Interview Bernd Bucher„Hochwasser-Demenz“ lässt Bereitschaft zur Veränderung sinken

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Die Schäden des Erftverbands belaufen sich laut  Bernd Bucher auf 55 Millionen Euro.

Dr. Bernd Bucher steht an der Spitze des Erftverbands. Mit ihm sprachen Christoph Heup und Tom Steinicke über die Tage rund um den 14. Juli und darüber, ob die Steinbachtalsperre bald dem Erftverband gehört.

Wie bewerten Sie die Ereignisse rund um 14. Juli?

Bernd Bucher: Wir haben bisher noch nie erlebt, dass die Hochwasserentlastungen an unseren Hochwasserrückhaltebecken angesprungen sind. Seit 1976 steht das Becken in Eicherscheid. Seitdem gab es keine relevanten Überschwemmungen mehr in Bad Münstereifel. Selbst 2007 war das Wasser noch ein ganzes Stück unterhalb der Überlaufschwelle. Die Menschen haben sich entsprechend an die vermeintliche Sicherheit gewöhnt.

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Wie groß ist der Schaden für den Erftverband?

Der Schaden beläuft sich auf etwa 55 Millionen Euro. Davon 22 Millionen im Abwasserbereich – vorwiegend an den Kläranlagen. Der Rest beläuft sich auf die Schäden an Gewässern – beispielsweise an den Böschungen und an den Hochwasserrückhaltebecken. Über einen großen Anteil sind wir versichert. Wir rechnen damit, dass wir den Rest über die Wiederaufbauhilfe finanzieren können.

Wäre jetzt die perfekte Zeit, um Hochwasserschutz-Maßnahmen auf den Weg zu bringen?

Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, auf jeden Fall. Die Bereitschaft, für Hochwasserschutz Nachteile in Kauf zu nehmen, sinkt, je länger ein Ereignis zurückliegt. Die Fachleute sprechen dann oft von der Hochwasser-Demenz, weil nach drei, vier, fünf Jahren die Erinnerungen daran verblassen. Wir hoffen, dass das dieses Mal anders sein wird.

Wäre die Steinbachtalsperre überhaupt für den Hochwasserschutz geeignet?

Wir finden, dass der Standort für den Hochwasserschutz durchaus geeignet und damit auch richtig wäre. Wir könnten den Hochwasserschutz in diesem Bereich erhöhen.

Übernimmt der Erftverband die Steinbachtalsperre?

Die Stadt Euskirchen ist an uns herangetreten. Wir können uns das aber nur vorstellen, wenn die Priorität auf dem Hochwasserschutz liegt. Natürlich kann es dann einen Naherholungswert geben. Aber es ist keine Option, wenn es ein Freizeitbad wäre, das auch dem Hochwasserschutz dienen würde. Wir könnten den Mitgliedern nicht vermitteln, dass wir nun auch noch ein Freizeitbad betreiben.

Warum würde der Erftverband nicht auch eine Talsperre betreiben?

Eine Talsperre hat immer mehrere Funktionen – beispielsweise das Niedrigwasser im Sommer zu erhöhen. Oder die Industrie mit Brauchwasser zu versorgen. Das macht den Betrieb in der Regel recht komplex. Das ist anders als bei einem Hochwasserrückhaltebecken. Ein solches Becken dient ganz allein dem Hochwasserschutz. Wir wollen also keine Talsperre, sondern ein Hochwasserrückhaltebecken. Bisher gab es von der Stadt Euskirchen aber nur eine Anfrage. Wie die Zusammenarbeit konkret aussehen würde, müsste man sehen.

Inwiefern ist der Erftverband in Bauvorhaben der Kommunen einbezogen?

Wir werden grundsätzlich als Träger öffentlicher Belange bei Flächennutzungsplanänderungen und bei Änderungen des Bebauungsplans involviert. Im gesetzlichen Überschwemmungsgebiet, wir reden von einem HQ100, also einem hundertjährlichen Hochwasser, werden in der Regel keine Bebauungen mehr stattfinden.

Dreht es sich immer nur um Hochwasserschutz?

