„Poppe, kaate, danze“ - der Karneval als Ganzjahresparty

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Nicht nur an buchstäblich anstößigen Oberweiten entzündet sich die Diskussion, was im Karneval erlaubt ist. In der laufenden Session sind Liedtexte von „Brings“ und den „Höhnern“ in die Kritik geraten.

Nicht nur an buchstäblich anstößigen Oberweiten entzündet sich die Diskussion, was im Karneval erlaubt ist. In der laufenden Session sind Liedtexte von „Brings“ und den „Höhnern“ in die Kritik geraten.

Machen wir uns nichts vor: Die wenigsten Narrenfürsten genießen Narrenfreiheit. Die Gesetze der „political correctness“ haben Prinz Karneval und seinen Hofstaat längst eingeholt. Ein diffamierender Witz, ein falsches Wort gegen Minderheiten, ein öffentliches Besäufnis - und die Session ist für die Herren gelaufen.

Narrenfeste in den Hochburgen sind heute alles andere als närrische Gegenwelten. Die reale Gesellschaft in Köln definiert sich vielfach erst durch und über den Karneval. Bei Festakten in der Stadt steht der Festkomiteepräsident ebenso auf der Liste der Ehrengäste wie der Kardinal. Moralische Wächterfunktionen nehmen beide ein. Der eine von Amts wegen; der andere, der Jecken-Chef, weil er um die Gefahren seines Festes weiß - ein Fest, das auf leicht zugängliche Weise Sehnsüchte stillt. Das aber auch ins Destruktive umkippen kann. Freudige Ausgelassenheit schlägt um in Pöbelei, das Spiel mit der Erotik verkommt zur Anmache, die Sehnsucht nach Nähe wird zur Grapscherei. Rauschhafte Grenzerfahrungen können im Suff landen. Selters-Trinker Hans-Horst Engels, Komiteepräsident in Köln, weiß, warum er Aktionen für einen alkoholfreien Jugendkarneval unterstützt („Keine Kurzen für die Kurzen“) und die Prinzenequipe an ihre Vorbildrolle erinnert.

Es ist eine Frage der Dosis, ob wir Karneval als das Fest erfüllten Sehnens oder der herunterziehenden Sucht erleben. Schön und gut. Doch was schert das die Narren? Narren reflektieren nicht. Sie leben den Augenblick aus dem Bauch heraus - gerne auch eine Zone tiefer. So war das jedenfalls im Mittelalter. Narren fraßen, soffen, hurten. „Poppe, kaate, danze“, hätte die Gruppe Brings dazu singen können. Und das mit Billigung der Kirche. Nicht, weil die das gut fand. Sondern weil sie anerkennen musste, dass Gottes Geschöpfe so sind. Das heißt, so können Menschen sein, wenn die Triebe das Sagen haben. An den tollen Tagen („toll“ hieß „verrückt“, quasi ein psychiatrischer Begriff) zeigten sie reichlich von dem, was auch in ihnen steckte. Das war lustvoll. Aber das ängstigte auch. Damit war kein Staat, kein Gemeinschaftsleben zu machen. Also hieß es umkehren. Die jecke Zeit war nur durch die Akzeptanz des Aschermittwochs zu ertragen. Narrheit wurde demonstriert, um sie zu überwinden.

Vor diesem Hintergrund wäre das Brings-Lied vom poppenden Kaateklopper und der Höhner-Text vom kiffenden Opa moraltheologisch korrekt. Allein, wir leben nicht im Mittelalter. Vor allem gilt der Aschermittwoch den wenigsten noch als Tabugrenze. Im Sommer singt man nicht nur die Lieder des Karnevals, man lebt auch seine Inhalte. Wenn aus dem „Fest der verkehrten Welt“ die „Ganzjahresparty“ wird, verlieren die Tabubrüche ihren Spielcharakter. Dann wird das Deftige obszön, der Genuss zur Sucht.

Karnevalsfunktionäre dürfen schon lange keine Narren mehr sein. Vielleicht ist ihre allergische Reaktion auf die aktuellen Sessionstexte auch Ausdruck ihres Gewahrwerdens, dass sie im medialen Scheinwerferlicht das Narrenzepter gegen die Moralkeule eintauschen mussten. Dass sie im Gerangel um Eitelkeiten und Millionen ihre närrische Unbekümmertheit verloren haben.

„Laach doch ens, et weed widder wäde“, möchte man dem Narrenfürsten das Sessionsmotto zurufen. Doch was würde passieren, wenn er Sex-, Hasch- und Sauf-Orgien nicht kommentierte? Soll er nur lachen, wenn Brings in der „Superjeilezick“ auffordert, „Mach noch ens die Tüt an“? Die Moralisch-Korrekten würden ihm einen heißen Februar machen.

Bevor sie sich die Moraltüten um die Ohren hauen, sollten die scheinbar Unversöhnlichen überlegen, ob es letztlich nicht auch eine Frage der Dimension ist; eine Polarisierung, die erst greift, seit der Karneval seine Privatheit, seinen Amateurstatus verloren hat. Wenn sie unter sich sind, werden sie - hoffentlich - weiter singen. Etwa das Lied vom „Prinz vun Krahnebäume“, der ein „Freund von Vögeln“ ist; sie werden kornblumenblaue Zustände besingen und „Kölsch, Kölsch, Kölsch“ begehren.

Bier und Wein provozieren nicht so heftige Gegenwehr wie andere Drogen. Wieso hat sich Alkohol in unserer Akzeptanz so etabliert wie im Reklamebild der Städte? Wenn unsere Sehnsucht nach dem Rausch nicht eliminiert werden kann, dann gehört es zu den Kulturleistungen, sie zu ritualisieren. Der Karneval kann das aus eigenen Kräften. Das verlangt bei allem Spaß etwas Arbeit, Charakterarbeit. In Worte gefasst hat das - wer sonst? - Goethe: „Löblich ist ein tolles Streben, wenn es kurz ist und mit Sinn“, heißt es in dem Gedicht „Der Cölner Mummenschanz“ (1825). „Dass noch Heiterkeit im Leben / gibt besonnenem Rausch Gewinn.“ Der besonnene, der „kurze Rausch“, wie es in der Erstfassung noch hieß, ist nicht der schnelle Joint. Es geht um das Bewusstsein von Maß und Zeit aller rauschhaften Vergnügungen. Es geht um die Dosis. Die bestimmt das Publikum.

Doch die Musikgruppen können Dosierungshilfen geben. Die Art ihrer Präsentation entscheidet mit darüber, ob Parodien als solche verstanden werden. Ob das Augenzwinkern ihrer Texte wahrgenommen oder zugegrölt wird. Und wer es nicht mit Goethe hat, der kann es schnörkelloser mit den Roten Funken halten. Im Fahneneid geloben sie: „Well su vill suffe als der Mage / ohn' Biesterei kann god verdrage.“ Prosit!

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