Keine RegelungDen Hund ukrainischer Geflüchteter verwahrt das Tierheim in Mechernich

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Lisa Rupperath kniet auf dem Boden des gefliesten Käfigs. Sie streckt ihre Hand aus. Ein Chihuahua-Mischling leckt an ihrem Finger.

Die ersten drei Tage habe der Hund nur gezittert, sagt Lisa Rupperath. Das tut er immer noch, solange jedenfalls, bis seine Besitzer ihn für den täglichen kurzen Spaziergang abholen.

Der Hund ukrainischer Geflüchteter sitzt im Tierheim, weil Tiere in der städtischen Unterkunft verboten sind. Doch auch das Tierheim ist nicht zuständig.

Der schlimmste Moment war für Rainer Bauer der, in dem dieser große Mann vor ihm stand und weinte. „Nach außen hin gebe ich mich immer als harter Mann“, sagt Bauer, Leiter des Tierheims in Mechernich. Aber als Familie Dobosh aus der Ukraine gezwungen war, ihm ihren innig geliebten Chihuahua-Mischling Bublik zu überreichen, da kämpfte auch Bauer mit den Tränen.

In Geflüchtetenunterkünften in NRW sind Tiere verboten

Nach ihrer Flucht kam Familie Dobosh in einer Flüchtlingsunterkunft der Stadt Mechernich unter. Das Problem: Hunde sind dort nicht erlaubt. „Leider gibt es in NRW diese Verordnung“, sagt Kathi Jakob, Fachbereichsleiterin für Bildung, Soziales und Tourismus in der Stadt Mechernich. Haustiere seien in städtischen Unterkünften, in denen viele Geflüchtete untergebracht sind, verboten.

Also musste für Bublik eine andere vorübergehende Bleibe gefunden werden: das Tierheim Mechernich musste ihn aufnehmen. „Müssen muss ich erstmal gar nichts“, war die erste Impulsantwort des Tierheimleiters. Schließlich sei ein Tierheim nicht dazu verpflichtet, diese Tiere in Obhut zu nehmen. Vertragsverpflichtungen habe das Tierheim Mechernich mit den Kommunen und Städten des Kreises. Fundtiere und Wegnahmetiere nehme der 75-Jährige seit vielen Jahren auf. Und das seien kreisweit eine ganze Menge.

Die ukrainische Familie wollte ihren Hund nicht abgeben

Als Bublik am 26. Juli zu ihm kam, war das Tierheim schon proppenvoll. Außerdem, sagt Bauer, sei der Hund weder ein Wegnahme- noch ein Fundtier. Sondern ein Pensionstier. „Und das bedeutet, dass ich der Familie eigentlich auch noch jeden Tag 15 Euro abknüpfen müsste – das bringe ich aber nicht übers Herz.“ Schließlich wollte Familie Dobosh ihren Chihuahua Mischling nie in Pension geben.

Der Chihuahua-Mischling ist auf dem Arm seines Besitzers.

Als sie sich zum ersten Mal trennen sollten, weinte Familie Dobosh. Und auch Bublik jaulte und zitterte.

Im Gegenteil: Sie wollen ihn jeden Tag so lange wie möglich bei sich haben. Deswegen habe Bauer mit der Familie mithilfe der Übersetzungsleistung des Google-Übersetzers eine Vereinbarung getroffen. Sie holen ihn jeden Tag gegen 13 Uhr ab. „Das tut der Familie gut, und das tut auch dem Hund gut“, sagt Lisa Rupperath, die den kleinen Hund von Anfang an betreut hat.

Der Chihuahua-Mischling leidet unter der neuen Situation

Anfangs habe er gar nicht gefressen. „Weder Leberwurst noch Katzenfutter“, sagt sie. Und das würde erfahrungsgemäß jeder Hund mögen. Gezittert habe er. Und hinter den Gittern des Katzenstalls, in dem er gerade untergebracht ist, habe er immer nur gewartet. Der Hund hechelt und schnattert. Lisa Rupperath spricht mit ihm: „Gleich ist es soweit, gleich kommen deine Besitzer.“ Wenn Herrchen und Frauchen kämen, sagt sie, dann flippe er immer total aus.

„Es tut weh zu sehen, dass das Tier leidet.“ Noch schmerzhafter sei es, genau zu wissen, was ihm fehle, und doch nichts daran ändern zu können, sagt sie. So einen Fall, wie den von Bublik, gab es seit Ausbruch des Krieges noch nicht im Kreis Euskirchen. Im Tierheim in Kall habe es zu Beginn einmal ein paar Katzen gegeben, die ins Tierheim kamen, erinnert sich Ursula Oistrez, die stellvertretende Vorsitzende. In Mechernich selbst gab es einmal ein Meerschweinchen, das dann zu Privatleuten gekommen sei, sagt Kathi Bauer.

