CoronakriseSo erleben elf Menschen in NRW den neuen Alltag

Lesezeit 8 Minuten
Neuer Inhalt

Fast wie ausgestorben: Die Königsallee in Düsseldorf.

Über Hilfsangebote unter Nachbarn oder in den Sozialen Netzwerken wurde viel berichtet in den vergangenen Tagen. Solidarität und Zusammenhalt sind in diesen Tagen wichtiger denn je – aber bei allem, was passiert, ist es gut, auch auf die eigene Gesundheit und seelische Ausgeglichenheit zu achten. Sei es mit Sportangeboten für das Training zuhause (etwa, wie es die Stadt Köln anbietet), oder mit langen Telefonaten: Diese elf Frauen und Männer aus der Region berichten von ihrem Alltag.

Lange Telefonate

Anna Necki

Um meine Gesundheit bin ich sehr besorgt. Nicht vorrangig wegen einer möglichen Ansteckung – ich bin kaum draußen und treffe niemanden aus meinem Freundeskreis. Aber ich bin herzkrank und in der aktuellen Krise sind meine Medikamente tagelang nicht lieferbar gewesen, das macht mir Angst. Natürlich vermisse ich Begegnungen mit nahe stehenden Menschen. Als Tango-Tänzerin und Lehrerin bin ich sonst viel unterwegs. Jetzt ziehen sich alle ins Private zurück. Das ist für Alleinstehende schwer auszuhalten. Zum Glück hab ich Freunde, mit denen ich lange Telefonate führe. Und ich hab zwei liebe Katzen.

Anna Necki, 69 Jahre, frühere Sozialpädagogin aus Köln-Porz

Schule ohne Kinder ist gespenstisch

Eva Paetzold

Bei uns wird nur eine Handvoll Kinder notbetreut. Damit bin ich Freitag wieder dran, heute bei dem schönen Wetter arbeite ich gerade praktisch am Schulprogramm: Unkraut jäten im Schulgarten, das Insektenhotel auf Vordermann bringen.

Ansonsten erledige ich den umfangreichen Verwaltungskram, den ich als stellvertretende Schulleiterin habe. Die anderen Kinder bekommen Wochenpläne per E-Mail, sollen aber nicht länger als ein bis zwei Stunden daran arbeiten. Für viele Familien ist das eine große Herausforderung mit dem Lernen zu Hause. Viele Schüler aus meiner Klasse haben mir schon geschrieben, dass sie wieder zurück zur Schule wollen. Nach nur einer Woche – die brauchen einfach ihren ritualisierten Freiraum zurück. 

Eva Pätzold (41), Albert-Schweitzer-Grundschule in Köln-Weiß

Es ist ruhig im Bus

Ismail Kasilioglu

Im Linienbus bin ich ziemlich gut geschützt, weil die Fahrgäste seit über einer Woche nur noch hinten ein- und aussteigen und wir keine Fahrkarten mehr verkaufen. Dadurch haben wir wenig oder gar keinen Kontakt mit den Fahrgästen. Im Bus geht es zurzeit deutlich ruhiger zu als sonst, es gibt aber auch viel weniger Fahrgäste als sonst. Privat ändert sich nicht so viel für mich. Tagsüber arbeite ich und nach der Arbeit halte ich mich in der Wohnung auf. Das war auch vor Corona so. Aber eine ungewisse Sorge schwebt doch über allem. Neulich hatte ich ein leichtes Kratzen im Hals und schon gefürchtet, ich hätte mich irgendwo angesteckt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Sofort habe ich mir Tee mit Ingwer und einigen anderen Kräutern gekocht. Sonst gehe ich über solche Kleinigkeiten eher achtlos hinweg. Aber am nächsten Tag war das Kratzen zum Glück wieder weg. Meine beiden Kinder sitzen den ganzen Tag in ihrem Zimmer an der Playstation. Für die ist es schwer, die Zeit ohne Schule rumzubekommen. Meine Frau arbeitet zu Hause, das macht alles für uns etwas einfacher. Wenn ich nach Hause komme, geht sie meistens spazieren, um ein wenig Ruhe und Ausgleich zu finden. 

