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Gesundheitamtschef Ramolla zu Corona„Teilweise wurde ziemlicher Quatsch verbreitet“

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Christian Ramolla leitet das Kreis-Gesundheitsamt.

  • Der Chef des Gesundheitsamts im Kreis Euskirchen, Christian Ramolla, blickt im Interview kritisch auf die Pandemie zurück.
  • Unter anderem geht es um die Themen Maskenpflicht und kostenpflichte Corona-Tests, aber auch um die kommende Karnevalssession.
  • Christian Ramolla wird im Interview auch persönlich.

Kreis Euskirchen – Christian Ramolla ist Chef des Kreis-Gesundheitsamts. In den vergangenen zweieinhalb Jahren drehte sich in seinem Berufs-, aber auch im Privatleben sehr viel um Corona. Für die kommende Karnevalssession sieht er keine großen Probleme. Herr Ramolla. Wie geht es Ihnen? Christian Ramolla: Wenn ich so sehe, wie das Leben vieler Menschen um uns durch Krieg, Klimawandel, Flut- und Coronafolgen beeinträchtigt wird, geht es mir sehr gut. Wie jeder andere Mensch hätte ich aber gut auf SARS-CoV-2 verzichten können. Weder meine privaten, noch meine dienstlichen Pläne waren auf dieses Virus eingestellt. Es ist viel auf der Strecke geblieben. Wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, all die Energie und das Geld, die in die Pandemiebekämpfung gegangen sind, in andere Projekte zu investieren – was hätten wir alles erreichen können! Aber auch so können wir aus der Pandemie positive Aspekte ableiten: veränderte Sichtweisen und Werte, aber auch die großen Fortschritte bei der Digitalisierung und das Überdenken des Althergebrachten.

Wie kommt es, dass Corona in diesem Jahr im Sommer keine Pause macht, sondern die Zahlen weiter hoch sind?

Die im Sommer 2021 vorherrschende Deltavariante und die aktuelle Omikronvariante sind hinsichtlich des Ansteckungspotenzials vergleichbar. Grund zur Sorge macht der Anstieg der Fallzahlen bei Menschen im Alter von 65 Jahren und darüber. Diese Anstiege sind noch relativ neu und signalisieren den Beginn einer weit verbreiteten Welle: die der besorgniserregenden Varianten. Die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen schwere, durch Omikron verursachte Erkrankungen ist weiterhin hoch – auch in älteren Altersgruppen. Aber der Schutz lässt nach drei bis sechs Monaten allmählich nach. Eine zweite mRNA-Auffrischungsimpfung stellt den Schutz gegen schwere Erkrankungen wieder her, der bis zu zehn Wochen lang stabil bleibt, längere Nachbeobachtungszeiten sind aber noch nicht verfügbar.

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Wie kommen die unterschiedlichen Sommer zustande?

Der Umstand, dass die meisten Menschen ihre Grundimmunisierung Mitte 2021 abgeschlossen hatten, und die Tatsache, dass erste und zweite Auffrischungsimpfung von deutlich weniger Menschen in Anspruch genommen wurden, erklärt die unterschiedlichen Verläufe der Sommer 2021 und 2022.

Müssen wir uns vor dem Herbst Sorgen machen?

Die Möglichkeit neuer SARS-CoV-2-Varianten mit erhöhter Übertragbarkeit und/oder der Fähigkeit zur Überwindung des Immunschutzes macht jede Aussage spekulativ. Nachdem wir aber zwischenzeitlich viel gelernt haben, liegt es in der Hand jedes Einzelnen, seine Sicherheit zu erhöhen. Ich denke jeder hat zwischenzeitlich ein Gefühl dafür entwickelt, welches Risiko er sich zumuten möchte, und welche Ansteckungsgefahr von bestimmten Zusammenkünften und Veranstaltungen ausgehen. Und uns steht weiterhin ein bunter Strauß unterschiedlicher Interventionen zur Verfügung. Sehr effektiv sind und bleiben Maßnahmen wie Maskennutzung und Lüftung.

Was ist wichtig?

