Kanzler im Flut-GebietRespekt und eine Himmelstorte für Scholz in Bad Münstereifel

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Sabine Preiser-Marian zeigt Olaf Scholz die Fortschritte beim Wideraufbau von Bad Münstereifel.

Bad Münstereifel – Es ist ein Besuch, den die Menschen von Bad Münstereifel acht Monate nach der Flutkatastrophe mit Respekt und Anerkennung zur Kenntnis nehmen. Um 13.20 Uhr steigt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor dem Rathaus aus einer schwarzen Limousine. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sind wenige Minuten vor ihm eingetroffen.

Der Zeitplan ist eng. Scholz wird auch noch ins Ahrtal fahren, am Abend will die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag in seinem Beisein ihre Bilanz von fünf Jahren Oppositionsarbeit ziehen und die heiße Phase des Wahlkampfs einläuten.

Ramers: Kommunen personell überfordert

„Ich finde es gut, dass der Kanzler heute gekommen ist und einfach selbst mitbekommt, welche Aufbruchsstimmung hier herrscht, aber auch, welche Probleme es noch zu lösen gibt“, sagt Buchhändlerin Kathrin Henk (42). „Die Leute haben hier viel abgekriegt, Corona, die Flut, jetzt der Ukraine-Krieg. Das ist schon eine dicke Packung.“

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Eine gute halbe Stunde sprechen Scholz, Wüst und Faeser im Rathaus unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian und Markus Ramers, dem Landrat des Kreises Euskirchen. Ramers‘ Erwartungen sind hoch. Er will die Chance nutzen, trotz aller Fortschritte auf die personelle Überforderung der Kommunen hinzuweisen. Der Kreis habe Flutschäden in Höhe von einer Milliarde Euro zu stemmen. „Es wird alles gefördert, nur die Personalkosten der vielen kleinen Kommunen nicht – eigenes Personal, das bei der Stadt oder beim Kreis zur Bewältigung der Hochwasserfolgen eingestellt wird.“

Vor dem Rathaus warten ein paar Bürger aus Bad Münstereifel geduldig auf den Rundgang, den Scholz durch den geschundenen Ort unternehmen wird. Auf einer noch ungesicherten Brücke über die Erft, die friedlich durch den Ort plätschert, als habe es die Katastrophe nie gegeben, lässt sich der Kanzler von einem Bauexperten den Stand der Arbeiten erläutern. Scholz weiß aus eigener Anschauung, wie das Hochwasser in der Eifel und an der Ahr gewütet hat.

Im vergangenen Jahr hat er, damals noch Bundesfinanzminister, die Eifelgemeinden Schleiden und Gemünd besucht. Nur ein paar Meter entfernt beobachtet Alexa Schwanke (55), die in der kleinen Boutique „Frauenzimmer“ arbeitet, den Tross, der sich zwischen Baggern, Bauarbeitern und Asphaltieren durch den Ortskern kämpft.

„Schön, dass die Politiker noch einmal kommen“

„Schön, dass die Politiker noch einmal kommen und sich das hier ansehen. Natürlich ist das auch Wahlkampf. Natürlich möchte Herr Wüst wiedergewählt werden. Aber das gehört zur Politik nun mal dazu.“ Für eine mittelalterliche Stadt gehe es bei den Zerstörungen mit dem Wiederaufbau erstaunlich schnell voran. Kopfschmerzen bereiten den Einzelhändlern und Gewerbetreibenden nur, dass die Kunden Bad Münstereifel immer noch meiden. „Sie wissen ja nicht, dass einige Geschäfte schon wieder geöffnet haben.“

Wie so viele im Ort klagt Schwanke über die schleppenden Finanzhilfen. „Die unbürokratischste Hilfe war die der Bürgerstiftung. Da hat alles auf Anhieb funktioniert.“ Beim Land, bei der IHK und der Handwerkskammer laufe es dagegen sehr schleppend. „Die IHK hat den Betrieb meiner Freundin gar nicht gefunden, obwohl sie immer ihre Mitgliedsbeiträge bezahlt. Und die Handwerkskammer hat sie auf die Frage nach Unterstützung nur gewarnt, sie solle aufpassen, dass sie sich nicht bereichert.“