Bei Neubaugebieten werden wir auch beteiligt. Dabei geht es primär aber nicht um Hochwasserschutz, sondern eher um Dinge wie das Kanalnetz und wie versiegelte Flächen angeschlossen werden. Da gibt es in der Regel Abstimmungen mit den Kommunen.

Kritiker von Neubaugebieten bemängeln die stete Versiegelung von Flächen.

Man muss sagen, dass bei der Regenmenge, die wir am 14. Juli erlebt haben, der Unterschied zwischen versiegelter und natürlicher Oberfläche immer geringer wird. Bei einer solchen Menge wird auch eine Ackerfläche zu einer undurchlässigen Fläche. Die Versickerung in den Boden ist dann nur noch marginal.

Zur Person

Dr. Bernd Bucher (63) stammt aus Baden-Württemberg. Er studierte Geographie/Hydrologie in Freiburg und arbeitete von 1985 bis 1995 beim heutigen Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW. Seit 1995 ist er beim Erftverband, von 2013 bis 2018 war er Ständiger Vertreter des Vorstands. Seit Oktober 2018 ist er Vorstand. (tom)

Was kann man in Bad Münstereifel besser machen?

Es gibt mehrere Handlungsfelder, um den Hochwasserschutz zu verbessern. Wir prüfen, ob oberhalb der Stadt zusätzliche Rückhaltemaßnahmen möglich sind. Zusätzlich sollte darauf geachtet werden, dass beim Wiederaufbau die Schadenspotenziale so gering wie möglich gehalten werden. Auch die Abläufe bei Hochwasser können verbessert und mit allen Beteiligten geübt werden.

Wäre es eine Option, die Erft, um Bad Münstereifel herumzuleiten?

Nein. Der Fluss ist stadtbildprägend. Das ist jahrhundertelang gewachsen. Dort wird es immer ein gewisses Risiko geben.

Wäre es denkbar, dass der Veybach um Euskirchen herumfließen wird?

Dass wir den ganzen Veybach aus der Stadt herausholen – so weit haben wir bisher noch nicht gedacht. Aber wir werden uns natürlich anschauen, was wir tun können. Beim technischen Hochwasserschutz werden wir immer Kosten und Nutzen abwägen. Gewässer nach unten und in Rohre zu packen, ist sicherlich auch aus Sicht des Abwasserschutzes nicht die Lösung. Die Tendenz geht ja eindeutig dahin, Verrohrungen wieder zu entfernen.

Wird das Hochwasser Auswirkungen auf die Natur und das Wasser haben?

Öl ist kein naturfremder Stoff und wird langsam abgebaut. Wir sind permanent dabei, das Bett freizuräumen, auch damit es beim nächsten Hochwasser mit dem Abfluss klappt. Wir ziehen dafür Mitarbeiter aus dem Raum Grevenbroich und Neuss nach Süden ab. Die Wasseranalysen aus der fließenden Welle hatten keine Auffälligkeiten bei den Bakterien, beim Öl und bei den Schwermetallen. Auch der Fischbestand erholt sich erfahrungsgemäß recht schnell – zum Glück.

Und wo wollen Sie denn dann mehr Raum für den Fluss schaffen?

Die Erft hat im gesamten Oberlauf ihr Bett zerstört und stellenweise mächtig verbreitert. Wir werden nicht alles so wiederherstellen, wie es war, sondern versuchen, Flächen am Fluss anzukaufen. Wir dürfen die Erft nicht mehr so einpferchen wie bisher. In gewisser Weise bieten sich durch die Katastrophe deshalb auch schlichtweg neue Chancen – für den Fluss und damit für uns alle.

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Wird der Erftverband neue Hochwasserrückhaltebecken bauen?

Wir müssen an allen Stellschrauben drehen. Natürlich suchen wir auch noch Standorte für zusätzliche Hochwasserrückhaltebecken, aber wir wollen vor allem natürliche Flächen finden, in die hinein sich der Fluss bei Hochwasser ausdehnen kann. Wir werden mit allen Kommunen das Hochwasser aufarbeiten.

Wie sieht es mit den Kläranlagen aus?

Was die Reinigungsleistungen angeht, sind wir bei den Kläranlagen wieder da, wo wir sein wollen. Alles andere wird sich in den kommenden Monaten regeln. So können wir derzeit noch nicht überall die Schlammbehandlung angehen.

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