In Ländern wie Deutschland, mit Auffrischungs-Impfquoten von mehr als 40 Prozent, zeigt eine zweite Auffrischungsimpfung in der Altersgruppe 60+ eine erhebliche Auswirkung vor Krankenhausaufenthalten. Wichtig ist auch der richtige Zeitpunkt der zweiten Auffrischungsimpfung. Die aktualisierten, Omikron-angepassten Impfstoffe werden wahrscheinlich im September für die Verwendung zugelassen. Es ist wichtig, die Anstrengungen fortzusetzen, um die Impfraten mit den verfügbaren Impfstoffen für Gruppen mit hohem Risiko für schwere Erkrankungen rechtzeitig zu erhöhen und nicht auf die neuen angepassten Impfstoffe zu warten.

Glauben Sie, dass wir Karneval feiern können/werden?

Derzeit erkenne ich keinerlei staatliche Absichten, Karneval oder andere Großveranstaltungen zu untersagen. Vor dem Hintergrund, dass uns Corona erhalten bleiben wird, ist es aus meiner Sicht eher erforderlich, jeden Einzelnen darin zu unterstützen, eigenverantwortlich mit dem Leben mit Corona umgehen zu können. Dieses Ziel ist erreicht, wenn man, wie in andere Lebenssituationen auch, Vor- und Nachteile abwägt und eine bewusste Entscheidung trifft. Beim Fallschirmspringen und Radfahren gelingt uns das, warum also nicht auch bei Corona? Es ist halt so, wie von Erich Kästner festgestellt: „Leben ist immer lebensgefährlich!“

Ist der Kreis Euskirchen für die nun ins Spiel gebrachten zweiten Boosterungen gut aufgestellt?

Die Impfkampagne gegen Corona wird vor allem durch die Kolleginnen und Kollegen in den niedergelassenen Praxen, aber auch durch impfende Apotheken und nicht zuletzt durch die staatlichen Impfstellen getragen. Insofern sind im Kreis Euskirchen tägliche Impfungen durchaus auch jetzt Realität. Uns alle eint, dass langfristige Planungen durch sich häufig ändernde Empfehlungen und Verordnungen mit kurzer Haltbarkeit kompliziert werden. Ich rechne es allen Beteiligten hoch an, dass sie trotz dieser zermürbenden Voraussetzungen im Dienst der Sache hochengagiert weitermachen. Mit diesem Engagement im Rücken mache ich mir keinerlei Sorgen. Weder hinsichtlich der zweiten Boosterung, noch, wenn ab Herbst die auf Omikron angepassten Impfstoffe zur Verfügung stehen. Unsere koordinierende Corona-Impfeinheit beobachtet das Impfgeschehen im Kreis sehr aufmerksam, um – bei Bedarf – ergänzende Impfangebote zu schaffen.

Warum stecken sich so viele Menschen, die sich beispielsweise im Frühjahr erst mit der Omikron-Variante infiziert hatten, nun direkt wieder mit Corona an?

Neuere Studien zeigen, dass die schützenden Antikörper nach einer Infektion bis zu 16 Monaten nachweisbar sind. Dennoch ist bei vielen frisch Infizierten die jüngste Corona-Erkrankung noch gar nicht so lange her – wie kann das sein? Die wahrscheinlichste Ursache sind die Omikron-Untervarianten. Wer im Frühjahr an Corona erkrankt war, wurde vermutlich durch die Untergruppen BA.1 oder BA.2 infiziert. Diese vorherige Infektion mit einem anderen Omikron-Typ schützt vermutlich leider nicht umfassend vor den neuen Untervarianten. Eine Infektion mit den derzeit zirkulierenden Untergruppen BA.4 und BA.5 ist also möglich, wenn auch schwere Verläufe und Krankenhauseinweisung überaus unwahrscheinlich sind, wenn zuvor eine Infektion oder Impfung stattgefunden haben.

Also ist eine Impfung für Genesene überflüssig?

Nein. Es ist vollkommen verkehrt, den Schluss zu ziehen, dass eine Impfung für Genesene überflüssig ist. Im Gegenteil, die sogenannte hybride Immunität, also die Kombination aus Impfung und überstandener Infektion liefert den stärksten Schutz.

Würden Sie sich für eine Maskenpflicht in Geschäften und bei Indoorveranstaltungen aussprechen?

