Wo Moos wächst, da ist Westen

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Die Welt ist weitgehend erforscht. Satellitennavigationssysteme können jeden Punkt auf der Erde zentimetergenau bestimmen. Trotzdem gibt es Menschen, die ganz traditionell mit Kompass und Karte wandern möchten. Försterin Anna-Maria Kamp und Landschaftspfleger Thomas Funder von der Waldschule Schloss Heiligenhoven in Lindlarbieten für diese Menschen Wanderungen an, die die Teilnehmer mit Kompass und Karte durchs Bergische Land führen.

Kamp wohnt bei Loope etwas abgelegen im Wald. Immer wieder klingeln verirrte Wanderer und fragen nach dem Weg. „Einmal an Heiligabend klopfte ein Vater mit seinen zwei Söhnen um 18 Uhr abends bei uns. Die hatten sich völlig verlaufen in der Dunkelheit“, erzählt sie. Die fürsorgliche Försterin lud die drei kurzerhand ins Auto und brachte sie aus dem Wald.

Die 15 Naturfreunde, die sich am Seminartag in Loope einfanden, hatten sich nicht verirrt. Sie wollten gemeinsam mit Kamp und Funder das große Gebiet südlich des Ortes durchwandern und dabei lernen, wie man sich im Wald am besten orientiert. Gummistiefel an, Regenjacke zu und los ging's in den Wald, immer den beiden Tourleitern hinterher.

Nach einigen hundert Metern blieb Thomas Funder stehen und konzentrierte sich auf den Kompass. „Jetzt schauen wir mal, wo Norden ist“, sagte er und drehte so lange an dem kleinen Richtungsweiser, bis die rote Spitze der Nadel über dem „N“ für Norden stand. Der magnetische Nordpol war bestimmt. Allerdings weicht dieser jedes Jahr etwas vom geographischen Nordpol ab. „Das kommt durch Veränderungen am Magnetfeld der Erde, und dann wird jährlich der Grad der Abweichung bekannt gegeben“, erklärte Funder. Da der Unterschied aber nur gering ist, interessierte er die Gruppe nicht weiter.

Ein guter Kompass muss nicht teuer sein. Funder pries seinen Plastikkompass: „Für neun Euro gibt's den schon.“ Sogar Lupe und ein Lineal für die Entfernungsmessung auf der Karte sind eingearbeitet.

Nachdem die Richtung bestimmt war, folgte die nächste Aufgabe: Wandern nach Marschzahlen. Funder zeichnete auf der Karte eine Linie vom derzeitigen Standort zum nächsten Ziel und legte den Kompass an. So konnte er auf den eingezeichneten Graden am Rand des Kompasses die Marschzahl ablesen. „Wenn man die hat, kann man ganz einfach mit dem Kompass in der Hand in die gesuchte Richtung gehen und muss nicht immer die Karte aufschlagen“, erklärte der ausgebildete Ranger. Gerd Over aus Lindlar probierte es sofort aus - und es funktionierte. „Eigentlich wollte ich sicherheitshalber ein kleines Navigationsgerät vom Motorrad mitnehmen“, erzählte er. „Aber so geht's ja auch.“

Einige Waldfreunde zündeten sich nach überstandener Übung eine Zigarette an. „Wie wird die gelöscht?“ fragte Kamp sofort. „Immer eingraben, damit es nicht brennt“, kam die Antwort zurück. „Richtig“, sagte die umsichtige Försterin zufrieden.

Doch was machen, wenn man sich verläuft und keinen Kompass zur Hand hat? Einige Hilfen findet, wer in der Natur genau hinschaut. „Im Bergischen Land laufen alle Bäche Richtung Westen zum Rhein“, erläuterte Thomas Funder. Moose und Flechten an Bäumen wachsen überwiegend auf der Westseite, der Wetterseite in Deutschland. Bei klarem Himmel kann man sich tagsüber außerdem nach der Sonne richten. Der Stundenzeiger der Armbanduhr wird dafür auf die Sonne gerichtet. Der mittlere Punkt des Winkels, der sozwischen Stundenzeiger und Zwölf-Uhr-Marke entsteht, zeigt dann Richtung Süden.

Im Gespräch gab Försterin Anna-Maria Kamp weitere nützliche Tipps: Bei Gewitter soll man alle einzeln stehenden Bäume und Masten meiden. Indes ist die alte Weisheit „Buchen sollst du suchen, Eichen sollst du weichen“ wohl schon manchem unbedarften Wanderer zum Verhängnis geworden. Der Blitz macht vor beiden Bäumen nicht halt.

Bei der nächsten Übung war Ruhe gefragt. Erst ging es querfeldein zwischen den Bäumen hindurch. Dann mussten alle Teilnehmer mit verbundenen Augen an einem Seil entlang gehen. „Jetzt haben Sie alle die Orientierung verloren und können zeigen, was Sie schon gelernt haben. Wir gehen jetzt nach Marschzahl 70“, gab Kamp die Route vor, nachdem die Augenbinden abgenommen waren. Nach kurzer, fachmännischer Diskussion wurde der Kompass ausgerichtet, und die Gruppe arbeitete sich langsam durchs Unterholz.

Nach drei Stunden tauchten vor den Augen der Wanderer die zurückgelassenen Autos zwischen den Bäumen auf - sichere Zeichen der Zivilisation. Der gewählte Weg war also der richtige. Das Navigationsgerät können die Seminarteilnehmer in Zukunft wohl zu Hause lassen.

Das nächste Seminar zum Thema „Orientieren ohne Karte und Kompass“ findet am Sonntag, 11. Juni, statt. Es sind nur noch einige Restplätze frei. Die Termine für Seminare nach den Sommerferien stehen noch nicht fest. Informationen und Anmeldung unter 0 22 63 / 90 14 63.

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