So einen Fall hat es im Kreis seit Beginn des Krieges bisher nicht gegeben

Jochen Weins, den Leiter des Kreis-Veterinäramtes, wundert das. Schließlich dauere der Krieg schon eine Weile an. Und viele Menschen hätten schließlich Haustiere: „Es scheint fast so, als hätten die Haustiere aus der Ukraine um die Eifel einen großen Bogen gemacht.“

Dabei sei alles vorbereitet gewesen. Auffangstationen waren vorbereitet, eine etwa in Weilerswist. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz habe Zahlen verlangt. Wie viele Tiere aus der Ukraine in den Kreis gekommen sein, wollten sie wissen. Jochen Weins gab immer wieder dieselbe Zahl durch: Null. Und auch die Auffangstation in Weilerswist blieb leer. Im Frühjahr habe sie sich dann gänzlich aufgelöst.

Warum das so ist, dafür haben alle, die an dem Fall beteiligt sind, unterschiedliche Erklärungsansätze. Weins selbst meint, dass viele ukrainische Geflüchtete auch in privaten Unterkünften aufgefangen würden. Brächten diese dann Tiere mit, blieben sie für die behördliche Verfolgung zumeist unsichtbar.

Es scheint fast so, als hätten die Haustiere aus der Ukraine um die Eifel einen großen Bogen gemacht.
Jochen Weins, Leiter des Kreis-Veterinäramts

Mit „Unsichtbarkeit“ kann sich auch Reiner Bauer das Phänomen erklären. „Gerade bei so kleinen Tieren kann ich mir vorstellen, dass die Besitzer sie einfach verheimlichen.“ Sie unbeobachtet in die Tasche steckten und so vorbeischleusten an den Augen der Öffentlichkeit. Lisa Rupperath hingegen sagt: „Es ist ein Krieg. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Flüchtende ihre Tiere einfach zurücklassen.“ Sie macht eine Pause und ergänzt dann: „Schweren Herzens.“

Weil es also einen Fall wie diesen bisher nicht gab, gibt es auch keine gesetzliche Regelung. Weder auf städtischer Ebene, noch auf Kreisebene, informiert Wolfgang Andres, Sprecher des Kreises. Die Bezirksregierung Arnsberg weise den Städten und Gemeinden die Geflüchteten zu und diese sind dann letzten Endes zuständig für deren Unterbringung – auch für die ihrer Haustiere. Und dann dürfe man die Familie zwar unterbringen, das Tier aber nicht.

Reiner Bauer sitzt auf einer Bank. Eine Hand hat er unter dem Kinn seines Hundes Sunny.

Tierheimleiter Reiner Bauer tut sich schwer damit, ein Tier abzulehnen, sobald er es einmal gesehen hat. Auch sein Hund Sunny, der in einer Papiertonne in Weilerswist gefunden wurde, weicht heute nicht mehr von seiner Seite. Obwohl er damals eigentlich keinen eigenen Hund mehr wollte.

„Ich wusste damals wirklich auch nicht, wohin mit dem Hund“, sagt Kathi Jakob. Viel habe sie telefoniert, um herauszufinden, wie das Problem zu lösen sei – ohne Erfolg. „Deswegen entschieden wir uns für das Tierheim“. Sollten künftig aber mehr Fälle dieser Art auftreten, sagt sie, „dann müssen wir eine echte Lösung finden“.

Das Tierheim jedenfalls sei auf Dauer keine Lösung, sagt auch Jochen Weins, vor allem keine für ein ohnehin schon traumatisiertes Tier wie Bublik: „Da knallen die Türen, da bellen die Hunde, da sitzt er in einem Käfig.“

Deswegen hatte Reiner Bauer eine bessere Idee: „Vielleicht finden sich Leute, die helfen wollen?“ Wenn es keine Lösung gebe, müsse man eben selbst eine schaffen, meint er. Menschen aus dem Kreis könnten zum Beispiel ein Tier einer ukrainischen Familie in Obhut nehmen. So würden nicht die Tierheime überlastet. Auch die Kommunikation zwischen Familie und Pflegefamilie sei leichter – und die Familien müssten sich nicht mehr an Öffnungszeiten halten.

Der Kreis Euskirchen begrüßt diesen Vorschlag. Derlei Anfragen sollen künftig über das Veterinäramt koordiniert werden. Der Chihuahua-Mischling Bublik muss zunächst in Obhut Bauers bleiben. So lange jedenfalls, bis seine Besitzer eine eigene Bleibe gefunden haben, sagt Kathi Jakob. Und so lange, sagt Lisa Rupperath, versuche sie Bublik an Leberwurst und Katzenfutter zu gewöhnen.

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