Ismail Kasiliogu (52), Busfahrer, Bergheim

Musik gegen dunkle Gedanken

Jörg Runge

Gerade arbeiten wir im Home-Office und die Telefone stehen nicht still. Die Freizeit verbringe ich mit meiner Tochter Neele und helfe ihr auch bei den Hausaufgaben. Das macht das Aggertal-Gymnasium in Engelskirchen übrigens wunderbar: Die Aufgaben werden digital zugestellt, das machen die Lehrer super. Ansonsten vertreibe ich dunkle Gedanken mit Musik, oft sitze ich am Keyboard. Ich habe es auch nicht übers Herz gebracht, die Orden aus der vergangenen Session wegzuräumen. Sie trösten mich, schließlich bin ich von einem Extrem ins nächste gestolpert.

Jörg Runge (47) aus Engelskirchen-Loope, im Karneval bekannt als „Tuppes vum Land“, arbeitet als stellvertretender Teamleiter im Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit.

Tanz im Live-Stream

Robert Maytas

Als ich wusste, dass die Tanzschule schließen muss, war für mich klar, dass ich die Zeit überbrücken möchte, bis wir wissen, wie es weitergeht. Ich gebe meinen Unterricht in Modern Dance, klassischem Ballett und Pilates jetzt als Live-Streaming von meinem Wohnzimmer aus und versuche dabei, meinen Zwei-mal-ein-Meter-fünfzig-Teppich nicht zu verlassen. Das wird sehr gut angenommen! Auch viele, die jetzt im Homeoffice sind, nutzen das mit ihren Kindern.

Robert Maytas (49) betreibt seit zehn Jahren das Tanzstudio Co-Leg in Euskirchen. Er bietet Kurse als Live-Streaming an.

Einige Tierbesitzer sind verunsichert

Swantje

In der Praxis tragen wir jetzt alle Mundschutz und haben nur noch indirekten Kundenkontakt durch ein Fenster. Die Leute kommen nur einzeln oder höchstens zu zweit ins Wartezimmer und geben die Tiere dann vorne an der Anmeldung bei der Tierarzthelferin ab. Wie bei Lieferando, nur dass man eine Leine oder einen Katzenkorb übergeben bekommt. Dann gehen sie in den Innenhof und unterhalten sich dort mit mir durch das geöffnete Fenster.

Manchmal nehme ich auch Chihuahuas durchs Fenster entgegen. Die Tiere stört das nicht – sie sind sogar eher schwieriger, wenn der Besitzer mit im Raum ist. Es gibt tatsächlich immer noch Leute, die die Sicherheitsmaßnahmen als unnötig empfinden und nicht verstehen können, warum sie sich die Hände desinfizieren sollen. Einige sind aber auch sehr verunsichert, ob sie sich über Tiere anstecken könnten. Da können wir im Moment leider auch keine ganz klaren Antworten geben.

Swantje Klemm-Mayer, Tierärztin in Nippes (Praxis Dr. Linke)

Kontakt mit den Omas halten wir mit dem Smartphone

Claudia Nief

Man muss versuchen, ganz gelassen zu bleiben. Natürlich fragen die beiden Kinder (3 und 7 Jahre) nach ihren Spielfreunden. Zum Glück können sie in unserem Garten spielen und haben damit ihren eigenen, sicheren Spielplatz. Von der Schule gibt es für meinen Sohn, der die erste Klasse besucht, kleine Lernpakete. Das hilft dabei, dem Tag weitere Struktur zu geben. Marie (3) geht normalerweise in den Kindergarten. Die braucht natürlich jetzt deutlich mehr Betreuung durch die Eltern.

Ich habe großen Respekt vor der Arbeit von Lehrern und Erziehern, aber auch vor den Kindern, wie sie die Situation meistern. Kontakt mit Freunden und Omas halten wir per Smartphone. Geht halt zurzeit nicht anders. Am Sonntag haben wir als Familie einen ausgedehnten Spaziergang gemacht. Gut dass man das noch darf. Ich versuche, nur einmal pro Woche einkaufen zu gehen, um möglichst wenige Kontakte zu Mitmenschen zu haben. Und mein Chef hat mich schon vorige Woche ins Homeoffice geschickt. Das schränkt zwar alles ein. Aber mit Gelassenheit lässt sich das überstehen. Aber wer weiß, wie lange das noch dauert.

