PubertätAuch Eltern müssen respektvoll sein

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Karl, 17 Jahre: „Wenn ein Kind mit Freiheitenumgehen kann, dann solltees welche bekommen.Wenn nicht, dann nicht.“ (Bild: Grönert)

Karl, 17 Jahre: „Wenn ein Kind mit Freiheitenumgehen kann, dann solltees welche bekommen.Wenn nicht, dann nicht.“ (Bild: Grönert)

„Jugend siehe Alter“ hieß es 1896 in Meyers Konversationslexikon. Im Mittelalter gab es keine Jugendzeit in heutigem Sinne. Es ging nahtlos von der Kindheit in die Erwachsenenzeit über. Heute weiß jedes Grundschulkind, dass es die Pubertät gibt und dass sie für manche hoch vermintes Gelände ist. Eltern nicken sich verständig, manchmal mitleidvoll zu. „Mein Kind ist in der Pubertät“ scheint schicksalhaft. Ein Pubertierender, das ist mehr als ein Jugendlicher auf dem Weg zum Erwachsen werden, das ist jemand, den man mit Samthandschuhen anfassen muss. Oder mit „starker Hand“. Nur: Was ist gerade das Richtige?

Pubertät heute, das ist mehr als neue Verkabelungen im Gehirn und vermehrte Hormonproduktion. Pubertät heute, das beginnt manchmal bereits mit 10 Jahren, geht weiter mit G8 und endet mit modernen Rätseln: Was passiert im Chat? Welches Video läuft auf dem Handy? Nimmt meine Tochter die Pille? Pubertät ist heute definitiv anders als zu der Zeit, als die Eltern sie selbst durchlebt haben.

In unserer Serie geht es aber vor allem um die Herausforderungen, denen Eltern heute gegenüberstehen - in einer Gesellschaft, deren Werte sich gewandelt haben und in der wie nie zuvor das Heranwachsen von neuen Medien geprägt wird.

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Es geht um: Respekt

Lisa telefoniert. Ihre Mutter findet, dass es Zeit ist, ins Bett zu gehen: „Lisa, würdest du bitte auflegen?“ Keine Reaktion. „Lisa leg bitte jetzt auf und geh ins Bett. „Ja, gleich“, kommt die etwas gereizte Antwort. Nach fünf Minuten ist nichts passiert. Die Mutter ermahnt Lisa noch einmal „Lisa, leg jetzt bitte auf“, da schießt es genervt aus der Tochter heraus: „Jetzt halt doch mal die Klappe, du alte Schlampe“. Zisch. Das war die Zündung für Mamas Wortsalve: „Bist du bescheuert? Was bildest du dir ein? Du telefonierst überhaupt nicht mehr!“ Und so kann das Wortgefecht weitergehen, bis Türen knallen, Fetzen fliegen, Verletzungen ausgetauscht sind. Eine andere Möglichkeit: Die Mutter sagt gar nichts. Sie zieht sich vielleicht gekränkt zurück und spricht nicht mehr mit ihrer Tochter. Solche oder ähnliche Szenen schildern Eltern manchmal in meinen Elterngruppen. Es gab Zeiten, zu denen es anders zuging: „Du sollst deine Eltern ehren - und zwar bedingungslos“ war die Parole. Dass von Kindern blinder Gehorsam und Ehrerbietung gefordert wurde - egal, wie ungerecht die Eltern waren - gehört nicht mehr zum normalen Erziehungsstil heutiger Eltern. Und auch die Prügelstrafe ist kein gängiges Erziehungsmittel mehr. Zum Glück! Nur - was jetzt?

Zwei andere Situationen: Die Mutter hat Freundinnen eingeladen. Das Gespräch geht über die Kinder. „Poh, meine Tochter ist voll in der Pubertät“, hört Lisa ihre Mutter aus der Küche posaunen. „Die führt einen Tanz auf, wenn etwas nicht nach ihrer Nase geht“. Lisa zuckt zusammen. Peter hat seinen Ranzen im Wohnzimmer abgelegt. Sein Vater kommt von der Arbeit nach Hause und stolpert darüber. „Peter, verdammt noch mal, du bist echt blöd“, tönt es aus seinem Mund.

