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TabuthemaKallerin gründete Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suizidopfern

Lesezeit 6 Minuten
Sylvia Matuschek steht vor einer Sitzbank mit der Aufschrift „Lieblingsplatz“.

Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen als Betroffene war es Sylvia Matuschek wichtig, ein Treffen für Menschen, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden, zu organisieren. Sie hat eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suizidopfern gegründet.

Sylvia Matuschek aus Kall hat erfahren, wie es ist, wenn ein geliebter Mensch Suizid begeht, und initiierte ein Hilfsangebot für Betroffene.    

Das Schlimmste sei die Stigmatisierung, sagt Sylvia Matuschek. Und ja, in der ein oder anderen Form hat vermutlich jeder Angehörige eines Menschen, der durch Suizid aus dem Leben geschieden ist, damit zu tun. Über dem Entsetzen, dem Schock und der Fassungslosigkeit schweben immer die Fragen nach dem Warum, nach der Schuld und danach, weshalb nahestehende Menschen die Tat nicht verhindern konnten.

Sylvia Matuschek hat 2022 ihren Mann Ralf durch Suizid verloren. Er habe schon längere Zeit an einer Depression gelitten und sich mit Psychotherapie und Antidepressiva behandeln lassen, sodass es ihm insgesamt besser ging, erzählt sie.

Polizeibeamte überbrachten die schreckliche Nachricht

Ende 2018 zog das Paar in die Eifel, um mehr Ruhe und Lebensqualität zu haben als in der Großstadt, denn auch Sylvia Matuschek hatte eine schwere Erkrankung überlebt und musste sich zurück ins Leben kämpfen. Eine Zeit lang ging es den beiden richtig gut in ihrem gemütlichen Haus auf dem Land. Doch dann ging es ihrem Mann schlechter als zuvor.

Zu der Depression kamen nun auch noch Panikattacken, „er sagte, er habe das Gefühl, irre zu werden“, erzählt Matuschek, „und er sprach davon, dass er sich das Leben nehmen wolle“.

Immer wieder wurde Ralf Matuschek stationär aufgenommen. Mal für ein paar Tage, mal über Wochen. Aber bei den dortigen Ärzten und Therapeuten bestritt er stets, Suizidgedanken zu haben.

Ich wusste, er hatte diese Gedanken, aber ich war mir insgeheim sicher, dass er mir das nicht antun würde.
Sylvia Matuschek über den Suizid ihres Mannes

„Er hat sich in dieser Zeit stark verändert“, sagt seine Frau. Er sei sehr angespannt und nervös gewesen, häufiger auch aggressiv. Und er wollte auf keinen Fall alleine im Haus bleiben. Sylvia Matuschek sagt, sie habe zu dieser Zeit Angst vor dem Menschen gehabt, mit dem sie 16 Jahre lang eine glückliche Ehe geführt habe.

Rückblickend ist sie überzeugt, dass es die hoch dosierten Medikamente waren, die ihren Mann so verändert haben. An einem Sonntagabend im August 2022 standen dann zwei Polizisten vor der Haustür.

Sie überbrachten Sylvia Matuschek die schreckliche Nachricht vom Tod ihres Mannes. Schock, Trauer und Wut – vor allem darüber, „dass ich nicht gehört wurde, wenn ich immer wieder darauf hingewiesen habe, dass er sich etwas antun will“. Am Ende kam sein Suizid dennoch überraschend, meint Sylvia Matuschek: „Ich wusste, er hatte diese Gedanken, aber ich war mir insgeheim sicher, dass er mir das nicht antun würde.“

In Deutschland sterben im Schnitt täglich 30 Menschen an Suizid

Etwa 30 Menschen in Deutschland nehmen sich jeden Tag das Leben. 10.300 waren es im Jahr 2023, und damit 6,6 Prozent mehr als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre, so das Statistische Bundesamt. Jährlich sterben somit fast doppelt so viele Menschen im Land durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, illegale Drogen und Mord zusammengenommen.

Dazu kommen etwa 100.000 Menschen, die einen Suizidversuch überleben. Angenommen wird jedoch nach Schätzungen der WHO, dass die Anzahl an Suizidversuchen den vollendeten Suizid um das bis zu 30-Fache übersteigt.

Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, trifft dieser Schicksalsschlag im Schnitt fünf bis sieben nahestehende Angehörige. Schätzungsweise 20 weitere Personen aus dem Kreis der Freunde, der Kollegen, Nachbarn, Kommilitonen oder Mitschüler sind ebenfalls davon betroffen und durchleben zum Teil persönliche Krisen.

Traut euch! Sprecht über eure Gefühle, denn das entlastet. Und wehrt euch gegen Stigmatisierung!
Sylvia Matuschek, Leiterin der Selbsthilfegruppe

Fachleute sagen, dass die Suizid-Trauer eine ganz besondere Form des Trauerns sei, eine mit anderen Erschwernissen als bei einem Verlust durch natürliche Todesarten. Hinzu kommt: Suizid ist nach wie vor ein großes Tabuthema, über das man lieber nicht sprechen möchte. Auch Sylvia Matuschek musste feststellen, dass der Umgang mit dem Suizid ihres Mannes Menschen in ihrem Umfeld schwerfiel.

