plasberg

Es ist wie eine Findungsphase. Noch ziemlich schwankend sucht die Gesellschaft ihre Position in der Corona-Krise, zwischen strengen Maßnahmen und ersten Lockerungen. Erste Maßnahmen wurden wieder gelockert, dafür gilt nun in fast ganz Deutschland (Schleswig-Holstein zieht als einziges Bundesland erst am Mittwoch nach) eine Maskenpflicht.

Wie kommen die Deutschen damit klar? Das wollte auch Frank Plasberg in seiner Sendung „hart aber fair“ am Montagabend wissen. „Das Virus und wir: Wie erleben Menschen unser Land in der Corona-Krise?“

Um das herauszufinden, waren unterschiedlichste Berufsgruppen in der räumlich natürlich entzerrten Runde dabei. Ein Polizist, ein Musiker, eine Professorin für Infektionskrankheiten, eine Supermarkt-Kassiererin, ein Soziologie-Professor, ein Kneipenbetreiber. Sie alle erzählten von den Corona-Auswirkungen auf ihr Leben.

Alles zum Thema Wolfgang Niedecken

„Wir wollen weniger über Zahlen sprechen. Nur eine einfache Frage stellen: Wie geht es Ihnen?“, leitet Plasberg die Sendung ein. So ist es weniger eine Diskussionsrunde, sondern mehr eine emotionale Bestandsaufnahme aus dem Leben der sechs Gäste.

Die Gäste des Abends

BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken befürchtet, dass die Krise viele Bands und Musiker hart treffen wird. Konzerte werde er leider lange Zeit nicht mehr geben können.

Soziologie-Professor Martin Schröder beobachtet, dass die Menschen aktuell wahrscheinlich solidarischer seien, warnt aber auch vor den Folgen, die Ängste um Jobverluste haben können.

Dr. Susanne Herold ist Professorin für Infektionskrankheiten der Lunge am Universitätsklinikum Gießen. Sie erforscht Coronaviren, auch das Sars-CoV2. Herold sorgt sich auch um Patienten, die nicht an Covid-19 erkrankt sind, sich aber momentan nicht mehr ins Krankenhaus trauen.

Die Supermarkt-Kassiererin – in Talk-Shows aktuell gefragt wie nie – der Runde ist Jolanta Schlippes. Sie freut sich über die jetzige Wertschätzung und darüber, dass die Kunden „sehr diszipliniert“ sind. Allerdings sei der Ton unter den Kunden auch rauer geworden.

Polizeioberkommissar Martin Feldmann fährt aktuell mit gemischten Gefühlen zum Dienst. Denn: Der Kontakt sei als Polizist nicht immer vermeidbar.

Im Einzelgespräch erzählt Helmut Köhnlein, Mitbetreiber der Kölner Kneipen „Gottes Grüne Wiese“ und „Pegel-Bar“, von seiner aktuellen Lage. Er steht „vor einem schwarzen Loch“, weiß nicht wann oder wie er wieder öffnen kann.

Und was macht der Chef der Runde?

Plasberg versucht, in kurzer Zeit Geschichten aus dem Leben der Gäste so detailreich wie möglich herauszukitzeln. Aus diesen Puzzleteilen setzt sich nachher ein aktuelles Bild der Lage zusammen, das sich einigermaßen sehen lassen kann. Der Moderator stellt aber auch klar, dass er derjenige ist, der die Puzzleteile ineinander setzt.

Als sich der Soziologe Schröder mit einer Frage direkt an die Professorin für Infektionskrankheiten Herold wendet, unterbricht Plasberg und stellt die Frage lieber selbst. So hält er am Ende alle Fäden in der Hand, die die Gäste untereinander allerdings kaum verbinden.

Was macht Corona mit Ihrem Beruf?

Für Supermarkt-Kassiererin Jolanta Schlippes hat sich allein am Tag der Sendung einiges verändert. Die Maskenpflicht ist in Kraft getreten. „Man muss mehr und lauter erzählen, es ist anstrengend.“ Bei der Bewegung durch den Laden müsse sie momentan ein Navi einschalten, um Kunden zu umkurven.

Alles dauere etwas länger. Generell seien die Kunden alle sehr diszipliniert, der Großteil halte sich an die Regelungen. Doch der Ton untereinander, gerade bei Verstößen gegen diese Regelungen, werde rauer.

Polizist Martin Feldmann bekommt aktuell mehr zu tun. „Ich habe das Gefühl, so langsam versuchen die Leute, sich immer mehr rauszunehmen.“ Es gehe immer mehr hin zu einer inneren Unruhe. „Das kriegen wir als Exekutive zu spüren. Mittlerweile wird viel mehr diskutiert.“ Und Abstand halten können Polizisten natürlich auch nicht immer.

Das könnte Sie auch interessieren:

Beinahe lückenlos ist aktuell der Zeitplan von Dr. Susanne Herold. Die Professorin für Infektionskrankheiten der Lunge forscht schon lange an Coronaviren, in der aktuellen Lage ist an Freizeit nicht zu denken. Plasberg hakt nach, was Herold antreibe.