Respektloses Verhalten finden wir also nicht nur bei Heranwachsenden. Nicht selten sind es gerade die Eltern, die sich herablassend oder auch aggressiv benehmen - und es oft nicht merken. Es gibt grobe, aber auch sehr subtile Arten von Respektlosigkeiten: Nicht immer wird der andere direkt beleidigt. Stattdessen wird runtergemacht, was er gern mag: die Lieblingsmusik, die Freunde, die Kleidung, die Art, zu sein. Manchmal ist es auch nur ein missbilligender Ton, der verletzt, oder eine abfällige Geste. Respektlosigkeiten können überall lauern. Manche sind vielleicht schon so eingeschliffen, dass wir uns ihrer gar nicht mehr bewusst sind. Dennoch prägen sie die Atmosphäre.

Respektlosigkeiten sind Kult

Respekt hat viele Facetten. Kabarettisten sagten früher Respektlosigkeiten über die Obrigkeiten: „Um denen da oben mal Bescheid zu sagen“. Heute gibt es Dieter Bohlen, Heidi Klum oder Stefan Raab, die wehrlose Gäste vor einem Millionenpublikum runterputzen. Respektlosigkeiten sind Kult in Fernsehshows. Aber auch Lehrer werden gemobbt, Schüler gedisst - all das scheint cool.

Die Pubertät ist die Zeit, in der Jugendliche „gucken, was geht“. Sie probieren aus und für Eltern ist es manchmal die größte Kunst, sich nicht gekränkt oder resigniert aus der Beziehung zu den Jugendlichen zu verabschieden, sich aber auch nicht in den Strudel der Beschimpfungen, Verletzungen, Beleidigungen mit hinein ziehen zu lassen. „Das ist aber echt schwer“, sagen viele Eltern, wenn sie hören: „Seien Sie nicht persönlich gekränkt“. Wie soll das gehen? Ja, das ist schwer. Es ist das Schwerste überhaupt. Und dann soll man auch noch stehen bleiben, nicht weggehen und ganz klar erwidern: „So nicht. Wir können über alles reden, aber nicht in dem Ton.“

Gegenseitiger Respekt

Kinder und Jugendliche können Eltern ihre Sorgen nur erzählen, wenn sie respektvoll behandelt, nicht ausgelacht und nicht mit abfälligen Äußerungen bedacht werden. Eltern können Respekt vorleben, indem sie sich untereinander wertschätzen. Ein Satz des Vaters wie: „Dafür ist die Mama zu blöd“, eignet sich dafür nicht so gut. Kinder registrieren genau, wie sich Eltern in ihrem sozialen Umfeld verhalten. Beschimpfen sie andere Autofahrer, lästern sie hinter dem Rücken ihrer Freunde oder suchen sie ständig Streit mit den Nachbarn? Eltern sind das erste und wichtigste Modell - noch vor den Fernsehshows. Wenn sie den Kindern gegenüber respektvoll sind, sie ernst nehmen, sie nicht abwerten oder über die erste Verliebtheit lachen, zeigen sie, wie Respekt funktionieren kann. Respekt ist an Kleinigkeiten in der Sprache sichtbar: Es ist ein Riesenunterschied, ob Eltern sagen: „Du bist blöd“ oder ob sie sagen: „Das ist blöd, was du da machst“. Im ersten Fall verurteilen sie die ganze Person, im zweiten nur diese eine Sache, die das Kind oder der Jugendliche manchmal an den Tag legt. Die Persönlichkeit an sich wird nicht in Frage gestellt.

Trotzdem ist Ausflippen erlaubt. Auch auf Seiten der Eltern. Laut zu werden ist nicht gleichbedeutend mit respektlosem Verhalten. Ein Satz wie: „Ich bin total sauer darüber, dass du dich so aufführst“ ist nicht respektlos, macht aber deutlich, dass Eltern nicht darüber hinweghören, wenn sie als „dummes Schwein“ beschimpft werden. Im Beispiel des „Schweins“ oder der oben erwähnten „Schlampe“ gibt s nur eins - deutlich zu machen: So reden wir nicht miteinander. Und wenn einem als Eltern doch Herabwürdigungen gegenüber den Kindern herausrutschen, dann gibt es eine einfache Wiedergutmachung: sich zu entschuldigen.

Eine schöne Geschichte hat die amerikanische Schriftstellerin Erma Bombeck geschrieben: Sie stellt sich vor, Freunde zum Essen einzuladen und ihnen die Sätze zu sagen, die sie selbst aus ihrer Kindheit kennt: „Macht die Tür zu, habt ihr Säcke vor den Türen?“, „Sitz gerade“, „Ich habe nicht den ganzen Tag am Herd gestanden, damit du wie ein Spatz am Essen knabberst“ und so weiter. Ihr Fazit: „Behandle Freunde und Kinder gleich“. Also doch ein bisschen Ehre - gegenseitig.

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