Defekter Aufzug seit der FlutEuskirchenerin konnte Haus seit Juli nicht verlassen

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Die Rollstuhlfahrerin Ulrike Heinrich hat wegen eines defekten Aufzugs ihre Wohnung seit Mitte Juli 2021 nicht mehr verlassen.

Euskirchen – Ulrike Heinrich hat eine schöne Wohnung im dritten Obergeschoss des Galleria-Centers in der Euskirchener Innenstadt. Wenn sie aus dem Fenster blickt, sieht sie im Osten den Turm der Herz-Jesu-Kirche aufragen. Von ihrem Balkon aus schaut sie in Richtung Alter Markt und St.-Martin-Kirche. Der Himmel über der Kreisstadt ist blau und wolkenlos, idyllisch glitzern die Dächer im Licht der März-Sonne.

Diese schöne Aussicht ist aber auch schon alles, was sie seit Mitte Juli des vergangenen Jahres mit ihren eigenen Augen von der Kreisstadt gesehen hat, denn Heinrich sitzt im Rollstuhl. Und seit der Flutnacht funktioniert der Aufzug zu ihrer Wohnung nicht mehr.

„Decke fällt mir auf den Kopf“

„Seitdem bin ich nicht mehr vor die Tür gekommen. Mir fällt hier einfach die Decke auf den Kopf“, beklagt Heinrich die Situation. Seit 19 Jahren lebt die gebürtige Kölnerin zur Miete in der Galleria-Wohnung. Trotz ihrer körperlichen Einschränkungen sprüht die gelernte Friseurin vor Unternehmungslust. Das macht es ihr auch so schwer, seit nunmehr acht Monaten in ihrer Wohnung quasi eingesperrt zu sein.

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Ulrike Heinrich sucht nach Helfern, die sie und ihren Rollstuhl durchs Treppenhaus tragen können.

„Zum Jahreswechsel hatte ich einen echten Tiefpunkt erreicht“, sagt Heinrich. Das Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht. „Da habe ich sogar schon an Selbsttötung gedacht. Das konnte mir mein Hausarzt aber ausreden.“

Bereits 1978 wurde bei der heute 61-Jährigen Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert. Ihr Zustand verschlimmerte sich abrupt, als sie im Jahr 2004 als Sozia bei einem Motorradunfall schwer verletzt wurde. Es folgten zahlreiche Operationen, aber die Bewegungsfähigkeit ihres rechten Arms und der Schulter konnten nicht wiederhergestellt werden.

„Ich habe seit der Hochwasserkatastrophe niemanden gefunden, der mich im Rollstuhl die drei Stockwerke hinunterträgt“, berichtet die Euskirchenerin und weiter: „Ich habe viele Freunde aus der Biker-Szene. Aber die sind inzwischen genau wie ich in die Jahre gekommen und schaffen das körperlich nicht mehr.“

Rechtliche Situation

Welche Rechte hat ein Mieter, wenn der Aufzug zu seiner Wohnung ausfällt?  Wer wegen seiner gesundheitlichen Verfassung bei einem defekten Aufzug die Wohnung nicht mehr verlassen kann, hat möglicherweise Anspruch auf eine Ersatzunterkunft während des Ausfalls. Die zusätzlichen Kosten müsse dann der Vermieter tragen, erklärt Mietrechtsexpertin Aliki Bürger vom Berliner Mieter-Verein (BMV). Eine Minderung der Miete komme ebenfalls in Betracht. Die Höhe der Mietminderung werde unter anderem daran bemessen, in welchem Stockwerk man wohne und wie lange der Aufzug defekt sei. In einzelnen Fällen könnten betroffene Mieter zudem Ansprüche für Aufwandserstattungen geltend machen, wie Hilfe von Nachbarn oder Bekannten, um das Treppenhaus zu überwinden. Auch Erstattungen für Einkaufs- oder Bringdienste seien während der Reparatur des Fahrstuhls möglich.

Ihr fehle die Spontanität, sich mit Freunden oder Bekannten einfach mal auf einen Kaffee in der Stadt verabreden zu können. Vereinsamt ist sie aber dennoch nicht. Heinrich verfügt über ein funktionierendes soziales Netzwerk: Ihre Freundin Sabine bringt Einkäufe vorbei, hält die Wohnung in Ordnung und leistet ihr Gesellschaft. Auch andere Freunde kommen zu Besuch.

Ihr Arzt und ein Physiotherapeut machen regelmäßig Hausbesuche. „Aber ich war seit letzten Juli nicht mehr selbst in der Physio-Praxis, wo ich vorher immer Krafttraining machen konnte. Seitdem haben meine Muskeln weiter abgebaut“, berichtet Heinrich. Aktuell wiege sie nur noch 29 Kilogramm.

Hilferuf an die Redaktion

Als sie Gerüchte hörte, die Reparatur des Aufzugs könne sich noch bis zum nächsten Jahr hinziehen, weil wichtige Ersatzteile nicht lieferbar seien, bekam sie Panik. „Das halte ich nicht aus“, habe sie gedacht und sich deshalb an die Redaktion dieser Zeitung gewandt.

Ein Anruf bei Carlo Wisskirchen, Mit-Eigentümer des Galleria-Centers, bringt zunächst keine Klarheit: „Der Aufzug zu den Wohnungen muss komplett erneuert werden, und die Arbeiten haben auch schon begonnen. Ich kann aber noch keinen Termin nennen, wann der Aufzug wieder funktionieren wird“, bedauert Wisskirchen. Auch die seit Anfang des Jahres zuständige Hausverwaltung aus Bonn kann auf Anfrage nichts Konkretes in Sachen Aufzug mitteilen: Wenn die Arbeiten abgeschlossen seien, müsse ja auch noch eine Abnahme durch den TÜV erfolgen. Wann das sein werde? Das wisse man noch nicht.

Reparaturdatum: unbekannt

Ein wenig mehr Hoffnung macht unterdessen der Galleria-Hausmeister: Nach seiner Einschätzung soll der Aufzug in den nächsten vier oder fünf Wochen wieder einsatzbereit sein. Ein genaues Datum? Das könne er leider auch nicht nennen.

„Ich will mich nicht länger vertrösten lassen – Ich suche Hilfe, um endlich mal raus zu kommen“, sagt Heinrich, die noch nicht so recht an den vom Hausmeister in Aussicht gestellten Termin für die Aufzug-Reparatur glauben mag. Sie hofft, dass sich jetzt doch noch ein paar kräftige Euskirchener finden, die mit anpacken und ihr den „Weg in die Freiheit“, wie sie es nennt, ebnen.

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Ulrike Heinrich ist bei Facebook aktiv. Wer ihr helfen möchte und sich zutraut, sie mit ihrem Rollstuhl drei Treppen hinunter und später auch wieder nach oben zu tragen, kann sie dort oder auch direkt per E-Mail anschreiben: heinrich_ulrike@t-online.de

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