„Hermännchen“ auf Rundkurs

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Nicht nur dem Motorsport, sondern auch dem Leben in der Nachkriegszeit widmet sich das Buch „Motorradrennen im Rheinland“ von Heinrich Effertz aus Odenthal.

Zehn Jahre lang hat Heinrich Effertz geforscht: Er befragte mehr als 200 Zeitzeugen, trug unzählige Fotos zusammen und verbrachte Wochen in Archiven. Jetzt veröffentlichte der Motorsportfan aus Odenthal seine Ergebnisse in einem Buch. Auf rund 190 Seiten beschreibt er die Geschichte des Motorsports in der Nachkriegszeit, die gleichzeitig dessen Blütezeit war.

Alphabetisch nach Ortschaften geordnet, enthält das Buch auch ausführliche Kapitel aus Leichlingen und Leverkusen. Der MSC Leichlingen hat mit seinen internationalen Moto-Cross-Läufen auf dem „Erbslöh-Geländekurs“ am Schulbusch Motorsportgeschichte geschrieben und die Stadt in den 50er Jahren zu einer der Cross-Hochburgen Westdeutschlands gemacht. Abgebildet sind ein Streckenplan der noch heute im Wald erkennbaren Buckelpiste mit Steilhang sowie Fotos aus dem Fahrerlager auf Cremers Weiden. Effertz erinnert an die Lokalmatadoren Fritz Rossky, Klaus Kämper und den Deutschen Meister Willi Braun, an Siege auf Panther, Puch und NSU-Fox und an Hans Weber aus Opladen, der auf einem Vespa-Roller an den Start ging.

In Leverkusen war Zweiradhändler Jakob Esser Motor des Rennens „Um das Bayerkreuz“ in Schlebusch. Start und Ziel lagen auf der damaligen Zuccalmagliostraße (heute Opladener Straße) nahe der Gezelinkapelle. Beim ersten Rennen 1948 waren selbst umgebaute Motorfahrräder mit 98-Kubik-Motörchen im Pulk, so genannte „Hermännchen“. Zu den ersten Startern gehörten Willi Bergmeister aus Reusrath sowie die Leverkusener Willi Theisen, Erich Kiefer und Heinz Kruse. 40 000 Zuschauer feuerten sie an.

In den größeren Hubraum-Klassen waren auch Puch-Pilot Hans Hoetzer aus Burscheid und Bäckermeister Paul Henkels aus Metzholz im Feld. Henkels nutzte ein stillgelegtes Autobahnstück zwischen Fixheide und Burscheid als Teststrecke für seine frisierte Triumph. 1949 war Rolf Goetze aus Burscheid Rennsekretär in Schlebusch - er sammelte später im Rennboot Weltrekorde. Die Leverkusener Gespannfahrer Heinz Thevissen und Bruno Ziemer fehlen in Effertz' Erinnerungen ebenso wenig wie Huschke von Hanstein, der auf der Gezelin-Allee einst im Condor-Kleinstrennwagen unterwegs war. 1953 wurde das Leverkusener Rennen auf die Südschleife des Nürburgrings verlegt.

„Vom Lastesel zum Fluggerät“ heißt der Untertitel des Buches, das auch ein Bildband und „Sozialgeschichte pur“ ist, so der Autor. Motorräder wurden täglich als Transportmittel eingesetzt, bei Rennen erprobten die Fahrer dann, was sie sonst noch so alles mit ihren Maschinen anstellen konnten. Daher vermag es auch Laien zu fesseln.

Leser erhalten zum Beispiel Einblicke in die Verkehrssituation nach dem Krieg: Wie gelangten Besucher zum Rennen, wenn Benzin rationiert und sonntägliches Autofahren verboten war? Und: Was zog ein Fahrer beim Rennen vor 50 Jahren an? „Man war arm“, sagt Effertz, „Spezialisten hatten Lederbekleidung, noch aus der Zeit von vor dem Krieg.“ Er erinnert sich an einen Fahrer, der zum Motocross kurze Lederhosen anzog: „Die Beine konnte er hinterher abwaschen. Und ein paar Brandblasen machten nichts.“ Sturzhelme waren bis Mitte der 50er Jahre unerschwinglich und im Straßenverkehr unüblich: „Wer da mit Schutzhelm fuhr, wurde für verrückt gehalten.“

Um die Ehre gefahren

„Das Buch widmet sich dem Motorsport des kleinen Mannes“, erklärt Effertz. Damals wurde um die Ehre gefahren, dabei sein zu dürfen: „Geld spielte überhaupt keine Rolle, denn keiner hatte was. Auf der Rennstrecke trafen alle zusammen, ob Rechtsanwalt oder Hilfsarbeiter.“ Und nicht nur Männer, auch viele Frauen waren im Motorsport aktiv.

Effertz' Buch deckt eine Region zwischen Aachen und dem hessischen Battenberg, zwischen Kamp-Lintfort und Reil an der Mosel ab. Dem langen Personenregister mangelt es an Seitenverweisen. Im Anhang sind dafür alle Arten des Motorsports vom Aschenbahnrennen bis zur Zuverlässigkeitsfahrt erklärt.

Motorradrennen im Rheinland 1945-1960 , Heinrich Effertz, Johann Kleine Vennekate Verlag, 29 Euro, ISBN 3-935517-08-4.

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