Claudia Nief (35), Grafik-Designerin, Elsdorf

Erinnerungen an den Kosovo

Adem Selmani

Ich komme mit der Situation gut klar, auch wenn es eine Katastrophe für viele ist. Es erinnert mich an Einschränkungen in meinem Heimatland Kosovo. Ich wollte heute in einem Gladbacher Elektromarkt etwas einkaufen, deshalb bin ich rausgegangen. Aber der Markt hatte zu. Ich hätte heute auch arbeiten gehen können, aber es gibt keine Aufträge. Die Kunden haben anderes zu tun, das ist o.k. für mich. Daheim toben die drei Kinder durch die Wohnung, was sollen sie sonst machen? Draußen halte ich Abstand zu anderen Personen, in der Familie geht das natürlich nicht.

Adem Selmani, 52, aus Bergisch Gladbach, selbstständig in der Baubranche

Vom Pferd verabschiedet

Corinna Marten

Für meine Person habe ich keine große Sorge wegen Corona. Aber meine Großeltern und meine Großtante sind in der gefährdeten Altersgruppe, ich will , dass sie gesund bleiben. Deshalb finde ich es vernünftig, dass meine Eltern und ich jetzt zuhause bleiben -auch wenn ich eigentlich nicht der Typ dafür bin, nicht rauszugehen. Ich vermisse die Stunden im Reitstall und es war ein richtig trauriges Erlebnis, mich beim letzten noch erlaubten Besuch von meinem Pferd Molly zu verabschieden.

Mit meinen Freunden kann ich zumindest schreiben oder skypen. Langweilig ist mir noch nicht, weil ich per Mail oder über das Lernprogramm Moodle richtig viele Hausaufgaben von der Schule bekomme und auch Tests schreibe. Und ich treibe viel Sport. Leid tun mir die Familien mit kleinen Kindern. Da fehlt es ja oft an Betreuungsmöglichkeiten, das stelle ich mir sehr anstrengend vor.

Corinna Marten, Schülerin, 15, Wahn

Kein Verständnis für selbstständige Hamsterer

Alexandra Jarecka

Im Augenblick bin ich froh, ein paar Tage frei zu haben, viel an der frischen Luft zu sein und nicht in einer gespenstisch leeren Redaktion zu sitzen. Ich bin traurig, dass ich meinen Sohn nicht treffen kann, der wegen einer Vorerkrankung geschützt werden muss. Um meine Eltern, die in einem Seniorenheim bei Warschau leben, sorge ich mich. Ich kann sie nicht besuchen und sie haben auch sonst keine Möglichkeit zu Außenkontakten.

Die Bedrohung nehme ich sehr ernst und habe kein Verständnis dafür, dass sich Menschen über die vernünftigen Einschränkungen hinwegsetzen. Über selbstsüchtige Hamsterer ärgere ich mich - und über Leute, die dumme Gerüchte verbreiten und Panik schüren. Kontakte vermeiden, sich seriös informieren und einfach mal einen Gang runterschalten - so lebe ich derzeit. Und jage nicht nach Klopapier.

Alexandra Jarecka, 60, Rundfunkjournalistin aus Porz-Wahn

Ich schlafe besser

Sebastian Haus

Von einem Tag auf den anderen hat sich mein Leben sehr verändert. Bin ich sonst in einer Woche oft mehrere Tausend Kilometer zu meinen Kunden in Handwerksunternehmen deutschlandweit gefahren, arbeite ich jetzt von zu Hause aus. Das Gefühl, nicht ständig in Eile und unter Termindruck zu sein, hat für mich auch etwas Befreiendes. Ich schlafe besser, genieße Zeit mit meinen Lieben zuhause, kann mich an den Kindern erfreuen.

Andere Kontakte gibt es kaum noch - ich will ja niemandem unbewusst schaden. Für eine Weile kann diese Pause vielleicht unserem ganzen Land bewusst machen: es geht nicht nur um schneller, höher, weiter. Zu lange darf das natürlich nicht dauern, sonst werden die Folgen furchtbar.

Sebastian Haus, 41, Inhaber einer Softwareberatungsfirma 

Aufgezeichnet von Dietmar Fratz, Christoph Heup, Beatrix Lampe, Kerstin Meier, Heike Nickel, Guido Wagner, Stefanie Schmidt und Stefan Worring

KStA abonnieren