Es sei das Forschungsinteresse an Coronaviren, vor allem aber der Wille, alle Patienten adäquat behandeln zu können. Auch die, die nicht an Covid-19, sondern etwas anderem erkrankt sind. Genehmigungen und Studien gibt es aktuell schneller, das sei natürlich auch eine „tolle Erfahrung“, gibt Herold zu.

Dass sie und ihre Kolleginnen und Kollegen, die Virologen, aktuell so viel Präsenz in der Öffentlichkeit bekommen, findet sie gut. Gleichzeitig wirbt Herold aber auch für Verständnis dafür, dass sich Erkenntnisse auch ändern können.

BAP-Sänger Wolfgang Niedecken hört diesen Schilderungen „mit Gefühlen der Dankbarkeit“ zu. Man spüre, dass man ein kleines Rädchen ist. Das seien ganz viele Leute: Busfahrer, Apotheker, Altenpfleger.

Langfristig müsse man sich dann auch um eine ordentliche Bezahlung kümmern. Für Soziologe Schröder „langfristig wahrscheinlich gar nicht mal so einfach.“ Niedecken denkt aber natürlich auch an seine Künstlerkolleginnen und -kollegen: Die Planungssicherheit, seufzt er, sei gleich null.

Wie groß ist Ihre Angst, sich anzustecken?

Schlippes denkt gar nicht über die Gefahr einer Infektion nach. Für sie sei es selbstverständlich, „dass ich weiter offen bin den Menschen gegenüber.“ Was sie aber schmerzt, ist der Abstand zu ihrem 25-jährigen Sohn. Ihn nicht drücken zu können.

Gar nur per Video hat der Berliner Polizist Feldmann aktuell Kontakt zu seiner fast vierjährigen Tochter in Thüringen. Das könne natürlich nichts ersetzen, „die kleine Maus“ wolle natürlich auch mit Papa spielen. Die Augen werden dabei etwas glasig.

Doch aus Sicherheit werde das erst mal nichts. Schließlich kann er als Polizist gar nicht den Sicherheitsabstand einhalten. „Ein komisches Bauchgefühl bringt es mit sich.“ „Wie kontrolliert man denn einen Dorgendealer mit 1,50 Meter Abstand?“, fragt Plasberg. Feldmann antwortet: „Wir wissen alle, dass das nicht geht.“

Soziologe Schröder hat keine Angst, sich anzustecken. Ein gewisses Risiko gebe es immer. Auch Professorin Herold sieht das Risiko gelassen. „Ich befasse mich seit 15 Jahren mit Atemwegsviren, das nimmt dem Ganzen irgendwie seinen Schrecken. Es kann natürlich sein, dass ich mich anstecke. Aber wir wissen, dass es ganz viele milde Verläufe gibt.“ Diese Worte aus dem Mund einer Professorin für Infektionskrankheiten der Lunge zu hören, beruhigt.

Wie steht es um Ihre wirtschaftliche Lage?

Die Runde sieht ihre wirtschaftliche Lage gesichert, anders ist es bei Helmut Köhnlein. Seine beiden Kölner Kneipen sind seit zwei Monaten geschlossen, der Umsatz sei gleich null.

Privat komme er über die Runden, ein Kredit ist jedoch ausgesetzt, den Antrag auf Grundsicherung werde er nun ausfüllen. Eine Spendenaktion für seine Kneipen sei „emotional total wichtig“, sogar Leute, die nun in Afrika wohnen, hätten gespendet.

Aber der dadurch gewonnene finanzielle Puffer ebbe nach einer Weile natürlich ab. Eine Kneipe mit Mundschutz und Abstandsregeln hält Köhnlein für „ausgeschlossen“ und „undenkbar“. Ob er einen Plan B habe? „Noch keinen.“

Wie hat sich die gesellschaftliche Grundstimmung verändert?

Schlippes, beobachtet, dass die Supermarktkunden unsicher seien, „sie haben Angst.“ Sie versucht jedoch, dagegen zu steuern. „Ich bin ein Gute-Laune-Junkie, liebe Humor und Spaß. Ich versuche, das zu verbreiten.“

Soziologe Schröder merkt an, dass die Lage die Menschen sicherlich nerve, allerdings auch ein Gewöhnungseffekt eintreten könnte. Daten dazu gebe es allerdings erst im September.

Was wir gelernt haben

Das Schlussfazit fällt kurz aus. Was seine Gäste in den vergangenen Wochen gelernt hätten, will Plasberg wissen. Dien Antworten reichen von der Bedeutung von Freunden, Demut, und der erfreuliche Tatsache, dass vieles auch mit Einschränkungen funktioniere, bis hin zu der Erkenntnis, dass man doch „ein gutes Leben“ habe.

Es ist ein versöhnlicher und durchaus positiver Abschluss einer Runde, die in den 75 Minuten zuvor die überwiegend negative und ernste Lage in Puzzleteilen zu einem Bild zusammengefügt hatte.

KStA abonnieren