Isolation in Corona-KriseMehr häusliche Gewalt im Kreis Euskirchen

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Die häusliche Isolation und das ständige Aufeinanderhocken in der Wohnung sind oft ein Nährboden für Aggressionen, die zu Gewalt führen können.

Die häusliche Isolation und das ständige Aufeinanderhocken in der Wohnung sind oft ein Nährboden für Aggressionen, die zu Gewalt führen können.

Kreis Euskirchen – Der wohl dringendste Appell zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus lautet dieser Tage: zu Hause bleiben. In Sicherheit also, geschützt von den eigenen vier Wänden. Vergessen wird dabei jedoch, dass für manch einen Menschen das Zuhause keineswegs die berüchtigte Burg ist, sondern vielmehr ein Gefängnis.

„Wir gehen stark davon aus, dass in diesen Wochen die häusliche Gewalt deutlich zunimmt“, sagt Ellen Mende von der Frauenberatungsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“. Die Erfahrungen, die andere Länder mit häuslicher Isolation während der Corona-Krise gemacht haben, machen es deutlich.

Das ungewohnte Aufeinanderhocken in den Familien, mögliche Existenzsorgen und Kinder, die zu Hause schulisch betreut werden müssen und die nicht wie gewohnt rausgehen können: Das alles sind erhebliche Stressfaktoren. Sowieso schon bestehende Beziehungsprobleme verstärken sich in einer solchen Atmosphäre schnell. Aggressionen, Gewalt und Eskalation finden einen idealen Nährboden.

Frauenberatungsstelle registriert seit drei Wochen mehr Fälle

Seit etwa drei Wochen registriert die Frauenberatungsstelle eine Zunahme an Beratungen zu häuslicher Gewalt und hat täglich entsprechende Anfragen und Beratungen. Die Frauen kommen teilweise über die Polizei an die Beratungsstelle, es riefen aber vermehrt auch Betroffene an, wo es (noch) keinen Polizeieinsatz gegeben habe.

„Wir kennen das von den Weihnachtstagen oder der Sommerferienzeit, wenn alle zusammen zuhause sind“, weiß Ellen Mende. Die Hilferufe allerdings kommen mit zeitlicher Verzögerung: „Das hat damit zu tun, dass für betroffene Frauen der Zugang zu Hilfsangeboten wie unserer Beratungsstelle dann deutlich schwieriger ist, da die Täter anwesend sind und die Frauen daran hindern.“ In der Beratungsstelle hoffe man, das Opfer häuslicher Gewalt einen Weg finden, sich Hilfe zu holen.

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„Auch wenn wir derzeit auf Telefon- und Online-Beratung umgestellt haben, um Ansteckungsrisiken zu vermeiden, so sind wir doch sehr darum bemüht, unsere Erreichbarkeit an die Situation anzupassen“, versichert Ellen Mende. Wer aufs Band spreche oder eine Mail schicke, könne schnellstmöglich mit einer Reaktion rechnen.

„Wir sind bereit, auf die jeweiligen Bedürfnisse und Möglichkeiten einzugehen. Wenn ein Kontakt nur in den frühen Abendstunden möglich ist, würden wir auch das ermöglichen.“ In dringenden Fällen werden nach telefonischer Terminabsprache und unter Berücksichtigung von Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen auch persönliche Beratungsgespräche durchgeführt. Es gibt Schutzwände aus Plexiglas, die zwischen den Beraterinnen und den Klientinnen aufgestellt werden.

Viele Möglichkeiten das Geschehene zu verarbeiten entfallen in der Krise

Das Team der Beratungsstelle weiß um die erschwerten Bedingungen, unter denen Frauen wie Kinder in Familien zu leiden haben, in denen Gewalt an der Tagesordnung ist. Viele Möglichkeiten, die es im normalen Alltag gibt, fallen derzeit weg: das persönliche Gespräch mit Freunden oder anderen Familienmitgliedern, Sport zum Auspowern oder der Spielplatz, der auch den Müttern Gelegenheit gibt, soziale Kontakte zu pflegen. Auch sonstige Kontrollmechanismen greifen nicht: Lehrer haben keinen persönlichen Kontakt mit ihren Schülern, Ärzte sehen ihre Patienten nur in Ausnahmen.

Gewalt in der Partnerschaft

Das rät die Polizei bei häuslicher Gewalt

Jede vierte Frau in Deutschland hat in einer Partnerschaft schon mal Gewalt erlebt. Das geht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik hervor. Wer betroffen ist, dem rät die Polizei:

Bei akuter Bedrohung, wählen Sie 110! Die Polizei wird alles Erforderliche tun, um Sie zu schützen.

Zeigen Sie die Straftat bei der Polizei an. Eine Strafanzeige können Sie bei jeder Polizeidienststelle erstatten. Eine Person Ihres Vertrauens und/oder ein Rechtsbeistand können Sie begleiten.

Wenn Sie sich noch nicht entscheiden können, die Polizei zu rufen, wenden Sie sich an eine Person Ihres Vertrauens oder lassen Sie sich beraten, aber handeln Sie

Setzen Sie sich mit einer Beratungsstelle für Häusliche Gewalt in Verbindung. Den Kontakt in Ihrer Nähe vermittelt Ihnen die Polizei oder das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 08000 116 016, rund um die Uhr und in vielen Sprachen.

Notieren Sie sich Einzelheiten zu den Vorfällen, wie Datum, Uhrzeit und was genau geschehen ist.

Suchen Sie einen Arzt auf, nennen Sie ihm den Ursprung der Verletzungen und lassen Sie die Verletzungen attestieren und z.B. fotografieren, um sie für eine mögliche Strafanzeige dokumentiert zu haben.

Frauenhäuser bieten Ihnen ebenfalls Schutz und die Mitarbeiterinnen können Sie bei weiteren Schritten beraten.

„Wir appellieren deshalb an alle, nicht wegzuschauen und dem Umfeld besondere Aufmerksamkeit zu schenken“, sagt Ellen Mende. Damit sei keinesfalls die Forderung nach einer Sheriff-Mentalität gemeint, sondern eher nachbarschaftliches, fürsorgliches Miteinander. „Wer hört, dass es dauernd kracht, kann Hilfe anbieten, zum Beispiel einen Spaziergang oder ein Gespräch.“ Mende weiter: „Man darf sich aber auch nicht scheuen, die Polizei zu verständigen, wenn man den Eindruck hat, dass Gewalt eskaliert. Auch wenn das schwerfällt.“ Die Betroffenen selber sind oft nicht in der Lage, im Notfall Hilfe zu holen. In der Frauenberatungsstelle jedenfalls ist man derzeit in Habachtstellung. „Wir rechnen fest damit, dass es schon bald einen erhöhten Zulauf gibt“, sagt Mende. Zu kämpfen hat die Frauenberatungsstelle mit einer teils veralteten technischen Ausstattung, die die Arbeit im Homeoffice erschwert. Daher wären Spenden moderner Laptops und Handys, aber auch Geldspenden hochwillkommen.

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