Outlets wollen bald wieder öffnen

Im Frühsommer wollen die Outlet-Geschäfte wieder öffnen. Das werde auch höchste Zeit, findet Thomas Krumbein. Der Laden für Wohnaccessoires und Deko seiner Lebensgefährtin war vollständig zerstört. „Wir haben erst alles aufgeräumt und mussten uns dann doch ein neues Ladenlokal suchen.“

Die Wiederaufbauhilfe beschränke sich auf 80 Prozent und sechs Monate. „Jetzt sind neun Monate vergangen. Bis die Stadt wieder funktioniert, wird es viel länger dauern. Jeder Gewerbetreibende ist in Vorkasse gegangen und wartet auf das Geld. Wenn wir viel Glück haben, ist Bad Münstereifel im Herbst oder Winter wieder am Start, bis dahin fehlen dann ein Jahr lang die Einnahmen. Das wird es schwierig, sich über Wasser zu halten.“

Kanzler, Ministerpräsident und Innenministerin gehen weiter durch die City mit ihren halbfertigen Straßen und kehren kurz vor dem Stadttor ein. Die altdeutsche Weinstube „En de Höll“ aus dem 17. Jahrhundert hat die Flut nur mit viel Glück überstanden. Wie der kurze Abstecher in eine Galerie zuvor ist auch dieser Besuch vom Bundeskanzleramt vor einer Woche geplant worden.

Vor dem Eingang des historischen Gebäudes begrüßt Alexandra Welter den Bundeskanzler und erklärt ihm, dass das Haus fast nicht mehr zu retten war. Scholz, so erfahren es die Journalisten später, ist nach Willy Brandt und Helmut Schmidt schon der dritte Kanzler, der „En de Höll“ zu Gast war. Ein historischer Ort: Nach der Guillaume-Affäre wurde hier im Mai 1974 völlig geräuschlos über den Rücktritt von Willy Brandt entschieden und im Beisein von Herbert Wehner der Machtwechsel zu Helmut Schmidt eingeleitet.

Eine Himmelstorte für den Kanzler

Eine Viertelstunde Kaffeepause. Als die Delegation gegangen ist, atmet die Gastronomin erst einmal tief durch. „Vor einer Woche standen ein paar Leute unschlüssig vor meiner Türe herum“, sagt Welter. „Ich habe noch gedacht, das ist wieder so eine Wandergruppe, die sich nicht vorstellen kann, was hier bei der Flut passiert ist.“ Erst im Lokal habe man sie gefragt, ob sie einer Gruppe in einer Woche Kaffee und Kuchen reichen könne. „Wir haben ja noch nicht wieder durchgehend geöffnet, weil noch nicht alle Schäden behoben sind.“

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Am Tisch habe sich der Chef des Bundeskanzleramts vorgestellt und man habe die Kuchen besprochen. „Ich habe ihm die Himmelstorte empfohlen, unsere Spezialität. Auf Mürbeteigbasis mit Kirschen, Schlagobers, Kirschen und Schwarzwälder Kirschwasser“, sagt Welter. Und einen altdeutschen Apfelkuchen. Ob es denn auch zusätzlich einen Rübli-Kuchen geben könne, habe man sie gefragt. Kein Problem für die Gastronomin. „Ich habe mich an ein Rezept aus meiner Lehrzeit erinnert.“

Der Kanzler sei „ein super angenehmer Mensch. ich habe ihm nur das Beste, viel Kraft und Ideenreichtum gewünscht für die Fragen, die noch auf ihn zukommen und die er zu entscheiden hat.“ Es sei ihr Ansinnen gewesen, Scholz für einen Moment zu ermöglichen, „mal ein ganz normaler Mensch zu sein“.

Wenig später spricht der Bundeskanzler im Erzbischöflichen St. Angela-Gymnasium mit Schülern und dem Schulleiter über die Folgen der Flut und fährt weiter Richtung Ahrtal. Unterdessen zieht Hendrik Wüst am Stadttor ein kurzes Resümee. „Bad Münstereifel war in besonderem Maße von der Flut betroffen. Wir waren hier, um mit den Menschen im direkten Gespräch zu erfahren, wie sie sich fühlen. Es ist schon unglaublich viel passiert, das nötigt hohen Respekt ab.“

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