Viele Vorschriften der vergangenen zweieinhalb Jahre waren eine Belastungsprobe für das Vertrauensverhältnis der Bürger zum Staat. Ich erlebe die meisten Menschen als überaus verantwortungsvoll – vor allem, wenn der Sinn von Maßnahmen erklärt werden kann. Im Namen des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsämter wurde teilweise ein ziemlicher Quatsch verbreitet. So stand 2020 in unserem Urlaub in Niedersachsen in einer Bar der Hinweis „Sky vom Gesundheitsamt untersagt“ auf dem Tisch. Auch konnte ich mit all meinem fachlichen Wissen meinen Freunden nicht erklären, warum ich in der Kneipe am Tisch die Maske ausziehen, sie aber auf dem Weg zur Toilette anlegen muss. Wenn also zukünftig eine Tatsache eintritt, die eine Maskenpflicht in Geschäften und bei Indoorveranstaltungen sinnvoll erscheinen lässt, wäre ich dafür. Aktuell sehe ich eine solche Situation aber nicht, sondern bin dafür, die Entscheidung zur Maskennutzung den Kundinnen und Kunden zu überlassen.

Entscheidung zu kostenpflichtigen Tests richtig?

War es die richtige Entscheidung, dass die Bürgertests nun bei ungebundenen Anlässen kostenpflichtig sind?

Wenn diese Entscheidung in das Gesamtkonzept eingebunden ist, so langsam mal die Coronapandemie in unseren Alltag zu integrieren, möchte ich diese Entscheidung nicht kritisieren. Schon vor der Pandemie existierte in Deutschland, und auch im Kreis Euskirchen, ein Pandemieplan. Es werden vier Phasen unterschieden: Eindämmung, Schutz vulnerabler Gruppen, Folgenminderung, Erholung. In der Phase der Folgenminderung wird das Ziel verfolgt, schwere Krankheitsverläufe zu verhindern und Krankheitsspitzen mit einer Überlastung der Versorgungsstrukturen zu vermeiden. Dies macht nur noch eine anlassbezogene Testung bei Krankheitszeichen oder beim Umgang mit vulnerablen Gruppen erforderlich. Daher, und auch, weil Tests für kleines Geld mittlerweile in vielen Läden verfügbar sind, halte ich diese Entscheidung für richtig. Ich würde mir allerdings wünschen, dass der Gesetzgeber auf allen Ebenen diese Inklusion von Corona in den Alltag einleitet. Wenn wir uns tatsächlich in der Phase der Folgenminderung befinden, gehört auch konsequenterweise dazu, das Meldewesen und die Absonderungsvorgaben zu reformieren.

Und was noch?

Es gibt einfache Möglichkeiten, die Pandemie durch Abwasseruntersuchungen, Sentinelpraxen und eine Datenübermittlung der Labore direkt an das Robert-Koch-Institut zu überwachen. Tausende Menschen arbeiten derzeit in den Gesundheitsämtern nur an der Datenerfassung und -übermittlung bezüglich Corona. Maßnahmen der Pandemieeindämmung finden nahezu nicht statt. Dies ist für uns alle wenig befriedigend und eine große Ressourcenverschwendung. Es ist auch bedrückend, dass sich wiederum Tausende Menschen in Deutschland nur deshalb in Quarantäne befinden, weil Corona nachgewiesen wurde. Sie haben keine Symptome und sind differenziert genug, um theoretisch weiter unter Anwendung von Schutzmaßnahmen am Leben teilnehmen und auch arbeiten gehen zu können. Ein Teil der aktuellen Strukturprobleme, wie der Personalmangel an Flughäfen, in der Pflege und im Service ist sicherlich hiervon verursacht.

Viele sagen immer wieder, dass Corona nur eine Grippe sei. Was entgegnen Sie solchen Aussagen nach zweieinhalb Jahren?

Viele sehen diesen Vergleich kritisch, weil sie denken, die Grippe, also die saisonale Influenza, sei eine Bagatelle. Das ist aber nicht der Fall. Die Influenza ist eine schwere, mitunter lebensbedrohliche Infektionserkrankung, die leicht übertragen wird. Ich habe als Krankenhausarzt viele an Influenza erkrankte Menschen versorgt, und musste als Amtsarzt mehrere schlimme Influenzasaisons erleben. Vor diesem Hintergrund habe auch ich mich zu Beginn der Coronapandemie dahingehend geäußert, dass beide Infektionen vergleichbar seien. Das war damals rückblickend nicht korrekt. Für Ungeimpfte können die Coronainfektion oder die Infektionsfolgen weiterhin verheerend sein. Ich denke für die meisten Geimpften und Genesenen trifft der Vergleich zur Influenza zwischenzeitlich zu. Ich glaube, wir alle wünschen uns, dass sich bald die Corona-Infektion zu einem grippalen Infekt oder Schnupfen abschwächt. Noch ist es nicht so weit.

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