„Mich sprachen nur wenige auf den Verlust an. Auch Beileidskarten habe ich nur einzelne erhalten. Ich glaube, dass viele denken, an einem Suizid muss immer jemand aus dem Umfeld die Schuld tragen“, sagt sie. Und weiter: „Von meinem Mann wird heute nicht mehr gesprochen. Es ist, als ob er nie existiert hätte. Das tut sehr weh.“

Selbsthilfegruppe für Suizid-Angehörige in der Eifel gegründet

Um so wichtiger wurde für Sylvia Matuschek der Austausch mit Menschen, die Ähnliches durchleben. Zunächst besuchte sie in Euskirchen die Agus-Selbsthilfegruppe und merkte, dass es „einfach nur gut tut, mit anderen Menschen in einem Raum zu sitzen und zu wissen, dass sie einen verstehen, selbst wenn man nichts sagt oder nur weint“.

Als dann die Wintermonate kamen und damit auch Dunkelheit, Eis und Schnee, wurde der Weg von Sistig nach Euskirchen für Matuschek beschwerlich. „Also habe ich bei der Caritas für die Region Eifel nachgefragt, ob Interesse bestehen würde, hier im Südkreis eine Selbsthilfegruppe für Suizid-Angehörige zu gründen.“

Damit lief Sylvia Matuschek offene Türen ein, und so fand im März 2023 das erste Treffen im Schleidener Caritas-Haus statt. Für Matuschek, die die Gruppe seitdem ehrenamtlich leitet, sei vieles besser auszuhalten, seitdem sie Gleichgesinnte zum Austausch gefunden habe. „Natürlich kostet es Überwindung, in so eine Gruppe zu gehen.

Klare Regel: Was in der Gruppe besprochen wird, bleibt in der Gruppe

Aber ich kann nur jedem Betroffenen sagen: Traut euch! Sprecht über eure Gefühle, denn das entlastet. Und wehrt euch gegen die Stigmatisierung!“ Bei den monatlichen Treffen gebe es klare Regeln, die alle Teilnehmenden berücksichtigen müssen. Dazu gehöre an erster Stelle die Vertraulichkeit: „Was in der Gruppe besprochen wird, bleibt auch da und wird nicht nach außen getragen.“

Nach einem Suizid gibt es keine allgemeingültig richtige oder falsche Art zu trauern und diese schwere Krise zu bewältigen. Jeder hat seinen eigenen Weg, den Verlust zu verarbeiten. „Mir haben auch einige Bücher und Podcasts sehr geholfen“, erzählt Sylvia Matuschek, die betont, dass sich Betroffene auf jeden Fall psychotherapeutische Unterstützung suchen sollten.

„Die Selbsthilfegruppen können keine Therapie ersetzen“, sagt die Sistigerin. „Aber es sind Zufluchtsorte, an denen man spürt, dass man mit dieser Haltlosigkeit, in die man fällt, nicht alleine ist.“


Verständnis und Trost auch ohne viele Worte – Hier gibt es Hilfe

Die Trauerbewältigung nach dem Suizid eines nahestehenden Menschen ist eine riesige Herausforderung und kann tiefe Krisen auslösen. Hilflosigkeit, Angst und Verzweiflung, aber auch Wut und Schuldgefühle tauchen bei den Betroffenen auf.

Außenstehende tun sich schwer, mit dieser besonderen Trauer umzugehen. Sich mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, auszutauschen, kann dabei helfen, das seelische Gleichgewicht wiederzuerlangen. Im geschützten Rahmen finden Betroffene Verständnis und Trost, auch ohne viele Worte.

Im Kreis Euskirchen gibt es zwei Selbsthilfegruppen für Suizid-Angehörige: Unter dem Dach des Caritasverbandes der Region Eifel findet jeden ersten Donnerstag im Monat, 19 bis 21 Uhr, ein Treffen für Betroffene im Caritas-Haus Schleiden, Gemünder Straße 40, statt. Anmeldungen nimmt Gruppenleiterin Sylvia Matuschek unter Tel. 0 24 45/ 91 59 744 entgegen.

In Euskirchen gibt es eine Agus-Selbsthilfegruppe. Agus steht für „Angehörige um Suizid“ und ist der größte und älteste Verein in Europa, der sich für die Belange und Interessen Suizidhinterbliebener einsetzt.

In der Gruppe habe Platz, „was im Alltag vielleicht zu schwer oder unaussprechlich erscheint“, heißt es auf der Homepage. Interessenten können sich mit Henning Klein unter Tel. 01 52/21 62 72 01 in Verbindung setzen, oder per E-Mail. Weitere Informationen über die Selbsthilfegruppe hier.